August Bebel: Aus Norddeutschland

[Nr. 842, Korrespondenz, Die Gleichheit, Wien, I. Jahrgang, Nr. 39, 17. September 1887, S. 6 f.]

Aus Norddeutschland,13. September. Das Privat-Spiritus-Monopol oder, wie es hier zu Lande kurz genannt wurde, der Spiritussring ist einstweilen in die Brüche gegangen. Die Zahl der Interessenten ist zunächst eine zu große, und die Interessen dieser Interessenten stellten sich als noch zu verschiedenartig heraus, als das der Plan auf den ersten Wurf hätte gelingen sollen. Aber die Idee ist geboren und sie wird in der einen oder der anderen Form früher oder später Verwirklichung finden, denn die Monopolisierung der Industrie in großkapitalistischen Händen liegt in der Luft. Fourier, einer der schärfsten Denker, kündigte das Privatmonopol schon vor mehr als 60 Jahren als eine Phase der bürgerlichen Entwicklung „der Zivilisation“, wie er sie nannte, an und er behält Recht. Die riesige Entwicklung unserer Produktions- und Verkehrsmittel, die durch den auf immer höherer Stufenleiter sich entwickelnden Konkurrenzkampf erzeugten Massenprodukte und ihre für kaum möglich gehaltene Verbilligung, bringen selbst die Großkapitalisten in eine Lage, die sie an der Richtigkeit des laissez faire verzweifeln lässt. Sie sehen ein, das sie in diesem ins Riesenhafte sich entwickelnden Konkurrenzkampf sich gegenseitig auffressen, und was liegt näher als dass man sich zu verständigen, Produktion und Preise zu monopolisieren sucht. Dies ist möglich, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind, erstens dass die Zahl der Konkurrenten eine beschränkte ist, zweitens das die Konkurrenten selbst untereinander sich ziemlich ebenbürtig gegenüberstehen. Die geringe Zahl erleichtert die Verständigung, die gewisse Ebenbürtigkeit in Bezug auf die Kapitalkraft und die Organisation der Produktion schafft größere Interessengleichheit. Wird nun noch durch ein Gesetz, wie es das neue Branntweinsteuergesetz im Deutschen Reiche ist, ein erheblicher Zwang gegen die beliebige Vermehrung der Konkurrenten ausgeübt, so sind eigentlich alle Bedingungen zur Monopolisierung eines Industriezweiges vorhanden. Darum wird, sobald dass Gesetz erst praktisch ins Leben trat und alle Interessenten klar erkennen können, welche Wirkungen es ausübt und welche Vorteile es ihnen bietet, der Plan des Privatmonopols mit Aussicht auf weit größeren Erfolg wieder aufgenommen werden.

Die deutsche Kapitalistenklasse arbeitet noch an der Monopolisierung einer anderen wichtigen Industrie. Die Raubwirtschaft in der Ausbeutung unserer Steinkohlenlager hat schon seit Langem einen solchen Preisdruck erzeugt, das eine ganze Reihe schwer abbaufähiger Werke dem Kapitalisten kaum noch eine Rente gewährt. Dabei hat die Ausbeutung der Arbeitskräfte ein früher nie geahntes Maß erreicht. Die Macht unserer westfälischen und rheinischen Kohlenbarone hat es nun bei dem preußischen Handelsminister*) schon vor Monaten durchgesetzt, das sie eine zehnprozentige Produktionseinschränkung eintreten lassen durften, was nur möglich war, wenn die Staatswerke sich diesem Vorgehen anschlossen. Man hoffte damit, eine entsprechende Preissteigerung der Kohle und einen weiteren Druck auf die Löhne durch Arbeiterentlassungen erreichen zu können. Allein die Hoffnungen sind fehlgeschlagen. so taucht also jetzt vom Neuem der Plan auf – er war schon einmal auf der Bildfläche erschienen aber rasch wieder verschwunden – für das rheinisch-westfälische Kohlenrevier ein allgemeines Syndikat für den Kohlenverkauf zu errichten. Sämtliche Zechen-Verwaltungen sollen sich verpflichten, an das aus einem Kapitalisten-Konsortium bestehende Syndikat ihre Produktion zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Das Syndikat seinerseits übernimmt den Verkauf und Vertrieb der Kohle an die Konsumenten, es setzt also den Preis fest, so weit ihm dieser nicht durch die Konkurrenz der englischen Kohle diktiert wird. Das sächsische und das schlesische Kohlenbecken sind soweit abgelegen, dass die Höhe der Transportkosten die Konkurrenz sehr erschwert, denn der Transport kann nur per Bahn stattfinden und ist im Vergleich zum Wassertransport, welcher der englischen Kohle längs der deutschen Küste und durch die großen Ströme auch ins Binnenland offen steht, teuer

Nimmt der gekennzeichnete Plan feste Gestalt an, so wird es zunähst an lebhafter Opposition nicht fehlen. Das Syndikat, das die Kohlenproduktion vorschreibt, hätte auch die Regulierung der Löhne in der Hand und es ist anzunehmen, das ein Sturm der Empörung die rheinisch-westfälischen Bergarbeiter ergreift, sobald sie sehen, in wessen Hände sie auf Gnade und Ungnade gelangen sollen Hinter den Arbeitern aber stehen die Tausende von Existenzen, die an der materiellen Lage der Arbeiter sehr lebhaft interessiert sind: die Hausbesitzer, die Wirte, Fleischer, Bäcker, Krämer, Handwerker etc. Eine noch bedenklichere Opposition droht dem Monopolistenkomplott von anderer Seite, von Seiten der Industriellen, welche die Hauptabnehmer der Kohle sind und in der Verteuerung dieses wichtigen Materials mit Recht eine bedenkliche Erhöhung ihrer Produktionskosten erblicken. Bereits ist der Kampf unter den verschiedenen Interessentengruppen, wenn zunächst auch nur unter der Decke spielend entbrannt. Der Reiz des Gewinnes durch ein Kohlenverkaufsmonopol ist aber ein so kolossaler, das die gierigen Plänemacher sich nicht so leiht aus dem Felde schlagen lassen werden. Ist erst einmal ein solcher Plan gelungen, so wird man erstaunen, wie auf anderen Gebieten die gleichen Pläne wie die Pilze aus dem Boden schießen Durch die Kartellverträge in einer ganzen Reihe von Großindustrien, die in den letzten Jahren unter der gewaltigen Entwicklung der Konkurrenz litten und sich über Produktionseinschränkungen und Preisnormierungen verständigten, wie z.B. in der Eisenindustrie, der Papierfabrikation, der chemischen Industrie, der Strohstofffabrikation etc., ist der Boden für die Monopolisierung geebnet. Das Privatmonopol ist die neue Wirtschaftsstufe, auf welche unsere kapitalistische Entwicklung drängt, sie ist aber auch diejenige Stufe, welche der Privatwirtschaftsform den Untergang bereitet, weil sie den Beschränktesten die Ungeheuerlichkeit unseres heutigen Wirtschaftssystems mit Händen greifen lässt und dem Umsichgreifen der sozialistischen Ideen den gewaltigsten Vorschub leistet. Von diesem Gesichtspunkte aus sind diese privatmonopolistischen Bestrebungen nur zu begrüßen […] sie bilden den letzten Nagel zum Sarge der bürgerlichen Gesellschaft.

Die offene [?] Einberufung des sozialdemokratischen Parteitages hat in der deutschen Presse eine Art Konsternation hervorgerufen. Ein Teil derselben glaubte anfangs an eine Mystifikation, sie wurde aber rasch eines Andern belehrt. Die Regierungspresse, und zwar die gekaufte wie die freiwillige – und zu beiden Kategorien zählen mehr als drei Viertel sämtlicher politischer und unpolitischer Blätter in Deutschland – die erst unmittelbar vor dem Erscheinen des Aufrufes von allen möglichen Spaltungen in der deutschen Sozialdemokratie fabelte, und behauptet hatte, die Führer wagten aus Furcht vor den eigenen Parteigenossen keinen Kongress einzuberufen, ist über die Einberufung sehr verstimmt, namentlich da auch die Form unangreifbar ist und zu neuen Prozessen keinen Anlas bietet. Im Übrigen wird dafür gesorgt werden, dass auch die Verhandlungen des Parteitages weder unserer Polizei noch unseren Staatsanwälten das ersehnte Material zum Einschreiten liefern. Der Besuch des Parteitages dürfte ein sehr guter werden, die Stimmung der Parteigenossen ist allerwärts eine vortreffliche und an Leuten, welche geneigt sind die großen Opfer für einen Besuch desselben zu bringen, wird es nicht fehlen.

Gegen Mitte Oktober soll endlich der große Breslauer Geheimbundprozess seinen ersten offiziellen Abschluss finden. Es heißt, wegen der großen Zahl der Angeklagten und der großen Zahl der Zeugen müsse man die Schwurgerichtsperiode, die am 8. Oktober zu Ende geht, erst abwarten, damit man den Schwurgerichtssaal zur Verfügung habe. Nach diesen Ankündigungen sollte man glauben, es handle sich um eine große, das ganze Deutsche Reich hoch angehende Aktion. Das Resultat, das mit so viel Aufwand von Zeit, Menschenkraft und Kosten schließlich erzielt wird, dürfte noch kläglicher verlaufen, als jenes Schauspiel, das sich kürzlich in den Räumen des Altonaer Landgerichtes abspielte und dazu führte, das von 12 Angeklagten schließlich 5 im Maximum mit fünf Monaten Gefängnis bestraft wurden. Sollten selbst die Breslauer Richter sich zu höheren Strafen versteigen, der Prozess wird nichtsdestoweniger Vielen als eine Farce erscheinen und als ein Zeichen der Schande von den traurigen Zuständen im Deutschen Reich.

*) Fürst Bismarck, der sich der rheinisch-westfälischen Großindustriellen überhaupt nach jeder Richtung sehr zuvorkommend erweist.


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