[eigene Übersetzung des englische Textes im Mitgliederbulletin Nr. 16 von Militant Labour, ‚A discussion on Democratic Centralism‘ [Eine Diskussion über Demokratischen Zentralismus], 18. März 1996, veröffentlicht auf der Marxist.net-Website]
Diese Diskussion fand in der britischen Sektion des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) statt, die damals den Namen Militant Labour trug. Auf diese Diskussion über den demokratischen Zentralismus folgte unmittelbar die Diskussion über den Namen der Partei, die die folgenden vier Mitgliederbulletins (17-20) des Jahres 1996 dominierte. Sie führte zu der Entscheidung, den Namen von Militant Labour in Socialist Party Anfang 1997 zu ändern.
Edit: Das Dokument wurde in vier Webseiten aufgeteilt und Seitenüberschriften mit den Nummern 1 bis 4 hinzugefügt. Einige zusätzliche Absatzumbrüche wurden hinzugefügt.]
1. Die Notwendigkeit einer Partei
Kürzliche Diskussionen in den Reihen von Militant Labour, besonders über kontroverse Themen in der Periode vor der Konferenz und auf der Konferenz selbst, haben die Notwendigkeit einer Diskussion in unseren Reihen über die Frage der Partei, den Charakter der Parteistrukturen, die Parteidemokratie usw. unterstrichen.
Wir haben in der vergangenen Periode viele Male darauf hingewiesen, dass der Zusammenbruch des Stalinismus das politische Terrain verändert hat, auf dem Marxist*innen nun agieren müssen.
Alles, was mit dem Zeichen des Stalinismus behaftet zu sein scheint, stößt die neue Generation ab, die nach einer politischen Alternative sucht. Aber gleichzeitig wäre es in dieser Periode, die eine größere Offenheit, Toleranz gegenüber Sichtweisen von anderen und eine demokratische Diskussion und Debatte erfordert, dennoch fatal, jene sehr guten Methoden, die uns in der Vergangenheit so gut gedient haben, über Bord zu werfen.
Jüngste Umfragen haben gezeigt, dass die Mehrheit der unter 25-Jährigen politisch, ja hochpolitisch ist, aber mit Verachtung auf die traditionelle „Politik“ und die bestehenden traditionellen „Parteien“ blickt.
Netzwerke
Ihre politische Beteiligung ist in diesem Stadium eher auf einzelne Themen, die durch Dach- „Netzwerke“ organisiert werden, gerichtet. Aus diesen Bewegungen können manche der neuen, frischen Schichten kommen, die ein wesentlicher Bestandteil der Erneuerung der Arbeiter*innenbewegung und des Marxismus selbst sein können.
Aber die Tendenz zur „Spontaneität“, die Feindseligkeit gegenüber allem, was „organisiert“ ist und vor allem, wenn es eine „Top-Down“-Herangehensweise hat, ist auch ein Merkmal dieser Bewegung. In gewissem Ausmaß ist dies in dieser Periode ein günstiger Faktor, denn die Beteiligten sind tendenziell offen und bereit, Ideen zu diskutieren, und viele fühlen sich zweifellos von der Perspektive und dem Programm unserer Organisation angezogen.
Aber die all diesen Bewegungen zugrundeliegende Annahme ist, dass eine allgemeine, breite, lockere Bewegung für sich genommen fähig ist, die Angriffe der Kapitalist*innen abzuwehren und die Position der Jugend und der Arbeiter*innenklasse zu verbessern.
Einige dieser Ideen können in die Reihen unserer Organisation überschwappen. In der Tat gibt es Anzeichen dafür, dass sie dies bereits getan haben. Dies zeigte sich in der Vor-Konferenz-Diskussion, die über die Zusammensetzung des neuen Nationalkomitees stattfand. Die Idee einer landesweiten Organisation und Führung, die in der Lage ist, alle Fäden der Bewegung zusammenzuführen, wurde in einigen Punkten, die in der Diskussion angesprochen wurden, implizit in Frage gestellt.
Am Diskutieren dieser Frage ist nichts falsch. Aber die Wahrnehmung unserer Organisation als eine klare, eindeutige, revolutionäre Organisation, in Wirklichkeit eine Partei, wenn auch eine kleine Partei, wurde in den Köpfen einiger Genoss*innen verschwommen, besonders bei der neuen Generation, die in den letzten Jahren in unsere Reihen eingetreten ist. Selbst bei einer älteren Generation von Genoss*innen kann das Profil unserer Organisation, ihr genauer Charakter, getrübt werden.
Paradoxerweise kann die flexible Haltung, die wir gegenüber der Idee einer neuen sozialistischen Massenpartei eingenommen haben, eine negativ Auswirkung auf die Reihen unserer Organisation haben, wenn es keine klare Vorstellung vom Unterschied zwischen einer föderalen, reformistischen, linksreformistischen oder zentristischen Massenpartei und der marxistischen revolutionären Partei gibt.
Hauptmerkmale
In diesem kurzen Dokument/Artikel wollen wir einige der Hauptmerkmale der Diskussion zu diesem Thema herausarbeiten, damit wir beginnen können, diese Fragen in den Reihen unserer Organisation zu klären. Es ist notwendig, mit einer grundlegenden Zusammenfassung über die Notwendigkeit einer Partei zu beginnen.
Diese ergibt sich aus der Stellung der Arbeiter*innenklasse, wie sie sich in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt. Es ist natürlich wahr, dass die Arbeiter*innenklasse durch ihre Rolle in der Produktion die homogenste, einheitlichste Klasse ist. Im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus wurde die Arbeiter*innenklasse in die Großindustrie geschleppt, diszipliniert und organisiert, und es ist ihre objektive Stellung in der Industrie, die bestimmt, dass die Arbeiter*innenklasse ein kollektives Bewusstsein entwickelt.
Das Kleinbürger*innentum auf der anderen Seite ist heterogen, verstreut, seine oberen Schichten neigen dazu, mit dem Bürger*innentum zu verschmelzen, und seine unteren Schichten werden durch Monopolisierung etc. in die Reihen des Proletariats gezwungen. Dann gibt es natürlich die herrschende Klasse, die in verschiedene Teile aufgeteilt ist: Finanzkapital, Industriekapital, Schwerindustrie, Leichtindustrie, usw. Diese groben Einteilungen der Klassen in der Gesellschaft, die Marx erstmals vor 150 Jahren formulierte, bewahren auch heute noch ihre Gültigkeit. Aber während die Arbeiter*innenklasse viel homogener ist als die Kleinbürger*innen oder die Mittelschicht, ist sie immer noch in viele verschiedene Schichten unterteilt: Männer und Frauen, Rassenspaltungen, Facharbeiter*innen und Ungelernte, Junge und Alte usw.
Klasse, Partei und Führung
Die Bourgeoisie hat seit der Morgendämmerung ihrer Herrschaft geschickt verstanden, diese Spaltungen auszunutzen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Eine Partei, besonders eine revolutionäre Partei, ist dazu da, diese Spaltungen zu überwinden, die Arbeiter*innenklasse für gemeinsame Ziele zu vereinen, für den Kampf gegen den Kapitalismus, seinen schließlichen Sturz und seine Ersetzung durch eine sozialistische Gesellschaft.
Eine Partei, einschließlich der revolutionärsten Partei der Geschichte, der bolschewistischen Partei, ist jedoch kein autonomer Faktor der Geschichte. Sie ist von der Arbeiter*innenklasse abhängig und entspringt aus ihr. Das Verhältnis zwischen der Partei, ihrer Führung und der Klasse ist seit den Anfängen des wissenschaftlichen Sozialismus, d. h. des von Marx und Engels formulierten Marxismus, ein heiß umstrittenes Thema.
Die dialektische Wechselbeziehung zwischen der Klasse, der Partei und ihrer Führung wurde von Trotzki in seiner Geschichte der russischen Revolution angesprochen. Über die Partei schreibt er: „Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf.“ Wie wir in unserem Buch „The Rise of Militant“ kommentierten, gab es viele Marxist*innen, die den Zusammenhang zwischen der Führung, der Partei und der Arbeiter*innenklasse völlig missverstanden haben.
Viele von ihnen wiederholen bis heute die Formulierung Lenins in seiner Broschüre „Was tun?“, dass das sozialistische Bewusstsein nur von außen durch die revolutionäre Intelligenz in die Arbeiter*innenklasse gebracht werden könne. Diese falsche Formulierung Lenins, die er später korrigierte, wurde benutzt, um das hochmütige Vorgehen selbsternannter „führenden Vertreter*innen*innen“ winziger Sekten zu rechtfertigen, die sich als „die“ Führung der Arbeiter*innenklasse ausgeben. Die Absurdität dieses Ansatzes wurde bei den Ereignissen in Frankreich 1968 illustriert, als eine Gruppe ein Flugblatt mit Lenins Formulierungen herausgab und damit implizierte, dass sie die Führung der Arbeiter*innenklasse sei (siehe The Rise of Militant, S. 31-32).
Trotzki scheut sowohl in der Geschichte der Russischen Revolution als auch in seiner unvollendeten Biografie über Stalin keine Mühen, diese einseitige und daher falsche Vorstellung zu korrigieren. Der „Kolbenzylinder“ ist entscheidend. Aber der dynamische Faktor ist „der Dampf“, d.h. die Arbeiter*innenklasse. Schon bevor Marx und Engels auf die Bühne traten, hatte die Arbeiter*innenklasse primitive Schemata für den Sozialismus aufgestellt: Babeuf in der französischen Revolution, die sozialistischen Sekten und Gesellschaften in den 1830er Jahren in Frankreich, die Chartist*innenbewegung in Großbritannien usw. Das große historische Verdienst von Marx und Engels bestand darin, die Erfahrungen der Arbeiter*innenklasse in Form eines ausgearbeiteten Ideenkomplexes, eines Aktionsprogramms und der Perspektiven für den Kampf der Arbeiter*innenklasse zusammenzufassen.
Selbst ohne den Marxismus wird die Arbeiter*innenklasse durch die tägliche brutale Erfahrung anfangen, sozialistische Schlussfolgerungen zu ziehen (und tut dies auch jetzt). Bedeutet dies, dass das Eingreifen einer Partei und einer weitsichtigen Führung dadurch überflüssig würde? Keineswegs! Die Rolle einer marxistischen Massenpartei und Führung kann die Fähigkeit des Proletariats, alle notwendigen Schlussfolgerungen aus seiner Lage zu ziehen, enorm beschleunigen. Die Rolle des „subjektiven Faktors“, der eine Massenpartei mit korrekter marxistischer Führung ist, ist absolut bedeutsam und natürlich in einer revolutionären oder vorrevolutionären Situation entscheidend.
Subjektiver Faktor
Selbst heute ist die Rolle des „subjektiven Faktors“ (hier im weitesten Sinne gemeint) entscheidend, wenn es um die Frage der neuen sozialistischen Massenpartei geht. Auch ohne die Schaffung einer solchen Partei wird die Masse der Arbeiter*innenklasse durch bittere Kämpfe, Niederlagen und einige Siege sozialistische und revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen. Aber eine sozialistische Arbeiter*innenmassenpartei, die nicht sofort eine revolutionäre Partei im marxistischen Sinne des Wortes wäre, könnte eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Idee der sozialistischen Veränderung für Hunderttausende, ja Millionen von Arbeiter*innen im heutigen Großbritannien zu rehabilitieren. Dies wiederum würde das Saatbeet legen, auf dem später ein klares revolutionäres Bewusstsein und eine Massenpartei wachsen würden. Deshalb haben wir die Idee einer neuen sozialistischen Massenpartei so unmissverständlich zur Sprache gebracht.
Revolutionen des zwanzigsten Jahrhunderts
Die entscheidende Rolle einer Partei wird zudem historisch durch die Erfahrungen der Arbeiter*innenklasse und besonders im Laufe des 20. Jahrhunderts bestätigt. Positiv haben wir die lebendige Erfahrung der russischen Revolution, die ohne die Existenz einer revolutionären Partei, der bolschewistischen Partei, und ihrer Führung, vor allem Lenin und Trotzki, nicht stattgefunden hätte. Negativ gibt es die zahlreichen gescheiterten Revolutionen: die deutsche Revolution von 1918, die ungarische Kommune von 1919, die revolutionären Umwälzungen in Italien 1920, der Generalstreik in Großbritannien 1926, die chinesische Revolution 1925-27.
In Spanien kommentierte Trotzki zwischen 1931-37, dass nicht nur eine, sondern zehn Revolutionen möglich gewesen wären, wenn es eine Massenpartei und eine klare revolutionäre Führung gegeben hätte. Im Juli 1936 nahm die spanische Arbeiter*innenklasse zunächst vier Fünftel des Landes ein. Der bürgerliche Staatsapparat lag in Trümmern. Und doch gelang es Franco drei Jahre später, dem spanischen Proletariat den faschistischen Schaftstiefel auf den Nacken zu setzen. Es gibt keine andere Erklärung dafür, warum dies geschehen konnte, als das Fehlen einer echten marxistischen revolutionären Massenpartei und -führung in Verbindung mit der bewussten konterrevolutionären Rolle, die die Stalinist*innen und ihre Verbündeten spielten. Sogar in der relativ neuen Ära wurde die entscheidende Rolle der Partei noch einmal unterstrichen, was sich leider im negativen Sinne zeigte.
Im Mai/Juni 1968 hätte die Arbeiter*innenklasse in Frankreich die Macht nehmen können, wenn die führenden Vertreter*innen der KP und der SP nicht gewesen wären. In Portugal ging es zwischen 1974 und 1976 im wirtschaftlichen Bereich sogar noch weiter. Die Times, damals das maßgebliche Organ der britischen Bourgeoisie, kommentierte: „Der Kapitalismus ist tot“ in Portugal. Sie hatten jedoch nicht mit der konterrevolutionären Rolle der Führung der Sozialistischen Partei unter Mario Soares gerechnet, die zusammen mit der falschen Politik der Kommunistischen Partei die Revolution zum Entgleisen brachte. Zu einem Zeitpunkt befanden sich 70 Prozent der Industrie, der Banken und der Finanzhäuser in den Händen des Staates.
Auch in Chile wurde die Arbeiter*innenklasse, wie das kürzlich erschienene Buch zeigt, nur durch die verhängnisvolle Rolle der sozialistischen und kommunistischen Parteiführung daran gehindert, eine vollständige sozialistische Umwälzung zu vollziehen. Bewegungen wie diese, nur auf einer unvergleichlich höheren Ebene, werden sich in der Periode, in die wir gehen, nicht nur in der kolonialen und halbkolonialen Welt entfalten, sondern auch in den fortgeschrittenen Industrieländern.
2. Der Charakter der Partei, Demokratie und Zentralismus
Der Charakter der Partei
Wenn die Notwendigkeit einer Partei klar ist, was sollte dann der Charakter dieser Partei sein? Der Marxismus hat darauf geantwortet, besonders nach den Erfahrungen der revolutionären Bewegung in Russland und der erfolgreichen russischen Revolution, dass es sich um eine Partei handeln müsse, die besondere Merkmale aufweist, die keine bürgerliche oder kleinbürgerliche Organisation, Strömung oder Partei besitzen kann. Sie sollte eine „demokratisch-zentralistische“ Organisation sein.
Leider wurde dieser Ausdruck teilweise diskreditiert, der Begriff wurde besonders durch den Stalinismus entstellt und verzerrt. Für Uninformierte bedeutet er heute das völlige Gegenteil seiner ursprünglichen Bedeutung. In dem Bestreben, den echten Marxismus zu diskreditieren, verbinden die Reformist*innen, sowohl die Linken als auch die Rechten, diese Idee mit der im Stalinismus manifestierten grotesken Karikatur des Sozialismus. Obendrein praktiziert die rechte Labour-Führung, die gewöhnlich die Marxist*innen wegen des angeblich undemokratischen Charakters des „demokratischen Zentralismus“ beschimpft, in Wirklichkeit selbst eine extreme Form des „bürokratischen Zentralismus“, wie die Erfahrung der Hexenjagd gegen Militant und andere Linke in der Labour Party gezeigt hat.
Es ist nicht möglich, den Begriff „demokratischer Zentralismus“ kommentarlos, ohne eine Vorbemerkung und eine Erklärung darüber, was dieser Begriff genau bedeutet, öffentlich zu verwenden. Die terminologischen Schwierigkeiten, die wir haben, haben jedoch eine weitere Gefahr heraufbeschworen, nämlich dass der wirkliche Inhalt des demokratischen Zentralismus in unseren Reihen nicht verstanden oder sogar abgelehnt wird. Das wäre absolut fatal für die Entwicklung unserer Organisation in der nächsten Periode, aber vor allem für den Prozess, in einer späteren Phase zu einer großen und massenhaften Kraft zu werden.
Demokratie
Eine revolutionäre Partei ist kein Debattierklub, geschweige denn ein Debattierzirkel, der von den winzigen Sekten am Rande der Arbeiter*innenbewegung so geliebt wird, sie muss natürlich durch und durch demokratisch sein. Demokratie ist wie Sauerstoff für eine echte revolutionäre Partei. Ohne die uneingeschränkte Freiheit der Diskussion, der echten, kameradschaftlichen und geschwisterlichen Debatte wäre sie nicht in der Lage, ihren Mitgliedern ein richtiges Verständnis der aktuellen Lage und der Forderungen und des Programms zu vermitteln, mit denen sie in den Klassenkampf eingreifen muss.
Im Gegensatz zu dem, was unsere Gegner zu behaupten versuchen, hat Militant 30 Jahre lang auf allen Ebenen unserer Organisation Debatten zugelassen, auch über oppositionelle Ideen. Schon damals gab es eine beunruhigende Tendenz einiger, vor allem derjenigen, die in der Minderheit waren, nicht über unterschiedliche Standpunkte diskutieren zu wollen. Aber dass wir eine relativ homogene, geeinte Organisation besaßen, lag nicht an irgendeinem mächtigen Apparat, der sich im Besitz der Führung befand, sondern an einer echten Übereinstimmung auf der Grundlage der großen Perspektiven, des Programms, der Taktik der Arbeit in den Massenorganisationen usw. Diese Übereinstimmung konnte nur durch Diskussionen und Debatten in den Reihen der Organisation erreicht werden.
Wenn man einigen Sekten zuhört, die die Vergangenheit unserer Organisation kritisieren und sich leichtfertig mit der Geschichte der revolutionären Bewegung in Russland befassen, könnte man zu dem Schluss kommen, dass das Fehlen von organisierten Tendenzen, Fraktionen usw. in den Reihen von Militant über einen langen historischen Zeitraum hinweg selbst ein Symptom für ein ungesundes internes System war. Im Gegenteil, Trotzki kommentierte die Unordnung in den Reihen seiner Anhänger*innen in Frankreich in den 1930er Jahren, die ein ähnliches Bild boten wie die Organisationen, die sich heute als „trotzkistisch“ bezeichnen, wie folgt: „Eine kleinere, aber einmütige Organisation kann mit einer korrekten Politik enormen Erfolg haben, während eine Organisation, die von internen Streitigkeiten zerrissen ist, zum Verfall verurteilt ist.“
Bolschewismus und Fraktionen
Widerspricht diese Aussage Trotzkis der Erfahrung des Bolschewismus? Es ist wahr, dass sich die Russische Sozialdemokratische Arbeiter*innenpartei (RSDLP) 1903 in zwei Hauptfraktionen, die Bolschewiki (Mehrheit) und die Menschewiki (Minderheit), spaltete. Im Gegensatz zu dem, was einige der Sekten in der Vergangenheit behauptet haben, blieben sie jedoch bis 1912 Fraktionen derselben Partei. Lenin spaltete sich erst ab, als die Bolschewiki die Unterstützung von vier Fünfteln der organisierten Arbeiter*innen in Russland hatten, um eine eigene Partei zu gründen. Gleichzeitig zeigt die Geschichte der Bolschewiki, selbst als sie eine Fraktion der RSDLP waren, die Entwicklung verschiedener Tendenzen und in einem bestimmten Stadium sogar von Fraktionen in ihren Reihen. Als die Vereinigung von Menschewiki und Bolschewiki auf dem Stockholmer Parteitag 1906 stattfand, gab es innerhalb der bolschewistischen Fraktion bereits zwei Fraktionen, die sich auf dem Kongress einen offenen Kampf über eine wichtige Frage, das Agrarprogramm, lieferten. Zur gleichen Zeit wurde 1907 ein scharfer Fraktionskampf über die Frage des Boykotts der dritten Staatsduma (Parlament) geführt. Wie Trotzki kommentierte: „Die Unterstützer des Boykotts schlossen sich in der Folge in zwei Fraktionen zusammen, die in den nächsten Jahren einen erbitterten Kampf gegen Lenins Fraktion führten, nicht nur innerhalb der Grenzen der ,vereinigten‘ Partei, sondern auch innerhalb der bolschewistischen Fraktion.“
In der Folgezeit bildeten sich weitere Fraktionen, 1914 eine oppositionelle Fraktion zu Lenin in der Frage der nationalen Selbstbestimmung um Bucharin und Pjatakow. Zur Zeit der Machteroberung bildete sich eine Fraktion „linker Kommunist*innen“ (Bucharin, Jaroslawski und andere), sogar mit einer Tageszeitung, gegen die Linie Lenins und Trotzkis in der Frage des „revolutionären Krieges“. Als Antwort auf das monolithische Modell Stalins und der stalinistischen Parteien verwies Trotzki bei vielen Gelegenheiten auf die reale Geschichte des Bolschewismus als ein „bewegliches Gleichgewicht“ zwischen Diskussionen, einschließlich der Bildung von Trends, Tendenzen und sogar Fraktionen, und der Notwendigkeit einer zentralisierten, disziplinierten und organisierten Partei, die in der Lage ist, einem unbarmherzigen Feind, der russischen Grundbesitzer- und Kapitalist*innenklasse, entgegenzutreten.
Fraktionen um der Fraktionen willen?
Manche Organisationen, von denen einige sogar behaupten, trotzkistisch zu sein, haben Trotzkis Worte so verstanden, dass nicht nur Fraktionskämpfe, sondern eine Art permanenter Fraktionsschlacht das Kennzeichen einer echten „revolutionären“ Organisation sei. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Trotzki selbst sah sich gezwungen, auf das Beispiel der Französischen Sozialistischen Partei in der Zwischenkriegszeit zu verweisen, die in ihren Statuten Fraktionen legalisiert und sogar das Prinzip der proportionalen Vertretung für alle Parteiwahlen eingeführt hatte. Die führenden Vertreter*innen dieser Partei konnten sich daher als Beispiele für den „reinsten Ausdruck der Parteidemokratie“ ausgeben. Aber diese formale Zurschaustellung der „demokratischen Rechte“ verdeckte die Herrschaft des rechten Apparats, der diese Partei durchweg beherrschte. Linke „Fraktionen“ durften existieren, aber sobald eine echte marxistische Fraktion die Möglichkeit eröffnete, die Auseinandersetzungen zu gewinnen und sogar eine bedeutende Unterstützung in der Partei zu erlangen, griff die herrschende Apparatfraktion schnell zu Ausschlüssen.
Wir haben eine ähnliche Erfahrung in den 1980er und 1990er Jahren mit den führenden rechten Vertreter*innen der Labour Party in Großbritannien gemacht. In einer revolutionären Partei, d.h. einer echten, liegen die Dinge völlig anders. Natürlich ist es bei schwerwiegenden Streitfragen manchmal notwendig, auf die Bildung von Strömungen, Gruppierungen, sogar Tendenzen und schließlich vielleicht einer Fraktion zurückzugreifen. Aber zu solchen Schritten sollten man nicht leichtfertig greifen. Wenn es um Nuancen und Betonungen geht, sollten solche Differenzen im Allgemeinen zunächst durch mündliche und schriftliche Diskussionen ausgetragen werden.
Nur wenn es um eine ernsthafte politische Frage geht und nachdem einige der anderen Möglichkeiten, die Ansichten der Partei zu ändern, ausgeschöpft wurden, sollte es notwendig sein, zu Maßnahmen wie der Bildung von Fraktionen zu greifen. Im Falle der Ex-Minderheit existierte sie als inoffizielle Fraktion schon lange bevor sie sich 1991 gegen die Mehrheit stellte. Dabei handelte es sich zumindest anfangs nicht um eine prinzipielle Fraktion, die in klarer politischer Opposition zur Mehrheit stand, sondern um einen plumpen Versuch, die Macht zu übernehmen. Dies zeigt sich daran, dass ihr erster Schritt darin bestand, die Entfernung bestimmter Personen aus ihren Positionen vorzuschlagen, anstatt eine Diskussion über Ideen, Methoden usw. zu führen. Das hat den Konflikt, der sich zunächst um organisatorische Fragen, schließlich aber um eine ganze Reihe politischer Fragen entwickelte, sofort verbittert. Wie Genoss*innen wissen, führte dies schließlich zu einer Spaltung, die schon lange vorbereitet war, weil die Ex-Minderheit völlig unfähig war, sich der neuen, veränderten Situation in Großbritannien und auf der ganzen Welt zu stellen.
Ein gesundes Regime
Im Unterschied zu jenen Organisationen, die für die Idee ständiger Fraktionen als Gegenmittel zu einem ungesunden oder „undemokratischen Regime“ eintreten, wies Trotzki darauf hin: „Die Umwandlung von Gruppierungen in ständige Fraktionen ist an sich ein beunruhigendes Symptom, das entweder bedeutet, dass die kämpfenden Tendenzen völlig unversöhnlich sind, obwohl die Partei als Ganzes in eine Sackgasse geraten ist. Es ist natürlich unmöglich, eine solche Lage durch ein einfaches Verbot von Fraktionen zu ändern. Einen Krieg gegen das Symptom zu führen, bedeutet nicht, die Krankheit zu heilen. Nur eine korrekte Politik und eine gesunde interne Verwaltungsstruktur und -prozedur können die Umwandlung von zeitweiligen Gruppierungen in verknöcherte Fraktionen verhindern.“ Diese Zeilen reichen an sich schon aus, um Zweifel an der internen Lage zu wecken, die sogar in einigen der Organisationen besteht, mit denen wir freundschaftliche Beziehungen unterhalten und mit denen wir im Moment diskutieren.
Es schien uns bei unserem jüngsten Austausch mit den Genoss*innen des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale (siehe Bericht des Internationalen Exekutivkomitees (IEK) der USFI in MB 15 [Internationales Exekutivkomitee (IEK) des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale (USFI), zu dem Peter Taaffe eingeladen war]), dass sie so etwas wie „permanente Fraktionen“ in einigen ihrer nationalen Sektionen haben. Einer kommentierte mir gegenüber in einer privaten Diskussion sogar, dass er für einen ihrer Weltkongresse, vielleicht für zwei, ohne Fraktionen leben könne, aber wenn ein dritter Weltkongress in Folge ohne Fraktionen stattfände, würde dies allein schon bedeuten, dass das Regime „ungesund“ sei! Die Skepsis, die dieses Individuum an den Tag legt, ist weitgehend symptomatisch für Intellektuelle kleinbürgerlicher Herkunft, die eine Debattiergesellschaft einer Organisation vorziehen, die ernsthaft um den Einfluss der Massen und letztlich um die Macht kämpft.
Revolutionärer Zentralismus
Der andere und entscheidende Aspekt der Frage, der für eine revolutionäre Partei absolut erforderlich ist, ist der des Zentralismus. Es ist der Teil der Formel des „demokratischen Zentralismus“, der am meisten missverstanden wird, absichtlich von den Feind*innen des Marxismus und unbewusst sogar von denen, die mit der marxistischen und trotzkistischen Bewegung sympathisieren. Er scheint, besonders im Lichte des Stalinismus und verschiedener trotzkistischer Organisationen, die den Stalinismus imitieren, auf eine von oben nach unten gerichtete, bürokratische, „führungsdominierte“ Organisation hinzudeuten.
Aber die Notwendigkeit einer zentralisierten Partei ergibt sich aus den Aufgaben, vor denen die Arbeiter*innenklasse in unserer Epoche steht. Die herrschende Klasse hat in ihren Händen nicht nur die Produktionsmittel konzentriert – weniger als 300 Firmen auf dem Planeten beherrschen den größten Teil der Produktion, des Vertriebs und des Austauschs von Waren auf der Welt -, sondern auch enorme Mittel der Unterdrückung, sowohl rechtlich als auch physisch, gegen jeden organisierten Protest. Dies ist besonders in Großbritannien mit den gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, dem CJA [Criminal Justice Act, Strafjustizgesetz] usw. der Fall.
Die Zentralisierung und Konzentration des Kapitals, die in der Neuzeit beispiellose Ausmaße angenommen hat, bedeutet, dass der Sturz der herrschenden Klasse ohne eine zentralisierte Partei, die fähig ist, die Arbeiter*innenklasse zu vereinen und entschlossen gegen die unvermeidlichen Versuche der Konterrevolution vorzugehen, wenn die Arbeiter*innenklasse versucht, die Gesellschaft zu verändern, nicht denkbar ist.
Autonomie
Die Konzeption einer revolutionären Organisation als loses „Netzwerk“ ist falsch und hat in der Tat zur Ohnmacht und zum faktischen Zerfall von Organisationen geführt, die diesen Weg eingeschlagen haben. Wenn wir eine solche Herangehensweise verfolgen würden, selbst jetzt, wo wir eine kleine Partei sind, könnte dies unsere Bemühungen, in die Bewegungen, die stattfinden, einzugreifen, ernsthaft untergraben und würde mit Sicherheit jede Möglichkeit zunichte machen, eine entscheidende Kraft in den Reihen der britischen Arbeiter*innenklasse zu werden. Es besteht keine Gefahr, dass unsere Organisation eine solche Herangehensweise übernimmt.
Jedoch kann sich unter dem Eindruck der alltäglichen Probleme, besonders in einer Zeit, in der die Ressourcen so knapp und angespannt sind, in den Regionen, Bezirken und Ortsgruppen unserer Organisation eine Stimmung des „Lokalismus“ und sogar von Kirchturmpolitik entwickeln. Die Tendenz zur Betonung lokaler Faktoren zum Nachteil unseres nationalen Profils ist eine echte Gefahr. Wir glauben, dass es einen Ausdruck einiger dieser Tendenzen sogar in den Diskussionen über den Charakter des neuen Nationalkomitees und auf unserem nationalen Kongress über die Frage der Finanzen gab. Vielleicht unbeabsichtigt hat die Entscheidung des Nationalkomitees, auf Vorschlag des Exekutivkomitees eine Form der finanziellen Autonomie für Schottland zu empfehlen, fälschlicherweise die Idee gefördert, dass eine ähnliche finanzielle Regelung auch für den Rest der Organisation in Großbritannien bestehen könnte. Wenn eine solche Idee jetzt akzeptiert und umgesetzt würde, würde sie zur Auflösung und schließlich zum Zerfall dessen, was im Moment eine erfolgreiche demokratisch-zentralistische Organisation ist, in eine lose Föderation führen (Judy Beishon behandelt dieses Thema weiter unten ausführlich).
Schottland
Die Entscheidung, in Schottland Autonomie anzustreben, sowohl in finanziellen Fragen als auch in anderen organisatorischen Fragen, ergab sich aus der objektiven Lage in Schottland selbst. Das Wachstum eines eigenen nationalen Bewusstseins erfordert eine Änderung der Organisationsform von Militant in Bezug auf Schottland. Schottland ist nicht in der Lage einer eigenen Sektion des CWI. Die schottischen Arbeiter*innen stehen nach wie vor nicht einem schottischen, sondern dem britischen Staat gegenüber. Dies erfordert, dass die revolutionäre Organisation in Schottland Teil einer gesamtbritischen Organisation sein sollte, wie auch die walisische Organisation. Aber die Entwicklung des nationalen Bewusstseins bedeutet, dass die Organisationsform, die für das übrige Großbritannien angemessen ist, für Schottland nicht mehr angemessen ist. Dies wurde schon früh mit der Entwicklung von SML und dem hohen Maß an Autonomie für die schottische Organisation im Rahmen des gesamtbritischen Militant Labour erkannt. Schottland befindet sich gegenwärtig in einer Art Zwischenstation. Es hat noch nicht das Stadium erreicht, in dem die überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit ist, aber das Wachstum eines klaren und ausgeprägten nationalen Bewusstseins muss anerkannt werden, vor allem von der revolutionären Organisation.
Dies hat von uns erfordert, auf dem Gebiet der Politik unsere Forderungen zu ändern, wo wir jetzt eine sozialistische Föderation Großbritanniens mit voller Autonomie für Schottland befürworten. Diese Änderung ist für uns durch die Veränderung der objektiven Bedingungen bestimmt, um es zu wiederholen, vor allem durch die Veränderung des nationalen Bewusstseins des schottischen Volkes. In Anerkennung dessen haben wir daher die Veränderung der Beziehungen zwischen der schottischen Organisation und der britischen Organisation in Angriff genommen.
Die Einheit in Klassenfragen und in der Aktion zwischen den Arbeiter*innen in ganz Großbritannien widerspricht nicht der Notwendigkeit von Maßnahmen der organisatorischen Autonomie, auch im finanziellen Bereich, in Schottland, wo es klar eine andere Lage als im Rest Großbritanniens gibt. In diesem Licht hat das EK die Vorschläge für eine schottische Finanzautonomie auf den Weg gebracht. Angesichts der in unseren Reihen trotz der Diskussionen auf der Konferenz immer noch bestehenden großen Verwirrung in dieser Frage ist es notwendig, im Folgenden die Grundlage der derzeitigen Finanzvereinbarung mit Schottland zu erläutern.
Eines ist dabei absolut klar: Würden die zwischen dem NK/EK und der schottischen Organisation getroffenen Vereinbarungen jetzt auf das übrige Großbritannien angewandt, würde dies den Zusammenbruch der nationalen Zentrale bedeuten. Und trotzdem haben wir in Diskussionen auf lokaler Ebene Stimmen gehört, die sagten, dass „Schottland der Weg ist, den der Rest von England und Wales“ in nicht allzu ferner Zukunft „einschlagen wird“. Eine solche Herangehensweise wäre fatal für uns und würde das Schwinden unseres nationalen Profils oder gar einer kohärenten nationalen Präsenz von Militant Labour bedeuten. Wir wären nicht in der Lage, eine Zeitung herauszugeben oder Hauptamtliche in den Betriebs- und Gewerkschafts-, Jugend-, Frauen- und all den anderen Tätigkeitsfeldern einzusetzen. Schließt dies ein Element der Autonomie der Regionen, der Bezirke, der Zweigstellen usw. aus? Im Gegenteil, die Geschichte unserer Organisation zeigt, dass das NK und das EK in verschiedenen Phasen den Regionen größere autonome Befugnisse vorgeschlagen haben, wenn man sich national einig war, dass die Lage sowohl unserer Organisation als auch die objektive Lage dies erforderte. Das Argument, dass Autonomie an und für sich eine Garantie für Wachstum und Mitgliedergewinnung sei oder dass wir eine größere Wirkung auf die Arbeiter*innenklasse haben würden, ist nicht wahr. Zwischen 1982-87 ist unsere Organisation von etwa 2.000 Mitgliedern auf 8.000 Mitglieder angewachsen. Zu diesem Zeitpunkt flossen 75 Prozent der Mitgliedsbeiträge an die nationale Organisation, zusammen mit dem gesamten Kampffonds.
Der Schritt, einen größeren Prozentsatz der Mitgliedsbeiträge in den Regionen zu belassen, der wiederum vom EK initiiert wurde, war eine Anerkennung des Wachstums der Organisation und der Tatsache, dass es aufgrund der Größe usw. nicht möglich war, den früheren hohen Grad an Zentralisierung der finanziellen Angelegenheiten in der Zentrale zu konzentrieren. Aber das Wesen der Sache ist, dass sich durch die Veränderung der objektiven Lage auch die Position unserer Organisation veränderte, besonders was die Finanzen betrifft.
3. Flexible Organisation
In einer revolutionären Organisation ist es nicht möglich, eine Haltung zu Organisationsformen zu haben, die „ein für allemal“ sind. Es ist notwendig, in bestimmten Phasen die Notwendigkeit von Demokratie, Diskussion, Debatte usw. zu betonen. Nach einer Debatte ist es daher notwendig, ohne weitere Diskussionen auszuschließen, zum Handeln überzugehen, zu einem Grad an Zentralismus, zu einer Phase der Umsetzung von Entscheidungen. Was in jeder Phase überwiegt, der demokratische oder der zentralistische Aspekt, hängt von der konkreten Lage ab.
„Die Wahrheit ist konkret“, dies ist das wichtigste Gesetz der Dialektik. Das „bewegliche Gleichgewicht“ zwischen Demokratie und Zentralismus ist etwas, das nicht a priori festgelegt werden kann, sondern nur auf der Grundlage von Diskussionen und der Einschätzung der konkreten Lage usw. Dies ist das Dilemma, vor dem unsere Organisation in den letzten Jahren stand. Wir stehen vor einer widersprüchlichen Lage. In Bezug auf unser spezifisches Gewicht, besonders unseren Einfluss innerhalb der Arbeiter*innenklasse und der Arbeiter*innenbewegung, nehmen wir eine ebenso wichtige, wenn nicht sogar wichtigere Position ein als in der Vergangenheit. Das zeigt unser Eingreifen in und um die Debatte über die SLP, in den Kampf der Hafenarbeiter*innen, in den Kampf gegen den Rassismus, usw.
Die Arbeiter*innenbewegung im Allgemeinen ist in den letzten paar Jahren zurückgegangen. Unsere Organisation ist nicht dramatisch geschrumpft, aber sie hat zahlenmäßig verloren, während sie an Autorität, Einfluss usw. gewonnen hat. Die Quintessenz ist, dass wir unsere Organisation, besonders unseren Apparat, auf der Grundlage dezimierter Ressourcen verwalten müssen. Dies erforderte eine sehr schmerzhafte, aber notwendige Verringerung unseres hauptamtlichen Personals. Dies hat die Zahl der Hauptamtlichen, die wir in der Zentrale haben, auf ein Skelett reduziert, das gerade noch ausreicht, um die grundlegenden nationalen Aufgaben unserer Organisation in dieser Phase zu erfüllen.
Finanzielle Umverteilung
Es waren diese Faktoren, die das EK und schließlich das NK dazu veranlassten, einer Umverteilung unserer Ressourcen, besonders der Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen an die nationale Zentrale, zuzustimmen. Auch dies wurde nicht als eine „ein für allemal“-Maßnahme gesehen, sondern als ein notwendiges Mittel, um in dieser Phase ein nationales Profil und eine kohärente organisatorische Position zu bewahren. Dies war aufgrund des ungleichen und ungerechten Verhältnisses zwischen Hauptamtlichen in einigen Regionen und dem Fehlen von Hauptamtlichen in anderen Regionen notwendig. Nur das NK und das EK zwischen den nationalen Treffen sind in der Lage, den erforderlichen nationalen Gesamtüberblick über die Situation zu haben, der eine gewisse Umverteilung der Ressourcen ermöglichen könnte. Die nationale Zentrale hat durch die Erhöhung des Anteils von 70 auf 80 Prozent, die in die Zentrale kommen, nicht gewonnen, aber die genommenen Mittel haben eine notwendige Umverteilung der Ressourcen ermöglicht, was nun bedeutet, dass einige Hauptamtliche in Gebieten tätig sind, in denen sie sonst nicht tätig gewesen wären.
Diese allgemeinen Argumente in Bezug auf Finanzen, Autonomie usw. stehen zweifellos im Zusammenhang mit dem harten Kampf der Ortsgruppen, sich die Mittel zu verschaffen, mit Flugblättern, Broschüren usw. um in die Bewegung vor Ort einzugreifen. Das ist nichts Neues für unsere Organisation. Von Anfang an mussten schwierige Entscheidungen zwischen den Mitteln für die Zentrale und den Mitteln für die Regionen, Bezirke und Ortsgruppen getroffen werden. In der ersten, formgebenden Periode wurde es zu einem Axiom, dass eine revolutionäre Organisation mit einer zentralen Führung beginnt.
Der Aufbau der Organisation
Unsere Organisation stellt nicht den Zusammenschluss von formal unzusammenhängenden Gruppen in den Orten dar. Schon von Anfang an war der Aufbau einer maßgeblichen Führung und Organisation auf nationaler Ebene die Schlüssel-Priorität. Auf dieser Grundlage wurden Genoss*innen aus Gebieten wie Liverpool beispielsweise nach London versetzt, wobei ich bekanntlich der erste Hauptamtliche wurde, zumindest bei der Wiedergeburt unserer Organisation in den 1960er Jahren. Es war nichts bürokratisch oder von oben nach unten in dieser Herangehensweise. Es war die Erkenntnis, dass nur eine nationale Führung in der Lage war, die gesamten politischen und organisatorischen Aufgaben zu sehen und zu erfüllen. Eine revolutionäre Organisation beginnt an der Spitze, aber wenn sie dort verbleibt, ohne sich um eine lebendige lokale Verankerung zu bemühen, wird sie eine Totgeburt. Daher wurden nach dem ersten Aufbau von hauptamtlichem Personal in der Zentrale, zunächst in der Kings Cross Road und dann in der Cambridge Heath Road, regionale Organisator*innen ernannt. Dies wiederum wurde auf der Grundlage einer nationalen Diskussion im damaligen NK beschlossen.
Welcher Anteil der Mittel in die Zentrale und welcher in die Regionen fließen sollte, wurde in den letzten 30 Jahren ständig diskutiert, ebenso wie die Frage, wie die Ortsgruppen ihre Tätigkeit finanzieren und gleichzeitig eine nationale und internationale Organisation aufrechterhalten könnten. Durch heroische Selbstaufopferung finanzierten die Mitglieder in den Ortsgruppen sowohl die nationale Zentrale als auch die Mittel für die Intervention in den Orten. Dies war in der Tat eine Periode außerordentlicher Anstrengungen und enormer Opfer seitens einer kleinen Schicht von Kadern, um den notwendigen Apparat aufzubauen.
Idealerweise sollte ein gewisser Prozentsatz der Mitgliedsbeiträge nicht nur in den Regionen verbleiben, wie es im Moment ist, sondern auch in den Ortsgruppen. Und zweifellos werden wir uns in der Zukunft, wenn wir mehr Kräfte bekommen und auf das Niveau der 80er Jahre und darüber hinaus anwachsen, in diese Richtung bewegen müssen. Aber um die wichtigste Regel der Dialektik zu wiederholen: „Die Wahrheit ist konkret“. Die Lage der Organisation zu diesem gegenwärtigen Zeitpunkt erlaubt es uns nicht, in diese Richtung zu gehen. Es wäre in der Tat fatal für unsere Organisation und für ihr nationales Profil. Ohne diese Herangehensweise wären wir nicht in der Lage, der Zeitung Ressourcen zu widmen, einschließlich Hauptamtlicher, was die Herausgabe einer Wochenzeitung gefährden würde, von Genoss*innen, die sich der wichtigen Gewerkschaftsarbeit widmen, der Jugendarbeit, der Frauenarbeit, denjenigen, die im Druck, im Layout usw. arbeiten.
Schmerzhafte Maßnahmen
Es ist nicht so, dass die nationale Organisation einfach immer mehr Mittel verschlingen will, ohne zu versuchen, zu sparen und unseren Apparat an unsere finanzielle Basis anzupassen. Tatsächlich kamen in den letzten 12 Monaten die größten Kürzungen in der nationalen Zentrale. Dies war kein einfacher oder schmerzloser Prozess, aber er war absolut notwendig, wenn die finanzielle Lähmung unserer Organisation nicht zur Tatsache werden sollte. Dies hat uns jetzt einen Apparat ermöglicht, von dem wir glauben, dass wir ihn auf der Grundlage der immer noch großen Opfer unserer Mitglieder, Sympathisant*innen usw. aufrechterhalten können.
Die Frage der Finanzen war immer eine Schlüsselaufgabe für die revolutionäre Bewegung. Ein ernsthaftes Herangehen an die Finanzen ist es, was die Bolschewiki von den Menschewiki unterschied. Letztere waren zwar viel lockerer organisiert als die Bolschewiki, konnten sich aber letztlich auf die öffentliche Meinung des Bürger*innentums stützen und ihre Kassen durch Spenden der sie unterstützenden kleinbürgerlichen Schichten (Anwält*innen, Ärzt*innen, Professor*innen usw.) auffüllen. Die Bolschewiki sammelten die Kopeken akribisch bei den Arbeiter*innen ein. Trotzki zitiert in seiner Geschichte der Russischen Revolution aus dem Bericht eines Geheimpolizisten über die Hauptmerkmale der Bolschewiki: „Sie haben eine Idee, sie haben eine Menge und sie haben Geld.“
Von letzterem hatten sie selbst im Verlauf der revolutionären Umwälzungen zu wenig, aber diese Eigenschaft der Bolschewiki ist, wie unsere Gegner vielfach kommentiert haben, auch das Markenzeichen von Militant und jetzt von Militant Labour gewesen. Die Idee, dass wir in der Vergangenheit in der Finanzfrage „zu hart“ waren, ist absolut falsch. Bei der Umsetzung jeder Politik gibt es zwangsläufig „Exzesse“. Manchmal geben Genoss*innen im Eifer des Gefechts mehr, als sie sich vernünftigerweise leisten könnten. In diesen Fällen hat die Führung tatsächlich eingegriffen, um die Gefahr zu verringern, dass unsere Mitglieder aufgrund eines zu großen Opfers für die Sache zu absoluter Armut verurteilt werden. Dennoch ist es nicht möglich, eine seriöse Organisation ohne Opfer zu schaffen.
Was unsere Organisation auszeichnet, ist, dass die Führung ihren Mitgliedern nie größere Opfer abverlangt hat, als sie selbst bereit waren, zu bringen. Trotzki wies einmal darauf hin, dass die Aufgabe, eine revolutionäre Organisation zu Opfern zu bewegen, sowohl finanziell als auch persönlich, bei der Führung beginnt. Er sagte über die Führung, dass man anfängt, ein Beispiel gibt, Opfer bringt und andere auffordert, dasselbe zu tun. Verbunden mit einer korrekten Politik ist dies ein Grund, warum Militant erfolgreich war, warum es verabscheut und gefürchtet wurde, besonders von den „Salon-Sozialist*innen“ und trotzkistischen Phrasendrescher*innen, die nicht die geringste Absicht hatten, Opfer für eine große Sache zu bringen. Ohne eine ernsthafte Einstellung zu den Finanzen, vor allem zum Aufbau eines nationalen Apparates, wäre es nicht möglich, eine ernsthafte Organisation aufzubauen, geschweige denn eine Massenpartei in einer späteren Phase.
Parteipatriotismus
Als Trotzki in Anlehnung an James Cannon davon sprach, dass es notwendig sei, einen Geist des „Parteipatriotismus“ zu schaffen, meinte er dies sowohl in Bezug auf die lokale Organisation, auf die alle Genoss*innen stolz sein sollten, auf die Region natürlich, aber auch und vor allem auf die nationale Organisation, ihre Kohärenz und ihr Profil als revolutionäre Organisation. In Bezug auf die nationale Position einer Organisation prangerte Trotzki im Umgang mit der französischen Sektion in der Zwischenkriegszeit Methoden an, die eher zu einer „anarchistischen Föderation“ als zu einer „demokratischen zentralistischen Organisation“ führten. Diese Gefahr gibt es in unserer Organisation natürlich nicht, und es wird hier auch nicht behauptet, dass irgendwelche Genoss*innen in unserer Organisation solche Ansichten vertreten. Aber ist es nicht möglich, dass Genoss*innen in den Orten, besonders neuere Genoss*innen, die nicht den Vorteil haben, die Position der nationalen Organisation zu kennen, in eine gewisse Tendenz abrutschen, die Bedürfnisse der „Ortsgruppe“ gegenüber denen der nationalen Zentrale zu betonen? Diese Gefahr besteht nicht nur, sondern wir glauben, dass solche Anzeichen dieser Gefahren in der Diskussion vor und nach dem Kongress über die Frage der Finanzierung der nationalen Zentrale und der Aufrechterhaltung einer lokalen Präsenz deutlich wurden.
Wir haben Berichte erhalten, dass einige Genoss*innen damit drohten, „keine Beiträge zu zahlen“, wenn die meisten Mittel von der nationalen Zentrale verschlungen würden. Eine solche Haltung ist aus den oben erläuterten Gründen völlig inakzeptabel und muss nicht nur von der nationalen Zentrale, sondern von allen Genoss*innen bekämpft werden. Dies kann nur auf der Grundlage einer offenen und ehrlichen Erklärung der Probleme geschehen, mit denen unsere Organisation in dieser Phase konfrontiert ist, einschließlich der Finanzen.
Aber wir haben auch einige Genoss*innen, die die Idee der „Ermahnung“ ablehnen, um die notwendigen Mittel für die Organisation in dieser Phase zu erwerben. Wenn damit ein Einschüchtern und eine ständige Forderung nach immer größeren Opfern ohne politische Erklärung gemeint ist, dann sind wir uns alle einig, dass wir diese Haltung ablehnen. Wenn aber, wie ich vermute, eine Schicht von Genoss*innen ein wenig müde geworden ist und Angst vor der Reaktion der Mitglieder hat, wenn sie notwendige finanzielle Opfer fordert, dann wäre das völlig falsch. Eine „Ermahnung“, nicht im Sinne eines platten Aufrufs zur Finanzierung, sondern durch die Erläuterung der politischen Notwendigkeit, war von der Organisation seit ihrer Gründung erforderlich. Sie ist auch jetzt erforderlich und wird es in Zukunft noch mehr sein.
Wir können nicht in der angeblichen „objektiven Lage“ Zuflucht suchen. Auf dieser Grundlage hätten wir uns in den 1960er Jahren, als Reformismus und Kapitalismus unangreifbar schienen, nie auf den Weg gemacht, um mit dem Aufbau der Basis einer revolutionären Organisation zu beginnen. Natürlich gab es damals mehr Ressourcen innerhalb der Arbeiter*innenklasse, aber weniger Sympathie für unsere Ideen. Heute leiden natürlich viele Arbeiter*innen unter einer unglaublichen Armut, aber die allgemeine Sympathie für unsere Ideen ist viel größer als in der früheren, formgebenden Periode.
4. Was war unsere Erfahrung?
Die Erfahrung der Organisation, besonders in den Gebieten, die konsequent die Beiträge und den Kampffonds aufbringen, ist, dass, wenn die notwendige politische Herangehensweise gewählt wird und die Führung den Ton angibt, Ressourcen erlangt werden können, die sowohl den Bedürfnissen der nationalen Organisation entsprechen als auch den Ortsgruppen zugute kommen.
Nehmen wir die Frage des Kampffonds. Das EK ist nicht gegen ein gewisses „Experimentieren“, um herauszufinden, ob wir durch verschiedene Methoden insgesamt mehr Mittel beschaffen können oder nicht. Aber es muss hier betont werden, dass der Kampffonds eine ganz andere Rolle spielt als in früheren, für die Organisation günstigeren Zeiten. In der Vergangenheit brachten die Mitgliedsbeiträge die Mittel auf, um unseren Apparat aufrechtzuerhalten. In den 1970er Jahren wurde der Kampffonds genutzt, um die Mittel für den Kauf von Räumlichkeiten, der Presse auf nationaler Ebene sowie für die Finanzierung lokaler Zentralen usw. zu beschaffen. Aber in der veränderten Lage der 1980er und 1990er Jahre gilt diese Position nicht mehr. Der Kampffonds, d.h. der Mindestbetrag, den die nationale Zentrale von der Gesamtsumme des Kampffonds benötigt, ist absolut notwendig, um den Betrieb der nationalen Zentrale aufrechtzuerhalten. Daher befürworten wir zwar jede Maßnahme, die mehr Mittel für das nationale Zentrale generieren kann, lehnen aber gleichzeitig jedes finanzielle Abenteuer ab, das unsere Mittel auf nationaler Ebene tatsächlich aufzehren könnte.
Einbehalt der Ortsgruppen?
Es wurde z.B. vorgeschlagen, dass ein kleiner Prozentsatz des Kampffonds von den Ortsgruppen einbehalten werden sollte. Wir glauben nicht, dass ein solches System zum jetzigen Zeitpunkt die von der nationalen Zentrale benötigten Mittel garantieren würde, und zwar aus den unten erläuterten Gründen. Bedeutet dies, dass wir jeden Anreiz für die Ortsgruppen ablehnen, Kampffonds zu generieren? Nein! Außerdem gibt es bereits ein System, das, wenn es richtig umgesetzt wird, einen großen Anreiz für die Ortsgruppen darstellen kann. Wales hat seine Rückerstattungen für den Kauf von Druckmaschinen verwendet, was den Ortsgruppen direkt zugute kommt. Die Rückerstattung, die den Regionen auf der Grundlage der Erreichung von 70 % des Ziels für den Kampffonds gewährt wird, hat es Gebieten wie London ermöglicht, einen Teil ihrer regionalen Rückerstattung an die Ortsgruppen zurückzugeben. In diesen Regionen, die wie der Südwesten und Wales das Kampffondsziel stets erreichen, gibt es keinen Druck für zusätzliche „Anreize“. Unterscheidet sich die soziale Lage in diesen Regionen von der in anderen, die das Kampffondsziel immer wieder verfehlen? Wir glauben das nicht. Es geht darum, sich ernsthaft auf zu machen, um die finanziellen Ziele zu erreichen, was eine politische Vorbereitung sowie den notwendigen organisatorischen Antrieb seitens der Regionen, der Ortsgruppenleitung usw. bedeutet.
Gefahren?
Jedoch weckt die Betonung der nationalen Bedürfnisse der Organisation und damit des zentralistischen Aspekts des demokratischen Zentralismus zweifellos einige Zweifel in den Köpfen vor allem der neueren, unerfahrenen Genoss*innen. Diese beziehen sich auf die „Gefahren“, die einer Organisation, in der die Führung eine so wichtige Rolle spielt, angeblich „innewohnen“. Welche Garantien gibt es gegen eine bürokratische Entartung der Führung? Zunächst einmal gibt es die Verpflichtung, regelmäßige Sitzungen des NK einzuberufen, das das EK kontrolliert. Es gibt die Verantwortung der nationalen Führung, diese Sitzungen sowie regelmäßige Kongresse usw. einzuberufen. Es gibt sogar eine Regelung, nach der die Ortsgruppen einen außerordentlichen Kongress verlangen können.
Jedoch selbst mit diesen demokratischen Aspekten unserer Organisation, welche „Garantie“ gibt es dafür, dass ein streng demokratisches Regime existiert. Niemand hat diese Fragen in unseren Reihen aufgeworfen, aber vielleicht sind sie unausgesprochen in den Köpfen der Genoss*innen, die das Wesen der revolutionären Partei in dieser Epoche nicht vollständig verstehen. Dies ist keine neue Frage. Leo Trotzki wurde gebeten, eine „klare und exakte Formel für den demokratischen Zentralismus“ zu geben, die falsche Interpretationen oder bürokratische Entartungen ausschließen würde. Er antwortete, er könne „keine solche Formel über den demokratischen Zentralismus geben, die ‚ein für allemal‘ Missverständnisse und falsche Interpretationen ausschließen würde. Eine Partei ist ein aktiver Organismus. Sie entwickelt sich im Kampf mit äußeren Hindernissen und inneren Widersprüchen … Das Regime einer Partei fällt nicht fix und fertig vom Himmel, sondern formt sich allmählich im Kampf. Eine politische Linie hat Vorrang gegenüber dem Regime. Zuallererst ist es notwendig, die strategischen Probleme und taktischen Methoden richtig zu definieren, um sie zu lösen. Die organisatorische Form muss der Strategie und Taktik entsprechen.“ Trotzki macht dann einen grundlegenden Punkt: „Nur eine richtige Politik kann ein gesundes Parteiregime garantieren.“
Das bedeutet natürlich nicht automatisch, dass, wenn eine Partei ein richtiges Programm hat, auch ihre organisatorischen Methoden richtig sein werden. Das ist eine Frage der Debatte und der Diskussion darüber, welches Gewicht der Demokratie oder dem Zentralismus je nach den verschiedenen Lagen gegeben werden sollte. Eine Formel für den demokratischen Zentralismus muss zwangsläufig in den Parteien der verschiedenen Länder und in den verschiedenen Entwicklungsstadien ein und derselben Partei einen unterschiedlichen Ausdruck finden.
Trotzki
Trotzki macht die entsprechende Bemerkung:
„Demokratie und Zentralismus befinden sich keineswegs in einem unveränderlichen Verhältnis zueinander. Alles hängt von den konkreten Umständen ab, von der politischen Lage im Lande, von der Stärke der Partei und ihrer Erfahrung, vom allgemeinen Niveau ihrer Mitglieder, von der Autorität, die die Führung erringen konnte.
Vor einer Konferenz, wenn das Problem eines der Formulierung einer politischen Linie für die nächste Periode ist, triumphiert die Demokratie über den Zentralismus, wenn das Problem die politische Aktion betrifft, ordnet der Zentralismus die Demokratie sich selbst unter. Die Demokratie macht sich wieder geltend, wenn die Partei das Bedürfnis verspürt, ihr eigenes Handeln kritisch zu überprüfen.
Das Gleichgewicht zwischen Demokratie und Zentralismus stellt sich im tatsächlichen Kampf fest, wird momentan verletzt und dann wiederhergestellt. Die Reife eines jeden Parteimitglieds drückt sich vor allem darin aus, dass es vom Parteiregime nicht mehr verlangt, als es geben kann.
Der ist ein schlechter Revolutionär, der seine Haltung zur Partei durch die einzelnen Nasenstüber, die er auf die Nase bekommt, definiert. Natürlich ist es notwendig, gegen jeden einzelnen Fehler der Führung, jede Ungerechtigkeit und dergleichen zu kämpfen. Aber es ist notwendig, diese ,Ungerechtigkeiten‘ und ,Fehler‘ nicht für sich allein zu bewerten, sondern im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Partei sowohl im nationalen als auch im internationalen Maßstab. Ein richtiges Urteil und ein Gefühl für Proportionen in der Politik ist eine äußerst wichtige Sache.“ [Leo Trotzki: Über den demokratischen Zentralismus und das Regime ([8. Dezember] 1937)]
Diese unschätzbaren Bemerkungen sollten unserer Meinung nach von allen Genoss*innen verinnerlicht werden. Das Argument, dass eine Entscheidung über die Änderung der Proportionen zwischen dem Zentrale und den Regionen immer das Ergebnis eines Beschlusses des Nationalkongresses abwarten sollte, halten wir für falsch. Das NK wird gerade dazu gewählt, um die Organisation in der Zeit zwischen den Kongressen zu leiten. Manchmal, unter außergewöhnlichen Umständen, wird es sogar gezwungen sein, die Entscheidung des Kongresses zu ändern, wenn sich die Umstände ändern.
Einige werden schimpfen, dass dies ein Verstoß gegen die „Demokratie“ sei. Es ist nichts dergleichen. Eine Führung mit Autorität muss bereit sein, so zu handeln, wie sie es für das beste Gesamtinteresse der nationalen Organisation hält, und dabei alle anderen Bedürfnisse der Organisation auf lokaler, bezirklicher und regionaler Ebene berücksichtigen. Es ist möglich, dass die nationale Führung, selbst die beste Führung, in solchen Fragen Fehler macht. Sie muss ihre Entscheidungen vor dem nachfolgenden Kongress rechtfertigen, der das Recht hat, der Führung entweder zuzustimmen oder sie zu tadeln und die notwendigen Änderungen vorzunehmen.
Eine Diskussion über Prinzipien
Wir haben hier nur einige der wichtigsten allgemeinen Fragen der Partei, des demokratischen Zentralismus und vor allem dessen Zusammenhang mit den Problemen, mit denen wir in dieser Phase konfrontiert sind, gestreift. In Zukunft mag es notwendig sein, sich eingehender mit den historischen Erfahrungen der revolutionären Bewegung und der Arbeiter*innenklasse sowie mit den Organisationsformen zu befassen, die in den verschiedenen Phasen bestanden. Während wir unsere Terminologie sorgfältig prüfen müssen, um keine unnötigen Barrieren in den Köpfen besonders der neuen Generation, die wir zu gewinnen hoffen, zu errichten, müssen wir gleichzeitig hartnäckig an den Organisationskonzepten festhalten, die uns und der Arbeiter*innenklasse in der Vergangenheit so gut gedient haben. Dies sollte uns nicht davon abhalten, die notwendigen Experimente mit Organisationsformen zu unternehmen, die es uns ermöglichen, die Genoss*innen stärker in die Organisation einzubinden und neue Schichten anzusprechen, die sich uns in dieser Zeit anschließen können, ohne die grundlegenden Prinzipien zu verletzen.
Wir hoffen, dass die hier angesprochenen allgemeinen Punkte der Gegenstand von einiger Diskussion in der Organisation sein werden, sowohl die allgemeinen als auch die von uns angesprochenen Detailfragen. Nur in einer solchen offenen Diskussion, ohne Angst, die wirklichen Problemen und Schwierigkeiten, denen die revolutionäre Organisation in dieser Phase gegenübersteht, anzugehen, werden wir in der Lage sein, uns der sehr günstigen Lage zu stellen, die sich für uns in der Periode, in die wir eintreten, entwickeln wird.
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