VI. Schluss

Die deutsche Bauernrevolution war niedergeschlagen. Von allen deutschen Herrschaften, die innerhalb des Gebietes lagen, über welches die Revolution ihre Wellen schlug, war es das Herzogtum Bayern allein, das fast gänzlich unberührt blieb. Auch das hatte seinen natürlichen Grund. In Bayern war der Bauer in verhältnismäßig guter Lage, die eigentliche Leibeigenschaft existierte nicht oder nur in so geringer Ausdehnung, dass sie nicht ins Gewicht fiel. Die Güter waren meist frei, und wenn es an Steuern und Auflagen, namentlich seitens der Geistlichkeit, auch nicht fehlte, so war der Druck doch nicht so, dass er das Volk bis zum Aufstand trieb. Die Hauptklagen der Bayern bezogen sich auf das Wild und die Weideplätze, zwei Punkte, die unschwer zu befriedigen waren. Gab es trotzdem hier und da Gegenden, in denen die Unzufriedenheit bedenklich zu werden schien, so gelang es den Bayernherzögen (es regierten das Herzogtum zwei Brüder) und ihrem Kanzler Eck, durch drohende militärische Übermacht die Unzufriedenen einzuschüchtern.

Sobald die ersten Bauernunruhen in Süddeutschland sich zeigten, hatte Bayern für die Aufstellung einer starken militärischen Macht gesorgt. Die Mittel dazu wurden in sehr energischer Weise von einer Seite eingetrieben, die sie reichlich besaß, die man aber anderwärts von Regierungswegen schonte, von den Klöstern und der Geistlichkeit. Die Klöster wurden nach Maßgabe ihres Vermögens in Kontribution gesetzt. Sie hatten schon Ende Februar 1525 30.000 fl. gesteuert und sie mussten mehr geben. Später wurde alles Silberzeug, alle kostbaren Geräte und Kleinodien, unter dem Vorwand, es in Verwahrung zu nehmen, nach München eingefordert und zu Gelde gemacht. Auf die Beschwerde der Mönche und Nonnen erklärte die Regierung: „Die Zeitläufte machten das nötig, sie habe dasselbe auch getan.“ Auch mussten die Geistlichen nach altem Herkommen Heerwagen, Bespannung und Bedienung, die Pferde zu den Geschützen und die nötigen Lebensmittel liefern. Als das zweite Hilfsgeld von den Klöstern gefordert wurde und sie sich über diese gegen alles alte Herkommen eingeführte Neuerung beschwerten, wurde ihnen die bündige Antwort: „Die Besteuerung der geistlichen Güter sei zwar neu und unerhört, aber die Bauernempörung in dieser Gestalt sei auch neu und unerhört, und die Geistlichkeit habe sie hauptsächlich verschuldet. Das rechtfertige solche Auflagen.“

Diese Mittel, verbunden mit der verhältnismäßig guten materiellen Lage der großen Mehrheit der Bauern, ließen keinen Aufstand im Herzogtum Bayern aufkommen, befähigten aber die Regierung, wie wir das gesehen haben, den Nachbarregierungen verschiedentlich in wirksamer Weise zu Hilfe zu kommen. Und dieses Brachliegen der Bewegung in Bayern hatte für dieselbe noch einen anderen großen Nachteil. Bayern war das Verbindungsglied zwischen Schwaben und dem übrigen insurgierten Deutschland auf der einen Seite, und Salzburg, den österreichischen Herzogtümern und Tirol auf der anderen Seite. Die Bewegung würde unendlich an Kraft gewonnen haben, wenn Bayern sich ihr anschloss. Dass dieses nicht geschah, war verhängnisvoll für den ganzen Verlauf des Kampfes.

Im Norden und Osten von Deutschland war die Bewegung aus Gründen, die schon früher angegeben wurden, ebenfalls fast spurlos vorübergegangen. Nur in Schlesien und mehr noch in der heutigen Provinz Preußen, dem Samland, in Livland und in Estland war es teilweise zu Unruhen gekommen.

Die heutige Provinz Preußen war bis zum Jahre 1525 Eigentum des Deutschordens. In diesem Jahre hatte der Deutschordensmeister Albrecht von Brandenburg das Land in ein weltliches Fürstentum unter seinem Zepter verwandelt und, um die Herrschaft um so sicherer zu haben, lutherische Priester nach Preußen gerufen, um der neuen Lehre Eingang zu schaffen. Mit den lutherischen Priestern waren auch Prädikanten gekommen. Die Lehre von der evangelischen Brüderlichkeit und Gleichheit, die das Volk überall in irdischem und materiellen Sinne auslegte, war auf fruchtbaren Boden gefallen und den Adel zu beseitigen, wurde eine Hauptforderung der Bauern, die sie emsig zu erfüllen trachteten. Insbesondere waren es die Bauern des Samlandes, die den Ruf nach Ausrottung des Adels am lautesten erhoben. In diesen Landen hatte der Deutschorden Jahrhunderte lang in jener verbrecherischen und kaum glaubhaften Weise regiert, die ihn überall zum verhasstesten Feind der Bauern gemacht. „Sie haben vom Volke nicht allein die Wolle und die Milch genossen, sie haben ihm auch das Blut ausgesaugt und zuletzt das Fleisch von den Knochen gefressen“, so lautet das Urteil eines zeitgenössischen Schriftstellers.

Die Bauern hatten sich unter verschiedenen Führern zusammengetan, und zwar waren diese zum Teil Geistliche, aber sie hatten noch keinerlei Gewaltschritte begangen. Ihre Absicht war, nur gegen den Adel zu revoltieren und diesen zu verjagen, den Landesfürsten wollten sie anerkennen.

Der Herzog Albrecht, des berüchtigten Markgrafen Kasimir von Ansbach Bruder, traute indes dem Frieden nicht, er konnte auch unmöglich sich der Hauptstütze seines Thrones, des Adels, berauben lassen. Wo hatte er die Garantie, dass, wenn das Volk den beseitigt hatte, es schließlich nicht auch ihn beseitigte? Wollte man den Adel seiner Privilegien und seiner bevorrechteten Stellung wegen abschaffen, warum schließlich nicht auch ihn, den obersten der Privilegierten und Bevorrechteten? Hat einmal das Streben nach Gleichheit den Damm durchbrochen, kennt es keine Grenze mehr. Das Volk dachte sicher nicht so weit, es greift immer nur nach dem Nächsten, dafür sehen aber seine Feinde um so weiter. Die Interessen, die für sie auf dem Spiele stehen, haben ihren Scharfsinn wunderbar geschärft. Sie täuschen sich nie, nur das Volk täuscht sich, das in seiner Gutmütigkeit so leicht mit halber Arbeit und mit Konzessionen sich zufrieden gibt, stets vergessend, oder auch nicht wissend, dass Rechtsfragen nur Machtfragen sind, und dass es nicht genügt, dass die Bevorrechteten geneigt sind, ihr Vorrecht aufzugeben, sondern dass sie auch unfähig gemacht werden müssen, es wieder zu erlangen.

An der Spitze von 300 Reitern durchzog der Herzog im November 1525 das ganze Land von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, und ließ überall die des Aufruhrs Verdächtigen, Bürger und Bauern, herausgreifen, foltern und entweder hinrichten oder des Landes verweisen. So wurden in Königsberg 30 Bauern und einige Bürger hingerichtet; anderwärts erging es ähnlich. Viele Verdächtige entflohen. Jeder Versuch zum gewaltsamen Aufstand unterblieb. –

Rachsucht und Grausamkeit sind stets die charakteristischen Eigenschaften, durch welche sich die Herrschenden nach einem niedergeschlagenen Befreiungsversuch des unterdrückten Volkes auszeichnen. Die Geschichte kennt nicht eine niedergeworfene revolutionäre Bewegung, wo diese Charaktereigenschaft der wieder zur Herrschaft Gelangten sich nicht in ihrem hässlichsten Lichte gezeigt. Auch die Bauern des 16. Jahrhunderts bekamen diese Eigenschaften der Herrennatur in harter und härtester Weise zu empfinden. Nicht genug damit, dass die Herren im Rausche des Sieges köpften, hängten, spießten, vierteilten, folterten, mordeten, sengten, brannten und brandschatzten, Männern die Augen ausstechen und die Finger abhacken, Frauen und Jungfrauen schänden und misshandeln ließen, es wurden auch Racheakte aller Art noch lange nach dem Kampfe verübt. Noch nach Jahren kam es vor, dass Verdächtige eingezogen, gefoltert und aufs Schwerste bestraft wurden; es sind Fälle vorgekommen, wo dieses nach zehn und fünfzehn Jahren noch geschah.

Wie der schwäbische Bund in seinen Landen gewütet, geht daraus hervor, dass er im Ganzen allein 10.000 Bauern und Bürger hatte hinrichten lassen; in ganz Deutschland belief sich der Verlust, den die Bauern durch Schlachten und Gefechte und Massenhinrichtungen erlitten, auf über 100.000 Mann. Die Hinrichtungen wie die sonstigen Bestrafungen dienten aber nicht bloß, um die Rache zu stillen, sondern auch um die Herren zu bereichern. Das Gut der Hingerichteten, wie das der Verbannten oder Entflohenen, wurde überall eingezogen und floss in die Tasche der Herren; Schadenersatzberechnungen, die weit das Maß des zugefügten Schadens überschritten, wurden aufgestellt, um dem armen Manne unerschwingliche Steuern und Brandschatzungen aufzuerlegen, die er teilweise erst nach Jahrzehnten zu bezahlen vermochte. Die Witwen und Waisen, deren Zahl sich auf viele, viele Tausende belief, zogen hungernd, klagend und bettelnd von Ort zu Ort und lagen an allen Straßen. –

In der Schweiz befanden sich förmliche Flüchtlingskolonien, die regelmäßige Zusammenkünfte und Beratungen pflogen und geheime Verbindungen mit der Heimat unterhielten, hoffend, einen zweiten Aufstand hervorrufen und dann wieder zurückkehren zu können. Jahre lang lag Remy von Zimmern, der mit Jäcklein Rohrbach bei Weinsberg hauptsächlich Beteiligte, mit über 200 anderen Flüchtlingen bei Herzog Ulrich auf Hohentwiel. Herzog Ulrich selbst stand mit allen Flüchtlingen in der Schweiz und anderwärts in intimen Beziehungen, weil er darauf rechnete, mit ihrer Hilfe wieder in sein Land zu gelangen, was aber erst 1534, nach länger als fünfzehnjähriger Verbannung, durch ein Bündnis mit dem Landgrafen Philipp von Hessen geschah.

Andere Flüchtlinge hatten sich in den großen und dichten Waldungen der damaligen Zeit versteckt. Dort fanden sie sich zusammen, organisierten sich als Räuberbanden und führten in dieser Gestalt den Kampf gegen die Gesellschaft fort, die sie ausgestoßen, hilfs- und heimatlos gemacht hatte.

Von den bekannten Häuptern des Aufstandes, die der Gefangenschaft und dem Tode entrannen, lebte Pfaff Florian, der Hauptmann des Baltringer Haufens, mit vielen anderen Prädikanten und Geistlichen in der Schweiz. Georg Metzler, der mit Wendel Hipler nach dem unglücklichen Ausgang von Königshofen sich flüchtete, verschwand, man bekam nie mehr etwas von ihm zu hören. Wendel Hipler flüchtete nach Rottweil und verklagte dort die Grafen von Hohenlohe, die ihm sein Vermögen eingezogen. Aber von diesen als einer der Hauptanstifter des Aufruhrs angeklagt, musste er sich von Rottweil entfernen. Auf dem Wege nach dem Reichstag in Speyer, 1526, wurde er von den Häschern des Kurfürsten von der Pfalz gefangen genommen und zu Neustadt ins Gefängnis geworfen, wo er während der Untersuchung noch in demselben Jahre.starb. Matern Feuerbacher, dem Hauptmann des Württembergischen Haufens, gelang es, von Rottweil, wo man ihn gefangen hatte, nach der Schweiz zu entkommen; sein Unterhauptmann, der Führer der Stuttgarter, Theus Gerber, fand in der Reichsstadt Esslingen Aufnahme; Beide gelangten nach langen Jahren wieder in die Heimat und zu ihrem Vermögen. Götz von Berlichingen wurde, trotz seines Verrats, der Prozess gemacht, doch kam er gelinde davon. Er musste Urfehde schwören, sollte nie seine Gemarkung überschreiten und keine Nacht außer seinem Hause zubringen, aber Kaiser Karl V. hob später die Urfehde auf und gab ihm Schutz-, Schirm- und Geleitbriefe

Zum Teil hatten die Herren doch auch ihren Schaden weg. Die Zahl der von den Bauern zerstörten oder niedergebrannten Klöster und Herrensitze belief sich auf über 1000, von denen viele nicht wieder aufgebaut wurden. Der niedere Adel war zum großen Teil verarmt und fiel den Fürsten zum Opfer, die ihn zu Hofdiensten degradierten. Von allen Ständen waren es die Landesfürsten, die allein Vorteil aus der Zeitlage zogen. Sie vergrößerten ihr Land und stärkten ihre Macht, indem sie die Städte sich untertänig machten, viel Kirchengut säkularisierten und den Adel in ihre Dienste zwangen. Durch die Niederwerfung der Bauern war die deutsche Volkskraft auf Jahrhunderte gebrochen. Jetzt zeigte sich auch, dass der Fortschritt auf kirchlichem Gebiete mit dem auf politisch-sozialen aufs Engste zusammenhängt. Überall, wo die Bauern sich erhoben und ihre Forderungen aufgestellt hatten, stand die Forderung der freien Lehre des Evangeliums voran. Sie fühlten instinktiv, dass ihre politisch-sozialen Errungenschaften nur dann vollen Bestand haben könnten, wenn auch ihre religiösen Überzeugungen keinem Zwang mehr unterworfen waren, die Religion nicht als Mittel für neue Unterdrückung angewendet werden könne. Aber als die Verwirklichung ihrer politisch-sozialen Forderungen durch ihre Niederlage unmöglich gemacht worden war, schwand auch jedes Interesse für die religiöse Reform bei ihnen. Sie ahnten, dass die letztere ohne die politisch-soziale nur Lug und Trug sei. Die Reformation, die vor dem Bauernkriege die begründetste Aussicht hatte, ganz Deutschland im Fluge zu erobern, war nach dem Bauernkriege dem Volke gleichgültig geworden, sie war nur noch ein Mittel in der Hand der Fürsten. Unter ihrem Deckmantel rissen sie die Kirchen- und Klostergüter an sich, und unter der Vorgabe, für religiöse Gewissensfreiheit einzutreten, wurde das Streben versteckt, die Kaisermacht vollends zu untergraben und zu vernichten, um sich gänzlich unabhängig von ihr zu machen.

Das Volk sah von jetzt ab dem Kampfe zwischen der protestantischen Fürsten- und der katholischen Kaisermacht in stumpfer Gleichgültigkeit zu. Es wurde auf Befehl seines Fürsten heute reformiert und morgen lutherisch und umgekehrt. Der Kampf um religiöse Lehren und Glaubensansichten war kein Kampf mehr, für den es sich interessierte, seitdem ihm das materielle Interesse daran abhanden gekommen war; der Kampf wurde reines Pfaffengezänk, das die Massen kalt ließ und nur den Fürsten für ihre Zwecke diente. Der einundzwanzig Jahre nach dem Bauernkriege ausbrechende Schmalkaldische Krieg, wie der fast hundert Jahre später ausbrechende dreißigjährige Krieg, obgleich sie beide als religiöse Kriege in der Geschichte gelten und im angeblichen Interesse der religiösen Freiheit des Volkes gekämpft wurden, waren nur politische Interessenkriege der Fürsten. Das Volk, mit Ausnahme des wohlhabenden Bürgertums der Reichsstädte, welches letztere durch die Reformation, gleich den Fürsten, sein politisches und soziales Interesse gefördert fand, war kalt zuschauender und, wie in allen Kriegen, leidender Teil. Dem Bauern wurden Jahrzehnte lang seine Ernten verwüstet, seine Felder zertreten, seine Hütten niedergebrannt und sein Vieh geraubt. Nebenbei wurden seine Frau und seine Töchter geschändet und er selbst, wenn er sich widersetzte, erschlagen. Das war, was für ihn aus diesen Kämpfen erwuchs; wie konnte er sich dafür erwärmen? Er blieb gedrückt, geschunden und ausgebeutet, ob sein Herr ein starrer Katholik, ein eifriger Lutheraner oder ein frommer Reformierter war; sie alle, ohne Unterschied des Glaubens, sogen ihm das Mark aus den Knochen, fraßen ihm das Fleisch vom Leibe.

Jahrhundertelang noch musste er das Joch ertragen, das er abzuschütteln im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts so zahlreiche, vergebliche Anstrengungen gemacht. Erst die Revolutionen des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts brachen das auf ihm lastende Joch entzwei. Mit der Entwicklung des bürgerlichen Kapitals und der kapitalistischen Produktion zerrissen auch die letzten Fesseln der Feudalmacht, sank der absolute Staat in den Staub. Die dinglichen Lasten und persönlichen Fronden wurden ihm erlassen, d.h. er musste sich davon loskaufen, aber dem einen Feind entronnen, fiel er dem anderen zum Opfer.

An die Stelle des Feudalherrn tritt der moderne Kapitalist mit dem Hypothekenbrief in der Hand, und nimmt ihm, dem „freien Mann“, den besten Teil seiner Arbeit wieder ab. Er enteignet ihn seines Besitzes; er degradiert ihn zum armen Häusler oder Tagelöhner, wenn er seinen Verpflichtungen nicht pünktlich nachkommen kann, und zwingt ihn, ihm, dem Kapitalisten, als „freier Arbeiter“ seine Arbeitskraft zu verkaufen. Und was der moderne Kapitalist nicht fertig bringt, vollendet der moderne konstitutionelle Staat. Militär-, Kriegs- und Steuerlasten, Kirchen- und Kommuneauflagen erdrücken ihn und machen ihn auch als „freien“ Mann zum armen Mann.

Die Formen der Unterdrückung und Ausbeutung haben seit drei Jahrhunderten gewechselt, die Unterdrückung und Ausbeutung selbst ist geblieben. Wohl ist der Bauer des neunzehnten Jahrhunderts kultivierter und zivilisierter geworden wie sein Vorfahr aus dem sechzehnten Jahrhundert; so sehr man seine geistige Entwicklung auch vernachlässigt hat, der Fortschritt der Jahrhunderte konnte auch an ihm nicht spurlos vorübergehen. Aber relativ, im Vergleich zu der Lage des großen Gutsherrn von heute betrachtet, ist seine soziale Lage kaum eine bessere geworden.

Aber einen großen Fortschritt hat die moderne Kulturentwickelung herbeigeführt. Sie hat den Gegensatz der Interessen des Landproletariers und des Industrieproletariers aufgehoben, die Überzeugung von der Gemeinsamkeit der Interessen, die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Zusammenwirkens und von der Notwendigkeit der Umformung der Gesellschaft in eine Organisation, die jede Herrschaft und darum auch jede Unterdrückung ausschließt, überall verbreitet, sie hat mit einem Wort: die Überzeugung von der Notwendigkeit der Aufrichtung der Menschengemeinschaft in der Gleichheit und Brüderlichkeit, auf Grund einer den stetigen Fortschritt der Menschheit bedingenden Organisation, zum Gemeingut aller denkenden Köpfe gemacht.

Was die weitestgehenden Köpfe der Bauernrevolution des sechzehnten Jahrhunderts nur dunkel geahnt und unklar erstrebt, das ist bei Beginn des letzten Viertels vom neunzehnten Jahrhundert in überzeugungsvoller Klarheit Gemeingut aller Derer geworden, die sich der Aufgabe gewidmet, die Hindernisse zu beseitigen, die dem Fortschritt der Menschheit auf der Bahn des allgemeinen Glücks und Wohlbefindens entgegenstehen.

Der dunkle religiöse Mystizismus des sechzehnten Jahrhunderts, der für die allgemeine Brüderlichkeit und die Herstellung eines „Gottesreiches“ auf Erden nur schwärmen konnte, hat sich im neunzehnten Jahrhundert zum bewussten wissenschaftlich-materialistischen Sozialismus entwickelt, der die Religion und den Himmel Preis gibt, aber um so fester sich an die Erde hält, um an Stelle des nur in der Einbildung bestehenden himmlischen Paradieses das wirkliche irdische zu setzen.

Mögen Bauern und Arbeiter vereint mit allen Denen, die ihr Idealismus treibt, die Menschheit aus den Banden der materiellen Not und der geistigen Unfreiheit zu erlösen, sich die Hände reichen und gemeinsam den schönsten und größten Befreiungskampf kämpfen, den die Welt je gesehen. Eine neue Zeit ist im Erstehen, überall ist das bestehende Alte im Absterben begriffen. Alle Verhältnisse befinden sich in Gärung, die Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit hat sich aller Kreise bemächtigt. Zu keiner Zeit in der Geschichte hat die Gesetzgebungsmaschine der herrschenden Klassen so eifrig gearbeitet wie jetzt, und dennoch ist nirgends Wohlbehagen im Genuss, Stetigkeit in der Tätigkeit vorhanden. Der Rahmen, in dem die Gesellschaft sich bewegt, ist ihr zu eng geworden, in ihrer jetzigen Organisation ist sie unfähig, die Aufgaben, welche die moderne Menschheit hat, zu lösen.

Das materielle wie intellektuelle Lebensbedürfnis der Massen können Staat und Gesellschaft von heute nicht mehr befriedigen. Beide stehen in ihrer Herrschaftsform mit allen wahren Kulturinteressen im Widerspruch. Arbeiten, ringen und kämpfen wir, um sie durch Höheres und Edleres zu ersetzen. Das Ziel ist der größten Anstrengung wert und der Sieg gewiss.


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