[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 5. Jahrgang, Nr. 14, 10. Juli 1895, S. 105 f.]
Zahlreicher, lauter und bitterer als je erklingen in unseren Tagen die Klagen proletarischer Berufsarbeiterinnen über die Schmutzkonkurrenz, die sie seitens „besserer Frauen“ und „höherer Töchter“ erfahren. Zumal in den Zweigen weiblicher Nadeltätigkeit, die vorwiegend als Heimarbeit betrieben werden, macht sich diese Schmutzkonkurrenz schwer fühlbar. Hunderte und Hunderte von Proletarierinnen, die getrieben vom Elend höheren Lohn fordern, werden von dem Unternehmer abschlägig beschieden unter Hinweis auf die viel niedrigeren Preise, zu denen „vornehme Damen“ die gleichen Arbeiten verrichten. Hunderte und Hunderte von proletarischen Frauen und Mädchen fliegen aus Lohn und Brot, weil billigere „gebildete“ Schmutzkonkurrentinnen sie verdrängen.
Woher diese Erscheinung? Weil die Zahl der klein- und mittelbürgerlichen Mädchen mehr und mehr zusammenschmilzt, die durch eine Ehe eine „standesgemäße“ Versorgung finden. Weil die Zahl der klein- und mittelbürgerlichen Frauen immer geringer wird, denen der Mann einen „standesgemäßen“ Lebensunterhalt zu bieten vermag.
Das steigende Angebot „vornehmer“ weiblicher Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkte der Industrie ist ein Anzeichen dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Triumph des Großkapitals immer weitere Schichten des Mittelstandes nach obenhin zu Grunde richtet, immer rascher mit den Zwischengliedern zwischen Kapitalistenklasse und Proletariat aufräumt. Sie ist ein Anzeichen dafür, dass sich das Kapital in einer täglich kleiner werdenden Zahl von Händen aufhäuft, dass sich die Klassengegensätze immer schärfer zu dem Punkt zuspitzen, wo mit der Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln die Befreiungsstunde der Arbeiterklasse schlägt.
Aber der nämliche Vorgang, der uns dem Ideal der Zukunft näher führt, ist auch von Folgen begleitet, welche das Proletariat, erster Linie aber Tausende von Arbeiterinnen, in den augenblicklichen Lebensinteressen schwer schädigen.
Die Einbeziehung der Frauen und Mädchen des Mittelstandes in das Heer der Industrie- und Berufsarbeiter bedeutet nicht bloß die Proletarisierung des Mittelstandes. Sie bedeutet gleichzeitig auch die denkbar schmachvollste Schmutzkonkurrenz für die Arbeiterinnen, ein Herabdrücken ihrer Löhne zu Hungerlöhnen, eine Verschlechterung ihrer Lebenslage, damit aber auch eine Schwächung ihrer Widerstandskraft der kapitalistischen Ausbeutung gegenüber, eine Schwächung der revolutionären Energie, mit welcher die Lohnsklavinnen am Kampfe der Arbeiterklasse teilnehmen müssten. Pflicht der Arbeiterinnen ist es deshalb, sich mit aller Kraft gegen die Schmutzkonkurrenz der „besseren Frauen“ und „höheren Töchter“ zu wehren.
Gewiss, die Konkurrenz überhaupt der weiblichen Arbeitskräfte verhindern wollen, welche durch den wirtschaftlichen Ruin des Mittelstandes auf den Arbeitsmarkt geworfen werden, wäre ebenso töricht und aussichtslos als das frühere Streben der Arbeiter, die Konkurrenz der Arbeiterinnen zu beseitigen. Die wirtschaftliche Entwicklung bringt es unvermeidlich mit sich, dass auch die Klein- und Mittelbürgerinnen zu Berufsarbeiterinnen werden. Ihre Verwandlung zu solchen ist eine Vorbedingung für die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. Die weiblichen Angehörigen des Mittelstandes, welche durch ihre berufliche Tätigkeit auf irgend einem Gebiete der Hand- oder Kopfarbeit ihren Lebensunterhalt unter den gleichen Bedingungen erwerben müssen wie die Frauen und Mädchen, welche dem Proletariat entstammen, sie sind zwar unvermeidlich deren Konkurrentinnen, aber auch ebenso unvermeidlich ihre Leidensgefährtinnen und müssen mit der Zeit zu ihren Bundesgenossinnen und Kampfesgefährtinnen werden. Die Verhältnisse proletarisieren nicht nur ihre wirtschaftliche Lage, sie proletarisieren nach und nach auch ihre Anschauungs- und Denkweise, lassen sie ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse erkennen, führen sie aus eigenem Interesse an höheren Löhnen und kürzerer Arbeitszeit, an einer Umgestaltung der Gesellschaft zu einer sozialistischen in den Kampf gegen die Kapitalistenklasse und für die Befreiung des Proletariats.
Durchaus anders liegen die Dinge gegenüber den „Damen der besseren Stände“, für welche die Geldarbeit nicht eigentliche Berufsarbeit ist, nicht Broterwerb, vielmehr Nebenerwerb, der ihnen nach bürgerlich vorurteilsvollen und dünkelhaften Begriffen ein „standesgemäßes“ Auftreten ermöglichen soll. Der Unterhalt dieser Damen wird meist ganz oder zum größten Teil durch das Einkommen, den Gehalt des Gatten, des Vaters gedeckt. Sie arbeiten nicht unter den Peitschenhieben des Hungers Tag und Nacht für das Stück Brot, sie füllen vielmehr müßige Stunden mit „nützlicher“, lies: etwas einbringender Tätigkeit aus, um es an Luxus der Toilette und der Haushaltung, an Modetorheiten und Genuss den großkapitalistischen „Schwestern“ annähernd gleichtun zu können. Denn wenn die Damen des Mittelstandes auch gelegentlich mit hohler Tugendheuchelei gegen die „Verirrungen“ der Großbourgeoisie poltern, so ist es ihnen doch ein Hochgenuss, deren Laster nachzuäffen, dafern es materiell nur möglich gemacht werden kann. Die „besseren Frauen“, welche heimlich für ein Geschäft sticken und häkeln, „um dem lieben Männchen eine Überraschung mit einem neuen Schlafrock zu bereiten“, der sich meist über Nacht in ein Kleid funkelnagelneuester Mode für die „fleißige Arbeiterin“ verwandelt; die „höheren Töchter“, welche nähen und schneidern, um wöchentlich ein paar Stunden beim Konditor mit Freundinnen naschen und plaudern zu können: sie sind nicht gleichgestellte, gleich leidende und nur der nötigen Erkenntnis ermangelnde Konkurrentinnen der Berufsarbeiterinnen, sie sind deren schändliche Schmutzkonkurrentinnen, ganz gleich auf welchem Gebiete sie sich betätigen. Sie arbeiten unter anderen Lebensbedingungen als diese für den Markt, sind der Notwendigkeit des Broterwerbs enthoben und verkaufen deshalb ihre Arbeitskraft für schlechtere als Kulilöhne. In einträglichster Weise helfen sie in der Folge die Profite der kapitalistischen Unternehmer mehren, in verhängnisvollster Weise drücken sie in der Folge die Lohnsätze der Berufsarbeiterinnen tiefer und tiefer herab.
Von der Einsicht dieser „feinen Damen“ eine Besserung der gekennzeichneten Verhältnisse erwarten, hieße Feigen von den Dornen und Trauben von den Disteln ernten wollen. Sie, die sich gewöhnlich ihrer Arbeit schämen und um keinen Preis eingestehen wollen, dass sie für Geld schaffen, sie, denen der Schein der bürgerlichen Standesgemäßheit über alles geht – das Kapitel über geheime Prostitution und eine Unzahl von Prostitutionsehen gibt erbaulichen Aufschluss darüber – wollen nie und nimmermehr von einem Zusammengehen mit dem Proletariat wissen, das sie wirtschaftlich mit dem Ärmel streifen, wenn sie nicht schon mitten drin stehen, und zwar im Lumpenproletariat. Diese Damen sind nicht zu belehren, ihre Schmutzkonkurrenz muss vielmehr als Helfershelferin der ärgsten kapitalistischen Ausbeutung seitens der Arbeiterinnen mit aller Macht bekämpft werden, die ihnen die klare Erkenntnis ihrer Lebensinteressen und die Organisation verleiht. Kampf diesem Kulitum der Frauen und Töchter „gebildeter Stände“. Es gilt zu verhindern, dass Tausenden von Proletarierinnen das ohnehin schon knapp zugeschnittene Stück Brot noch kärglicher zugeschnitten werde.
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