[Nr. 858, Korrespondenz, Die Gleichheit, Wien, I. Jahrgang, Nr. 42, 8. Oktober 1887, S. 3-5]
Vier und ein halbes Jahr sind verflossen, seitdem die deutsche Sozial-Demokratie zum letzten Mal unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes einen Kongress im Ausland, und zwar in Kopenhagen, hielt. Die Wirkungen dieses Kongresses machten sich in zweierlei Richtung bemerkbar. Einesteils gab derselbe der ganzen inneren Entwicklung der Partei einen sehr lebhaften Impuls, wie das der Ausfall der Reichstagswahlen im folgenden Jahre bewies, anderenteils gab er die Veranlassung zu einer Ära gerichtlicher Verfolgungen, die heute noch nicht abgeschlossen ist. Beide scheinbar so widersprechende Resultate standen dennoch in innigster Verbindung miteinander. Der glänzende Verlauf des Kopenhagener Kongresses mit seiner nachhaltigen günstigen Wirkung auf dass innere Parteileben in Deutschland brachte die Regierungen zur Erkenntnis, das das Sozialistengesetz für die Partei seine Schrecken verloren habe, das es unmöglich sei, auf dem bisher betretenen Wege allein mit der Partei fertig zu werden, das man zu anderen Mitteln greifen und versuchen müsse, was das Sozialistengesetz nicht ermöglichte, auf dem Boden des gemeinen Rechts, mit Hilfe der Strafgesetze zur Durchführung zu bringen. Man beschloss also gegen einen Teil der Kopenhagener Kongressbesucher zunächst den Versuch mit der neuen Methode zu machen und falls dieser Versuch gelinge, weiter vorzugehen.
Streng genommen war damit offiziell der Bankrott der Ausnahmegesetzgebung ausgesprochen und die Logik gebot, ferner davon abzusehen. Aber wer da glaubt, das bei Maßnahmen einer regierenden Gewalt gegen politische Gegner die Logik und die Vernunft das entscheidende Wort sprechen, der irrt. In dem Bewusstsein, dem Gegner die gefürchteten Waffen, deren er sich bedient, nicht aus der Hand schlagen zu können, wird die machthabende Gewalt lieber einen zweiten Fehler dem ersten folgen lassen, als eingestehen, das sie sich täuschte. Wer einmal den Weg der Gewalt betreten hat, wird mit innerer Notwendigkeit bis zum Verbrauch seiner letzten Kräfte und Mittel weiter getrieben. so war es früher, so ist es heute, daran hat alle geschichtliche Erfahrung nichts geändert. So ging man also in Deutschland auch gegen die Sozial-Demokratie statt milder nur schärfer vor. Neben das Ausnahmegesetz trat die kühne und kühnste Auslegung des Strafrechtes, um den erhofften Erfolg zu erreichen.
Anfangs misslang der Versuch. Die von dem Chemnitzer Landgericht wegen Geheimbündelei und gesetzwidriger Verhinderung der Ausführung bestehender Gesetze Angeklagten wurden wider Erwarten der Urheber des Prozesses freigesprochen. Aber wozu ist das Reichsgericht da, wenn nicht dazu, um unbequeme Urteile nicht genügend gefügiger Richter aufzuheben und den Gesetzesparagrafen die nötige kautschukartige Anwendung zu ermöglichen? Das Reichsgericht hob das Chemnitzer Urteil auf und verwies den Prozess auf Grund seiner Auslegung der bezüglichen Gesetzesparagrafen vor das Freiberger Landgericht, das, nunmehr dem Wink gehorchend, nicht nur die Verurteilung der Angeklagten, sondern auch die Verurteilung zu einer möglichst hohen Strafe aussprach Damit war für das Deutsche Reich eine Art neues Recht auf Grund alter Gesetzesparagrafen geschaffen, das jetzt von Seiten strebsamer Staatsanwälte und loyaler Richter die weiteste Anwendung nach den verschiedensten Richtungen hin fand. Eine Menge von Prozessen und Verurteilungen waren die Folge und noch in diesem Augenblicke steht die neue Prozessära in vollster Blüte und erzeugt ihre Früchte.
Auf die Taktik der Partei konnte diese neue Art der Verfolgung nicht ohne Wirkung bleiben. so dringend allseitig die abermalige Abhaltung eines Kongresses in der ganzen Partei gewünscht wurde, zu dessen Einberufung die Parteileitung – die Reichstagsfraktion – laut früherer Kongressbeschlüsse auch verpflichtet war, die frühere Form der Kongresse war unmöglich
Die Gegner triumphierten, sie wähnten die Partei ins innerste Mark getroffen und fernere größere Beratungen der Partei unmöglich gemacht zu haben. Nun sind aber zeitweilige Zusammenkünfte von Vertretern und Vertretenen in einer demokratischen, auf die breiten Massen sich stützenden Partei unumgänglich notwendig, sollen nicht Missverständnisse und daraus hervorgehendes Misstrauen bei den Massen, die Neigung ohne Rücksicht auf die Stimmung der Massen zu handeln und mehr oder weniger diktatorisch zu verfahren, bei den Leitern einer Partei sich einstellen, und es lässt sich nicht bestreiten, das nach dem Glauben der einen wie der anderen Seite, diese charakteristischen, auf mangelhafter gegenseitiger Fühlung beruhenden Eigenschaften sich gegenseitig bemerkbar machten. so entschied sich die Reichstagsfraktion der deutschen Sozial-Demokratie, nachdem die Tragweite der neuen Rechtsprechung sich übersehen lies und die Opfer derselben zum größten Teile die Gefängnisse verlassen hatten, zur Einberufung einer freien Vereinigung der Parteigenossen, die unter dem Namen eines Parteitages stattfinden sollte. Unseren Lesern ist der bezügliche Aufruf aus der Nr. 37 der „Gleichheit“ bekannt, wir verweisen darauf. Der bestehende Zustand in Deutschland machte das Tagen eines Parteitages im Reiche unmöglich, so musste derselbe, wie früher die beiden Kongresse, im Ausland stattfinden. Ort und Zeit wurden aus Rücksicht auf mögliche diplomatische Interventionen der deutschen Reichsregierung geheim gehalten und das Geheimnis wurde vortrefflich bewahrt.
Als nun in Folge der Anweisung der Einberufer des Parteitages am letzten Sonntag die Besucher desselben von den verschiedensten Seiten aus Deutschland in St. Gallen in der Schweiz zusammenkamen, hatten weder die Machthaber in Berlin noch sonst wo in Deutschland die geringste Kenntnis davon, anderenteils waren die Lokal- und Einquartierungsfragen seitens der Arrangeure so vortrefflich gelöst worden, das sie den allgemeinen Beifall der Teilnehmer fanden. Aber auch die Frage, ob der Parteitag erwünscht und notwendig sei, wurde schon durch den zahlreichen Besuch der Vorversammlung am Sonntag Abend in befriedigendster Weise beantwortet. Mit Ausnahme des äußersten Nordostens Deutschlands, in dem die Partei, abgesehen von Königsberg, in Folge der meist ländlichen Bevölkerung und der sehr geringen industriellen Entwicklung, nur geringe Ausbreitung hat, waren aus allen Hauptorten und industriellen Bezirken Deutschlands Besucher anwesend. Die Zahl der Anwesenden am Sonntag Abend betrug 65, sie wuchs im Laufe des nähten Tages auf zirka 80, eine Kopfzahl, wie sie auf keinem der früheren Kongresse vorhanden war. Sicher ist dieser starke Besuch ebenso sehr ein erfreuliches Zeichen von der außerordentlichen Opferwilligkeit der Parteigenossen, wie von der Furchtlosigkeit, denn politische Verfolgungen und Maßregelungen werden nicht ausbleiben, wenn auch kaum anzunehmen ist, dass es dem Scharfsinn der deutschen Staatsanwälte und Gerichte gelingen dürfte, ähnlich wie nach Kopenhagen eine strafrechtliche Verurteilung herbeizuführen. Nach dieser Richtung haben die Einberufer nach den bisher gemachten Erfahrungen es sorgfältig zu vermeiden gesucht, das Anklagematerial zu liefern.
Nachdem man in der Vorversammlung die üblichen Begrüßungen und Vorstellungen vorgenommen hatte, kam man überein, nächsten Vormittag die Verhandlungen um 9 Uhr mit der Wahl des Präsidiums zu beginnen. Der frühere Reichstags-Abg. Auer, der namens der Einberufer die Begrüßung der Vorversammlung vorgenommen hatte, eröffnete auch die erste offizielle Sitzung und leitete die Wahl des Präsidiums, welche auf die Reichstags-Abg. Singer und Hasenclever fiel, die durch Akklamation gewählt wurden. Alsdann erhielt Bebel anstatt des erkrankten Grillenberger das Wort, um den Rechenschaftsbericht des Fraktions-Vorstandes vorzutragen. Der Redner konstatiert, dass, wenn die materielle Leistungsfähigkeit der Partei als ein Maßstab für die politische und moralische Macht gelten könne, die Partei ausgezeichnet stehe. Alle Verfolgungen und Maßregelungen hätten daran nichts zu ändern vermocht. Im Gegenteil, in dem Maße, wie die Gewaltmaßregeln größer geworden, habe auch die Opferwilligkeit der Parteigenossen zugenommen und sei die finanzielle Lage die beste. Im weiteren Verlauf seines Berichtes teilt Redner mit, das die Gesamteinnahme aus ausschließlich freiwilligen Beiträgen der Genossen in Deutschland vom 1. April 1883 bis Ende August 1887 insgesamt 135.748 Mark betrug, wozu als Beiträge der deutschen Genossen im Auslande noch 52.907 Mk. und ein Depot in Staatspapieren von 20.000 Mk. kommen, so das die Gesamtsumme sich auf 188.655 Mk. resp. 208.655 Mk. beläuft. Die Hauptausgabenposten sind folgende: Für die Wahlen wurden ausgegeben 100,527 Mk., darunter rund 36.000 Mk. für Diäten an die Reichstags-Abgeordneten An Unterstützungen für die Familien der Ausgewiesenen, der Inhaftierten etc. wurden ausgegeben 46.978 Mk.; für Gerichtskosten und Gefängnisunterstützungen 17.121 Mk., für Porto, Telegramme und kleinere Ausgaben 3576 Mk. Der bare Kassenbestand belief sich am 1. September auf 18.494 Mk. exklusive des erwähnten Depots von 20.000 Mk. Der Referent erwähnt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen die Opferwilligkeit der Genossen in den sog. Belagerungszustandsbezirken, ferner verweist er auf die sehr namhaften Sammlungen der deutschen Genossen in den Vereinigten Staaten und der Schweiz, denen der Parteitag seine besondere Anerkennung und seinen Dank durch Erheben von den Sitzen ausspricht.
Die an diesen Bericht sich anknüpfende Debatte erstreckte sich hauptsächlich auf die Art der Unterstützungen, die hie und da zu Missbräuchen geführt habe, namentlich. wurde auch der Folgen gedacht, welche einträfen, wenn, wie es verschiedentlich vorgekommen sei, die Genossen bei drohenden gerichtlichen Verfolgungen sich denselben durch die Flucht entzögen. schließlich wurde auf Antrag des Referenten einstimmig folgender Beschluss gefasst:
„Der Parteitag fordert die Genossen auf, möglichst der Flucht von Parteigenossen wegen drohender Prozesse oder Gefängnisstrafen entgegenzutreten und eventuell jede materielle Unterstürzung zu versagen.“
In Anschluss an unsere Korrespondenz teilen wir in Folgendem vorläufig mit, was deutschen Blättern über den weiteren Verlauf des Parteitages berichtet wird: Der deutsche Parteitag nimmt genau den programmmäßigen Verlauf. Die Zahl der Teilnehmer beträgt 80. Außer Belfort Bax und Frau Guillaume-Schack (London), Dr. Victor Adler (Wien), sind noch einige in hervorragenden sozialen Stellungen befindliche Schweizer hinzugekommen, die, nachdem ihnen der Zutritt zu den Verhandlungen des Parteitages gestattet wurde, denselben mit großer Aufmerksamkeit folgen.
Der zweite Punkt der Tagesordnung betraf die Haltung und Tätigkeit der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag und in den Landtagen. Berichterstatter waren Hasenclever, Singer und Bebel. Nach gründlichen, die einschlägigen Fragen und Vorgänge darstellenden Debatten wurde mit Einstimmigkeit folgende Resolution angenommen: „Der Parteitag ist der Überzeugung, das nach wie vor die Stellung der Partei zu der parlamentarischen Tätigkeit der Abgeordneten im Reichstage und in den Landtagen die bisherige bleiben muss; wie bisher ist dass Hauptgewicht auf die kritische und agitatorische Seite zu legen und die positive gesetzgeberische Tätigkeit nur in der Voraussetzung zu pflegen, das bei dem heutigen Stand der Parteigruppierung und der ökonomischen Verhältnisse über die Bedeutung und Tragweite dieser positiven Tätigkeit im Parlament für die Klassenlage der Arbeiter in politischer und ökonomischer Hinsicht kein Zweifel gelassen und keine Illusion geweckt werden kann“
Der dritte Punkt der Tagesordnung betraf die Stellung der Partei zu den Reichssteuern und Zollfragen in Verbindung mit der Sozialreform der Regierungen und der Arbeiterschutzgesetzgebung. Als Referent fungierte Auer. Die von dem Parteitag auf Grund des Referats angenommene Resolution lautet: „Der Parteitag verwirft als grundsätzlicher Gegner des Systems der indirekten Steuern alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, welche, wie die neuerdings in Deutschland eingeschlagene Zollgesetzgebung, in der Praxis auf solche hinauslaufen. Er verwirft auch ganz besonders die zu rein finanziellen Zwecken erstrebte Monopolisierung wichtiger Verbrauchsartikel der großen Masse und brandmarkt auf das Entschiedenste die bei der Branntwein-und Zuckersteuergesetzgebung, so wie bei der geplanten Erhöhung der Getreidezölle zu Tage getretene Bestrebung, die Klasse der Grundbesitzer auf Kosten der nichtbesitzenden Klasse zu bereichern. In Bezug auf die sogenannte Sozialreform der Reichsregierung und die Notwendigkeit einer durchgreifenden Reform der Arbeiterschutzgesetzgebung hält er an den früher von der Partei gefassten Beschlüssen fest und erblickt in der Ablehnung, beziehungsweise Hintertreibung des von den sozialdemokratischen Abgeordneten eingebrachten Entwurfes den Beweis, das es den herrschenden Klassen in Deutschland an dem guten Willen fehlt, wirklich Ernsthaftes zur Hebung der Lage der Arbeiterklasse zu tun.“
Der nächste Verhandlungsgegenstand betraf die Stellung der Partei bei den letzten und zu den nächsten Reichstags-, Landtags- und Gemeindewahlen. Als Referent fungierte Liebknecht. Auch dieser Punkt erfuhr eine lebhafte und ausführliche Besprechung. Die Ansicht des Parteitags trat in der folgenden Resolution hervor. Bebel beantragte: „Der Parteitag empfiehlt den Parteigenossen überall da, wo Erfolge in Aussicht stehen, in die Wahlagitation einzutreten, sei es für den Reichstag, die Landtage oder die Gemeindevertretungen, doch ist insbesondere in Bezug auf die letzteren sorgfältigste Erwägung geboten. Bei den Reichstagswahlen ist es Pflicht der Genossen in jedem Wahlkreis, wo Stimmen zu erlangen sind, einen Zählkandidaten aufzustellen. Der Parteitag spricht ferner dies bestimmte Erwartung aus, das die Parteigenossen in allen diesen Agitationen, gestützt auf die eigenen Kräfte und unter Zurückweisung eines jeden wie immer gearteten Kompromisses, selbstständig vorzugehen. Im Fall der engeren Wahlen empfiehlt der Parteitag, gestützt auf die bisher gemachten Erfahrungen, Stimmenthaltung„
Im Zusammenhang mit dieser Resolution beschloss der Parteitag das Amendement: „Der Parteitag verlangt von dem künftigen, Zentral-Wahlkomitee der Partei, dass dasselbe den Vielkandidaturen einzelner Genossen nach Möglichkeit entgegentritt.“ Ferner stimmte der Parteitag der Resolution zu, „dass es unzulässig und mit den Prinzipien der Sozial-Demokratie unvereinbar ist, wenn Abgeordnete der Einzel-Landtage sich erlauben, in einem anderen Lande zu gleicher Zeit noch ein Mandat zum Landtag zu erwerben, wie es tatsächlich bei den letzten bayrischen Landtagswahlen zu Tage getreten ist.“ Endlich beschloss der Parteitag noch: „Es dürfen nur solche Kandidaten bei einer Wahl aufgestellt werden, die voll und ganz auf dem Boden unseres Programms stehen und sich als Sozial-Demokraten offen bekennen.“
Als fünfter Punkt der Tagesordnung wurde der Antrag auf Einberufung eines internationalen Arbeiter-Kongresses für das nächste Jahr verhandelt, welcher ein gemeinsames Vorgehen der Arbeiter aller Kulturländer in Bezug auf eine internationale Arbeiterschutz-Gesetzgebung vereinbaren soll. Der Parteitag beschloss einstimmig, „die Parteivertretung aufzufordern, im Vereine mit den Arbeiterverbindungen anderer Länder für den Herbst 1888 einen internationalen Arbeiter-Kongress einzuberufen zu dem Zweck, gemeinsame Schritte der Arbeiter aller Länder zur Verwirklichung einer internationalen Arbeiterschutz-Gesetzgebung herbeizuführen.“
Der sechste Gegenstand der Verhandlungen betraf das Verhältnis der Sozialdemokraten zu den Anarchisten. Referent war Liebknecht, dessen Bericht auf Wunsch des Parteitages in erweiterter Form veröffentlicht werden wird. Auf Vorschlag des Referenten wurde folgende Resolution einstimmig angenommen: „Der Parteitag erklärt die anarchistische Gesellschaftstheorie, insoweit dieselbe die absolute Autonomie des Individuums erstrebt, für antisozialistisch, für nichts als eine einseitige Ausgestaltung der Grundgedanken des bürgerlichen Liberalismus, wenn sie auch in ihrer Kritik der heutigen Gesellschaftsordnung von sozialistischen Gesichtspunkten ausgeht. Sie ist vor Allem mit der sozialistischen Forderung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der gesellschaftlichen Regelung der Produktion unvereinbar und läuft, wenn nicht die Produktion auf den Zwergmaßstab des kleinen Handwerks zurückgeführt werden soll, auf einen unlöslichen Widerspruch hinaus. Der anarchistische Kultus und die ausschließliche Zulassung der Gewaltpolitik beruht auf einem groben Missverständnis der Rolle der Gewalt in der Geschichte der Völker. Die Gewalt ist ebenso gut ein reaktionärer als ein revolutionärer Faktor, ersteres sogar häufiger gewesen als das letztere.
Die Taktik der individuellen Anerkennung der Gewalt führt nicht zum Ziel und ist, insofern sie das Rechtsgefühl der Masse verletzt, positiv schädlich und darum verwerflich. Für die individuellen Gewaltakte bis aufs Äußerste Verfolgter und Geächteter machen wir die Verfolger und Ächter verantwortlich und begreifen die Neigung zu solchen als eine Erscheinung, die sich zu allen Zeiten unter ähnlichen Verhältnissen gezeigt hat und welche gegenwärtig in Deutschland von gewissen Polizeiorganen durch bezahlte Agents provocateurs à la Ihring-Mahlow für die Zwecke der Reaktion gegen die arbeitende Klasse ausgenützt wird.“ Für den Verlauf des Parteitages ist es charakteristisch, das alle angeführten Resolutionen einstimmig oder mit an Einstimmigkeit grenzender Majorität angenommen wurden. In dem Parteitag, den man nach seiner Zusammensetzung als ein getreues Bild der sozialdemokratischen Partei betrachten muss, trat bisher keinerlei prinzipieller Gegensatz hervor, wenn auch selbstverständlich Meinungsverschiedenheiten im Einzelnen nicht fehlten. Der Parteitag ist auf diese Weise der denkbar entschiedenste Protest gegen eine von manchen Seiten in der sozialdemokratischen Partei vorausgesetzte Spaltung.
Der Parteitag währt jetzt 3 Tage und wird Donnerstag den 6. d. seine Verhandlungen schließen.
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