[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 5. Jahrgang, Nr. 3, 6. Februar 1895, S. 17 f.]
Nur vereinzelt und schüchtern regt sich in der bürgerlichen Frauenwelt Deutschlands das Verlangen nach politischer Aufklärung und politischen Rechten. Kraftvoll dagegen ist dieses Verlangen empor gesprosst und hat sich zu bewussten, entschiedenen Forderungen ausgewachsen innerhalb Deutschlands Frauenproletariat. Ein Beweis mehr dafür, dass die Frauenwelt der Besitzenden wie der Nichtbesitzenden teilnimmt am geschichtlichen Vergehen und Werden ihrer Klasse, dass sie Fleisch von deren Fleisch und Bein von deren Bein ist.
Die Frauen, denen ihre Klassenzugehörigkeit die Anwartschaft auf eine gewisse Bildung als Erbgut in die Wiege legt, sie stehen im großen Ganzen dem öffentlichen Leben stumpfsinnig gegenüber. Stumpfsinnig tragen sie ihre soziale Unterbürtigkeit als etwas Selbstverständliches, und als Zierde erscheint ihnen vielfach noch, was eine Kette ist. Weite Schichten der Frauen dagegen, für welche ihre Armut die Bildung zur verbotenen Frucht macht, nach der sie nur unter schwersten Opfern flüchtig greifen dürfen, sie zeigen offenes Auge für unsere Zeit. Klar empfinden sie ihre politische Rechtlosigkeit als eine Schmach, die um so drückender lastet und um so ernster gehasst wird, weil diese Rechtlosigkeit sie der Waffen beraubt, mit denen sie ihre Klassensklaverei nachdrücklichst bekämpfen können. Und deshalb sind es die Kreise der zielklaren Proletarierinnen, welche laut, energisch, bewusst die Forderung erheben: Wir wollen das Vereins- und Versammlungsrecht! Wir wollendas Wahlrecht! Ihre Klassenlage, ihr Klassenleiden hat aus ihrem Hirn das Spinnengewebe vorurteilsvoller Begriffe über die Rechte und Pflichten des Weibes weg gestäupt. Ihre Klassenlage, ihr Klassenleiden hat sie erzogen zu Kämpferinnen für die Freiheit ihrer Klasse und ihres Geschlechts.
Hart fronden Millionen proletarischer Frauen und Mädchen im Joche des Unternehmertums. Ihre Arbeit schafft diesem nicht bloß Brot, Freiheit und Kultur, sondern Überfluss, Macht und Raffinement. Ihnen selbst aber, den fleißigen Arbeitsbienen, fällt Not, Knechtschaft und Unbildung als Los. Mit der ganzen Wucht seines wirtschaftlichen Übergewichts stürzt sich das Unternehmertum auf die Lohnsklavinnen. Ihnen schneidet es das Stück Brot am schmälsten in die Hand, sie presst es bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit aus, nicht bloß ihre Arbeitskräfte macht es sich tributpflichtig, oft auch noch ihr Weibtum. Warum das? Weil die bürgerliche Gesellschaft die wirtschaftlich schwache Proletarierin dem wirtschaftlich starken Kapitalisten auf Gnade und Ungnade ausliefert. Weil die Proletarierin in ihrer Eigenschaft als Frau ein noch billigeres und fügsameres Ausbeutungsobjekt ist als der Mann ihrer Klasse.
Der Widerstand, den die einzelne Arbeiterin dem Profihunger des Unternehmertums nicht entgegenzusetzen vermag, er muss sich zu ihren Gunsten geltend machen durch die gewerkschaftliche Organisation. In der Organisation zur Macht zusammengeschweißt, vermögen die Proletarierinnen einzig und allein für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, d.h. für menschenwürdige Lebensverhältnisse. Die Macht der Mehrwertpresser muss durch das Vereins- und Versammlungsrecht der Arbeiterklasse in Schach gehalten werden. Auf die Ausbeutungsfreiheit der Kapitalistensippe muss die Koalitionsfreiheit des Proletariats die richtige Antwort geben. Gleichheit im Punkte der Ausbeutung hat die kapitalistische Entwicklung zwischen den Männern und Frauen des Proletariats geschaffen. Gleichheit mit dem Manne verlangt deshalb die proletarische Frau bezüglich der Waffen, mittels deren sie ihre Lebensinteressen verteidigen kann. Und so ertönt in unseren Tagen von Hunderttausenden von Proletarierinnen der Ruf: „Wir wollen das Vereins- und Versammlungsrecht! Wir fordern die Koalitionsfreiheit!„
Aber nicht bloß die Geißel der wirtschaftlichen Übermacht der Kapitalistenklasse fühlt die Proletarierin auf ihrem Rücken. Auch unter ihrem sozialen Übergewicht, unter ihrer politischen Macht muss sie den Nacken beugen. Tagtäglich spürt es die proletarische Frau, dass der Kapitalistenklüngel im Rohr der Gesetzgebung sitzt und sich Pfeifen schneidet. Ihre Erwerbs- und Lebensverhältnisse erleiden den Einfluss einer Handelspolitik, welche im Zeichen des Profits der Kraut -, Schlot- und Börsenjunker steht. Unter dem Drucke des Großkapitals verwandeln sich die dürftigen Ansätze dürftigen Arbeiterschutzes in protzigsten Arbeitertrutz. Um den Besitz zu schonen werden dem Armen und Ärmsten die schier unerschwinglichen Lasten der indirekten Besteuerung auferlegt. Der Militarismus verschlingt Riesensummen, damit das „herrliche Kriegsheer“ den „inneren Feind“ niederkartätschen kann, damit die Nichtbesitzenden für Zeit und Ewigkeit der Knechtschaft und Ausbeutung überliefert bleiben. Wo das werktätige Volk selbstbewusst sein Haupt erhebt und für sein Recht streiten will, da fällt eine reaktionäre Gesetzgebung dem Kämpfenden in den Arm, da beschwören juristische Hexenmeister aus dem reaktionären Gesetzestext einen noch reaktionäreren Geist herauf. Und was die werktätige Masse unter diesen Verhältnissen leidet, die Frauen dieser Masse leiden es mit. Die Lasten, welche den Habenichtsen aufgebürdet werden, die proletarische Frau muss sie aus ihrem schmalen Beutel zahlen helfen. Die politische und soziale Vergewaltigung, welche die Arbeiterklasse erfährt, sie macht sich am ersten und am härtesten der Proletarierin fühlbar.
Nur durch die politische Organisation des Proletariats zur Partei des Klassenkampfs kann die Übermacht der Kapitalistenklasse gebrochen werden, welche solches Unrecht zeitigt. Nur der Klassenkampf aller Enterbten auf politischem Gebiet schafft in Gestalt von durchgreifenden Reformen Ellbogenfreiheit für die Entwicklung und das Ringen der Gegenwartssklaven und Zukunftsfreien. Nur dieser Kampf zertrümmert die Gesellschaft, in welcher die Proletarierin die Ketten der Klassensklaverei tragen muss, in welcher ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit zufolge sich ihr Menschentum nie frei entfalten kann. Und deshalb muss die Proletarierin gleich gerüstet und gleich wehrtüchtig wie der Mann ihrer Klasse im Kampfe gegen das kapitalistische Protzentum und die bürgerliche Gesellschaft stehen. Gleichen Schritts mit ihm muss sie vorwärts marschieren zur Eroberung der politischen Macht, die das Proletariat in seine Dienste zwingt, als die Geburtshelferin einer neuen Zeit. Und so ertönt in unseren Tagen von Hunderttausenden von Proletarierinnen der Ruf: „Wir fordern unsere politische Gleichberechtigung! Zum Zahlrecht wollen wir das Wahlrecht!„
Bürgerliche Frauen wallfahrten behufs Verwirklichung ihrer Ziele in demütigen Bittgängen vor Throne und Regierungen. Proletarische Frauen tun in Volksversammlungen bewusst und eindringlich ihren Willen kund. Deshalb heraus Ihr Arbeiterinnen, die Ihr in dumpfiger Werkstatt rackert, die Ihr im weiten Fabriksaal schuftet und schanzt, die Ihr tagaus tagein über der Singermaschine seufzt! Heraus auch Ihr proletarischen Frauen, die Ihr am ärmlichen Herd unter schwarzen Sorgen schaltet und waltet, die Ihr nicht sicher seid, ob Ihr nicht morgen schon Wirtschaft und Kindern den Rücken kehren müsst, um fern vom Hause ein Stück Brot zu verdienen! Heraus Ihr Alle für eine Stunde aus Eurem Alltagsleben und Alltagsleiden! Und hinein in die Versammlungen, welche Eure politische Gleichberechtigung fordern! Hinein in die Versammlungen, welche zusammen mit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion im Namen des klassenbewussten deutschen Proletariats die Vereins- und Versammlungsfreiheit, das Wahlrecht auch für das weibliche Geschlecht heischen! Bürgerliche Frauen mögen ihre Rechte von den Herrschenden zu erbitten suchen, proletarische Frauen erkämpfen sie gegen die Gewalthaber. Wir gehen unsere eigenen Wege und gehen sie zusammen mit unserer Klasse. Im Lager der Reform mag man petitionieren. Wir Proletarierinnen im Lager der Sozialdemokratie, wir demonstrieren.
Schreibe einen Kommentar