Zu den Organisationen, die unter dem Eindruck des Kriegs und im Hinblick auf seine unvermeidlichen Folgen gegründet worden sind, gehört die „Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungspolitik„. Was ist das Ziel dieser Gesellschaft? werden viele wissbegierig fragen, denn der Name kann so vielerlei bedeuten, dass er nichtssagend wird. Soll nicht alle Politik „Bevölkerungspolitik“ sein, Politik durch die Bevölkerung und für die Bevölkerung des Landes? Wenigstens wenn die viel berufene „Neuorientierung“ nach dem Krieg in der Richtung einer demokratischen Entwicklung gehen soll. Allein so weitreichende, allgemeine Ziele hat die genannte Gesellschaft sich nicht gesteckt. Unter Bevölkerungspolitik versteht sie lediglich Bestrebungen, die auf eine starke Zunahme der Bevölkerung des Deutschen Reichs abzwecken. Wollte mau das Kind beim rechten Namen nennen, so müsste man von der Gesellschaft zur Bekämpfung des Geburtenrückgangs reden. Ihre erste Tagung zu Berlin am 19. Oktober hat das deutlich gezeigt.
Es ist begreiflich, dass der Krieg, der Millionen Menschenleben auslöscht, der Millionen Krüppel. Kranke schafft, die Aufmerksamkeit zwingend auf die große Tragweite eines reichen und gesunden Bevölkerungszuwachses lenkt. Zwei Fragen schieben sich damit in den Vordergrund des allgemeinen Interesses. Was kann geschehen, um die Bevölkerungszunahme durch Maßregeln zu sichern, die der Lebenserhaltung dienen, namentlich der gesunden Lebenserhaltung der Mütter, Säuglinge und Kleinkinder? Wie kann der Abnahme des Elternwillens zur Zeugung und Erziehung von Kindern entgegengewirkt werden? Auf der Tagung antwortete man auf beide Fragen. Es erwies sich jedoch immer wieder, dass für die meisten Teilnehmer der Kampf gegen die gewollte Beschränkung der Kinderzahl die Frage der Fragen ist.
Gewiss: Professor Julius Wolf betonte nachdrücklich, wie notwendig für eine starke Volksvermehrung eine positive Bevölkerungspolitik sei, mit anderen Worten: Reformen, die es den breitesten Volkskreisen erleichtern, mehr als das berühmte „Kinderpärchen“ aufzuziehen. Der Vertreter des Zentralrats des Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereins forderte Arbeiterinnenschutz, Wöchnerinnen- und Säuglingsfürsorge. Die Geschlechtskrankheiten als Ursachen unfreiwilligen Geburtenrückgangs würdigte der angesehene Fachgelehrte Professor Heines Der Nationalliberale Bassermann stimmte ihm dabei zu und regte die Anzeigepflicht für solche Krankheiten an. Geheimrat Hofmeier führte seine vierzigjährige Erfahrung als Frauenarzt für die unbestreitbare Tatsache ins Feld, dass vor allem wirtschaftliche Umstände die Ursachen des Geburtenrückgangs seien, soweit dafür die absichtliche Kleinhaltung der Familien in Frage komme. Auch der Wichtigkeit der Wohnungsverhältnisse wurde in diesem Zusammenhang gedacht. Jedoch der Charakter der Tagung wurde weniger durch Ausführungen ähnlicher Art geprägt als durch die immer und immer wiederkehrende Mahnung, der gewollten Beschränkung der Kinderzahl auf jede Weise entgegenzutreten: mit der Erziehung zu einem opferfreudigen Gemeinsinn, mit sittlichen und religiösen Gründen, mit der Gesetzgebung und mit Zwangsmaßregeln gegen den Vertrieb von Mitteln, die die Empfängnis verhüten sollen.
Davon abgesehen war ein Zug recht kennzeichnend für den Geist der Tagung. Ein reichlicher Bevölkerungszuwachs wurde vor allein im Hinblick auf die militärische Überlegenheit des Deutschen Reiches gefordert. Als künftige Soldaten oder wenigstens Soldatenmütter wurden die vielen gewünschten Nachfahren gewertet. Natürlich unter Hinweis auf den Krieg, das abschreckende Beispiel Frankreichs mit seinem Zweikindersystem und die drohende Gefahr der großen Fruchtbarkeit des russischen Volkes. Wir meinen, dass gerade der jetzige Krieg mit seinem Verlauf und seinen Wirkungen die Bedeutung eines zahlreichen Nachwuchses klarstellt, der als Träger friedlicher Kulturarbeit die Wunden heilt, die das furchtbare Völkerringen schlägt, die Verluste ausgleicht, die er dem Menschheitserbe zufügt. Hervorzuheben ist schließlich der Umstand, dass bei der Behandlung von Fragen, die so tief in das Leben des Weibes eingreifen, nur eine einzige Frau zu Wort gekommen ist: Fräulein Paula Müller, die Vorsitzende des Deutsch – Evangelischen Frauenbundes. Sie verbreitete sich über die sittliche Pflicht der Eltern, eine größere Zahl gesunder Kinder großzuziehen, blieb aber mit der Antwort auf die Frage nach den Mitteln hierfür an der Oberfläche moralischer Gemeinplätze. Schärfer als alle anderen Redner sprach der Reichstagsabgeordnete Pfarrer Naumann es aus, dass der kraftvolle, freudige Elternwille Sache des Einzelnen sei und sich nicht durch Beschlüsse, Zwangsmaßregeln, Telegramme usw. erzwingen oder erschmeicheln lasse.
Vermerkt werden muss, dass auf der Tagung selbst wie bei den Pressekommentaren dazu die früheren leidenschaftlichen Verfechter des „Gebärstreiks“ geschwiegen haben. Die Stunde, die von Mars regiert wird, ist ihrer Agitation nicht günstig. und Frankreichs Schicksal ist eine überwältigende Lehre, wie verhängnisvoll eine schwache Volksvermehrung wird. Wir denken dabei nicht mit den Herren Militärs an die Stärke des Heeres, vielmehr an die bekannte Tatsache, dass unter den Ursachen der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes der geringe Bevölkerungszuwachs mit an erster Stelle steht. Für eine starke Volksvermehrung nach dem Krieg werden auch die best gemeinten Beschwörungen im Namen des Vaterlandes, der Sitte und Religion nicht entscheidend sein: Gesetzestexte und Polizeimaßregeln werden sich als ohnmächtig erweisen, „den Willen zum Kinde“ zu erzwingen Das maßgebende Wort werden Zustände sprechen, die es dem einzelnen Elternpaar ermöglichen, sich mit einem Kranz blühender Kinder zu umgeben. Dank solcher Zustände wrerden idealistische Gründe offenes Ohr finden. Warten wir ab, ob wir die lautesten und eifrigsten Kämpen gegen die beabsichtigte Kleinhaltung der Familien unter den Bahnbrechern besserer materieller und kultureller Zustände finden.
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