Lyon Walsh: Nur die Arbeiter*innenbewegung kann einen Weltkrieg verhindern

(eigene Übersetzung des englischen Texts in Militant Nr. 505, 30. Mai 1980, S. 8 und 9)

Militärische Rivalität und Krieg – potentiell die Gefahr eines total zerstörerischen Weltkrieges – ist in der kapitalistischen Gesellschaft verwurzelt.

Wie könnte es anders sein in einem System, das auf Klassenausbeutung und Unterdrückung beruht, mit unversöhnlichen nationalen Rivalitäten zwischen den Mächten und der neokolonialen Ausbeutung der unterdrückten Nationalitäten?

Dies ist eine grundlegende Frage – letztlich die grundlegende Frage für die Arbeiter*innenbewegung.

Die NEC [Labour-Parteivorstands]-Erklärung lehnt im Abschnitt „Politik für den Frieden“ zu Recht die monströse, weltweite Anhäufung von Rüstungsgütern ab. Sie sagt richtig, dass „ein dritter Weltkrieg die Zivilisation zerstören würde …“, liefert aber keine wirkliche Erklärung für den Rüstungswettlauf und bietet keine Analyse der sozialen, wirtschaftlichen und Klassenfaktoren, die letztlich die Frage von Krieg oder Frieden bestimmen.

Schluss mit dieser grotesken Verschwendung für Rüstung

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es angeblich „Frieden“. Doch seit 1945 gab es jedes Jahr irgendwo einen „kleinen“ Krieg. Seit 1955 gab es 120 bewaffnete Konflikte in 65 Ländern, die sich natürlich auf konventionelle Waffen beschränken, aber schätzungsweise 25 Millionen Menschenleben forderten. Dieses Blutvergießen fand hauptsächlich in den unterentwickelten Ländern der ehemaligen kolonialen Welt statt, die grausame Folge des vergifteten Erbes des Imperialismus an nationalen Konflikten und sozialen Krisen.

Ein Weltkrieg zwischen den Supermächten – den Vereinigten Staaten und Russland, die das imperialistische bzw. stalinistische Lager beherrschen – war aufgrund des vorherrschenden Kräfteverhältnisses ausgeschlossen. Aber der Widerspruch zwischen den kapitalistischen Staaten auf der einen Seite und den deformierten Arbeiter*innenstaaten Russlands und Osteuropas auf der anderen Seite, zwei grundlegend gegensätzlichen Gesellschaftssystemen, hat zu einem immer schneller werdenden Wettlauf um die Anhäufung von Atomwaffen geführt.

Die Arbeiter*innen zahlen 1.000.000 Pfund pro Stunde für die britische Verteidigung

1978 wurden international 212 Milliarden Pfund für militärische Zwecke vergeudet, davon 60 Milliarden Pfund für Rüstung – real 70 % mehr als 1960. Und das, obwohl über 660 Millionen Menschen in den „Entwicklungsländern“ ohne das Nötigste auskommen müssen und jedes Jahr 8 Millionen Kinder an Hunger und Krankheiten im Zusammenhang mit Unterernährung sterben.

Auch in Großbritannien zahlen die Arbeiter*innen für eine enorme Belastung durch Militärausgaben, wobei die „Verteidigung“ derzeit 1 Million Pfund pro Stunde verschlingt. Trotz drakonischer Kürzungen bei den Sozialausgaben erhöhen die Tories die „Verteidigungs“-Ausgaben real um 3 % pro Jahr und treiben sie damit auf monströse 8 Milliarden Pfund pro Jahr.

Die Tory-Sprecher*innen des britischen Kapitalismus geben sich der Illusion hin, dass sie eine „unabhängige atomare Abschreckung“ aufrechterhalten können, anscheinend ohne wahrzunehmen, dass Großbritanniens Waffen, obwohl sie eine kolossale Verschwendung darstellen, im Vergleich zu den Waffen des US-Imperialismus und der russischen Bürokratie dennoch wie Erbsenpistolen sind.

Skandalöserweise hat auch die letzte Labour-Regierung (eine Tatsache, die in der Erklärung nicht erwähnt wird) die Rüstungsausgaben weiter erhöht und heimlich (unter anderem) Ausgaben in Höhe von 1.000 Millionen Pfund für die Modernisierung der Polaris genehmigt, Dieser bewusste Widerspruch zur Parteitagspolitik muss von der Partei entschieden verurteilt werden.

In der Erklärung heißt es: „Die nächste Labour-Regierung wird den Anteil der nationalen Ressourcen, der für die Verteidigung aufgewendet wird, verringern, so dass die Belastung mit der unserer wichtigsten europäischen Verbündeten in Einklang gebracht wird.“ Aber es ist notwendig, weiter zu gehen als das!

Die kapitalistischen Regierungen Europas sind nicht die „Verbündeten“ der Arbeiter*innenklasse. Die Arbeiter*innenbewegung hat keinerlei Interesse an der Aufrechterhaltung der nutzlosen Ausgaben für Waffen. Die nächste Labour-Regierung muss diese Ausgaben beenden und, wie es in der Erklärung zu Recht heißt, alternative Arbeitsplätze für Arbeiter*innen in der Rüstungsindustrie schaffen, indem sie die hochentwickelte Technologie, die jetzt für Waffen verschwendet wird, in sozial nützliche Projekte umwandelt. Labour sollte auch alle Waffenverkäufe an reaktionäre Regierungen stoppen.

Die Basis der Arbeiter*innenbewegung müssen jedoch gewarnt werden, dass eine drastische Reduzierung der Rüstungsausgaben eine wütende Reaktion der Kapitalist*innen hervorrufen würde. Abgesehen von ihren Wahnvorstellungen von militärischer Größe betrachtet die herrschende Klasse Verteidigungsausgaben als unerlässlich für die Verteidigung ihres Eigentums und ihrer Macht, sowohl gegen ausländische Rival*innen als auch gegen ihre eigene Arbeiter*innenklasse. Appelle an humanitäre Grundsätze und „Vernunft“ werden keine Wirkung zeigen, soweit es die Kapitalist*innen betrifft.

Labour muss an die Wurzel des Problems gehen, die Klassentyrannei des Kapitalismus, die letztlich nur mit Waffengewalt aufrechterhalten werden kann. Ein Angriff auf die Rüstungsausgaben muss ein wesentlicher Bestandteil eines Programms zur Übernahme der Führung in der Wirtschaft und zur Einführung eines sozialistischen Produktionsplans sein.

Spirale des Rüstungswettlaufs wird nicht durch Gespräche beendet

Die „Friedenspolitik“ der Erklärung ist jedoch leider völlig losgelöst von den grundlegenden sozialen und ökonomischen Problemen der Arbeiter*innenklasse (abgesehen von einer beiläufigen Erwähnung der von der Brandt-Kommission vorgeschlagenen Lösungen für den „Nord-Süd“-Konflikt). Unter Bezugnahme auf den weltweiten Rüstungswettlauf sagt die Erklärung: „Wir werden uns für den internationalen Frieden, die internationale Zusammenarbeit und die internationale Entwicklung einsetzen“; eine Labour-Regierung würde „sofort in Ost-West-Verhandlungen eintreten“ und versuchen, „den Abrüstungsverhandlungen neues Leben einzuhauchen“.

Aber es ist völlig utopisch, sich darauf zu verlassen, dass die kapitalistischen Regierungen oder die stalinistische Bürokratie wirkliche Schritte zur Abrüstung unternehmen, genauso wie es utopisch wäre, sich darauf zu verlassen, dass der Kapitalismus die Arbeitslosigkeit begrenzt oder die Bürokratie Arbeiter*innendemokratie gewährt.

Wie oft haben sich die Supermächte und die kleineren Mächte zu „Frieden“ und „Abrüstung“ verpflichtet? Keine der vielen Nachkriegsverhandlungen oder Dutzende von „Friedens“-Verträgen, einschließlich SALT und „Detente“, haben auch nur den geringsten Unterschied gemacht. Der Rüstungswettlauf hat seine Wurzeln in den sozialen Gegensätzen innerhalb des Kapitalismus und zwischen dem kapitalistischen Westen und dem stalinistischen Osten. Solange die Kapitalist*innenklasse und die stalinistische Bürokratie über ihre jeweiligen Arbeiter*innenklassen herrschen, wird kein noch so großer humanitärer Druck, kein Appell an die „Vernunft“ oder ähnliches sie dazu zwingen, die militärischen Vorbereitungen aufzugeben.

Im Falle der russischen Bürokratie ist die Anhäufung von Atomwaffen eine Präventivmaßnahme aus Angst vor dem Imperialismus, der als erster Atomwaffen hergestellt (und in Japan eingesetzt) und aufgestapelt hat. Im Falle der Vereinigten Staaten und der imperialistischen Mächte ist die Anhäufung von Atomwaffen durch die Furcht vor der überwältigenden Überlegenheit der sowjetischen Bürokratie bei den konventionellen Streitkräften begründet, die es ihnen ermöglichen würde, Europa und Teile des Nahen Ostens innerhalb von Wochen oder sogar Tagen einzunehmen.

Einmal begonnen, hat der Rüstungswettlauf eine verrückte Eigenlogik, trotz der lähmenden Last, die es nun sowohl der amerikanischen als auch der russischen Wirtschaft auferlegt.

Mit einem Gleichgewicht des atomaren Schreckens heben sich die Bestände der Supermächte gegenseitig auf. Beide haben die Macht, die Menschheit viele Male auszulöschen. Trotz dieses satanischen „Overkills“ streben die Militärstrateg*innen beider Seiten wie wild danach, eine „Erstschlagskapazität“ zu erreichen, die in der Lage ist, das Atomwaffenarsenal der Gegnerin auszuschalten und die Macht zur Vergeltung zu beseitigen. Aus diesem Grund manövrieren beide Seiten ständig in der Frage der „Überwachung“, in der keiner dem anderen vertrauen kann.

Das SALT-II-Abkommen zum Beispiel wird, selbst wenn es umgesetzt wird, kaum Auswirkungen auf den sowjetisch-amerikanische Rüstungswettlauf haben. Es „verpflichtet“ beide Supermächte, einige bereits veraltete Atomwaffen zu verschrotten, erlaubt ihnen aber, ihre Bestände an noch raffinierteren Waffen (jeweils bis zu 14.000 Atomsprengköpfe) aufzustocken. Vor der Unterzeichnung von SALT II hatte Carter jedoch bereits das mobile MX-Raketensystem der USA genehmigt, das eindeutig auf eine massive „Erstschlagskapazität“ abzielt und der Rüstungsspirale unweigerlich eine neue Drehung gibt, mit Schritten der sowjetischen Bürokratie, so schnell wie möglich ein Gegensystem zur produzieren.

Klassenverhältnisse entscheiden über die Frage des Weltkriegs

Selbst wenn man sich wirklich auf vorübergehende Rüstungsreduzierungen einigen würde, würden es die grundlegenden Gegensätze zwischen den Mächten sicher machen, dass im Falle neuer Spannungen und Konflikte Wissenschaft und Technik rasch wieder auf die Entwicklung noch raffinierterer und zerstörerischerer Waffen angewendet würden. Nach Lage der Dinge wurden jedoch die Revolution im Iran und vor allem der russische Einmarsch in Afghanistan von den führenden Vertreter*innen des amerikanischen Imperialismus als Vorwand für eine neue und noch kostspieligere Runde der atomaren Aufrüstung genutzt.

Hat Afghanistan tatsächlich die Gefahr eines dritten Weltkrieges näher gebracht? Die NEC-Erklärung behauptet klar, dass wegen dieser und anderer jüngster Ereignisse „die Gefahr des Ausbruchs (eines Dritten Weltkriegs) in alarmierender Weise wächst“.

In Wirklichkeit ist Afghanistan (das im Vergleich zum langen Krieg um das Schicksal Vietnams ein relativ unbedeutender Konflikt ist) jedoch nur ein Symptom der weltweiten Krise des Imperialismus, die einen dominoartigen Zusammenbruch seiner Marionetten-Diktatoren und sich verschärfende wirtschaftliche Schwierigkeiten herbeigeführt hat. Die unerträglichen Widersprüche, die sich in einem zerfallenen kapitalistischen System auf internationaler Ebene entwickeln, haben zusammen mit den wachsenden Problemen in den stalinistischen Staaten unweigerlich zu wachsender Instabilität und einer Verschärfung der internationalen Spannungen geführt. Afghanistan, das in seinen Auswirkungen für den Imperialismus weit weniger gravierend ist als die Revolution im Iran oder der mögliche Sturz seines Klientenregimes in Südkorea, wird von den USA als Ablenkungsmanöver und als Vorwand für das Anheizen reaktionärer, nationalistischer Leidenschaft benutzt.

Afghanistan ist kein neues „Sarajewo“, und die jüngsten Ereignisse haben die Wahrscheinlichkeit eines Weltkriegs nicht erhöht. Die Erklärung irrt, wenn sie unterstellt, dass es die Aufrüstung mit Atomwaffen selbst ist, die einen Krieg unvermeidlich macht, oder dass es diplomatische Missverständnisse oder die Fehler der „,führenden Politiker*innen‘ der Welt“ sind, die einen Weltkrieg herbeiführen können.

Die grundlegende Frage von Krieg oder Frieden hängt nicht von den Beziehungen zwischen den Mächten ab, sondern von den Beziehungen zwischen den Klassen.

Angesichts des bestehenden Kräfteverhältnisses der Klassen, mit der enormen Macht der Arbeiter*innenorganisationen in den fortgeschrittenen Ländern und anderswo, und solange die Kapitalist*innenklasse selbst die direkte Kontrolle hat, ist ein Atomkrieg ausgeschlossen. Die Idee eines „begrenzten Atomkriegs“ ist absurd. Ein „begrenzter“ oder so genannter „taktischer“ Atomkrieg würde unweigerlich zu einem Holocaust führen, der die vollständige Zerstörung des Kapitalismus, des Stalinismus und des größten Teils der Menschheit zur Folge hätte und die Erde auf unbestimmte Zeit verseuchen würde. Totale Zerstörung liegt nicht im Interesse der ausbeutenden Kapitalist*innenklasse (oder der parasitären bürokratischen Kaste des Ostblocks).

Die Gefahr eines Weltkrieges ist kein Problem, dem man Vorrang vor dem Kampf für den Sozialismus geben darf – denn der Sozialismus ist die einzige Möglichkeit, die atomare Vernichtung abzuwenden.

Aber das gegenwärtige Kräfteverhältnis kann nicht unbegrenzt anhalten. Der Weltkapitalismus ist bis zum Verfaulen reif für den Sozialismus, und wenn die Arbeiter*innenklasse scheitert, stünden wir vor der höllisch düsteren Aussicht auf eine konterrevolutionäre Reaktion, die einen Atomkrieg unvermeidlich machen würde.

Die Welt wäre der Gnade bonapartistischer Diktator*innen ausgeliefert, die mit Atomwaffen ausgestattet sind. Stellt euch Pinochet mit Atomraketen vor oder die wahnsinnigen amerikanischen Generäle in Vietnam, die Massenterrorwaffen wie Flächenbombardements, Napalm und tödliche Entlaubungsmittel einsetzten. Was wäre, wenn sie freie Hand hätten?

Angesichts der starken Verschärfung der Klassenspannungen, die die Todesagonie des Kapitalismus begleiten werden, würden solche Wahnsinnigen, die durch die Krise aus dem Gleichgewicht gebracht werden, früher oder später versuchen, ihre Probleme mit einem „Erstschlag“ gegen Russland zu lösen. Es wäre die Ausführung von Hitlers letztem Befehl: „Alles zerstören!“

Das ist die schreckliche Gefahr, vor der wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren stehen werden – es sei denn, die Arbeiter*innenklasse Amerikas, Europas und Japans übernimmt die Macht und errichtet den Sozialismus.

Die Drohung des Weltkrieg ist also nicht – wie die Erklärung nahelegt – ein Problem von solcher Dringlichkeit, dass ihm Vorrang vor dem Kampf für den Sozialismus eingeräumt werden muss. Im Gegenteil, der Sozialismus ist das einzige Mittel, mit dem die ultimative Bedrohung durch die atomare Vernichtung abgewendet werden kann. Die Unvermeidlichkeit eines Atomkriegs, wenn die Arbeiter*innen es nicht schaffen, die Macht zu übernehmen, ist der fundamentale Grund für die dringende Notwendigkeit, die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage umzugestalten.

Die gegenwärtige Stärke der Arbeiter*innen international macht es obendrein den Imperialist*innen nicht nur unmöglich, einen Weltkrieg anzuzetteln, sondern verleiht der Arbeiter*innenklasse auch eine überwältigende Überlegenheit an sozialer Macht in der Schlacht, die über die Zukunft der Gesellschaft entscheidet. Was noch fehlt, ist das Massenbewusstsein für die Notwendigkeit des Sozialismus und die Organisation der ausgebeuteten Klassen um ein klares Programm herum. Den „Frieden“ vor den Sozialismus zu stellen, könnte die Entwicklung einer bewussten, massenhaften Unterstützung für sozialistische Ziele nur verzögern.

Die Arbeiter*innenbewegung in Großbritannien und international muss die Notwendigkeit des Sozialismus erklären, um einen Atomkrieg zu vermeiden – und aufzeigen, was erreicht werden könnte, wenn mit einem weltweiten Produktionsplan die Wissenschaft und Technologie, die jetzt für Waffen verschwendet werden, zur Ausrottung von Hunger, Krankheit und der schrecklichen Armut und des menschlichen Elends, die überall auf der Welt herrschen, eingesetzt würden. Der Lebensstandard der gesamten Weltbevölkerung könnte durch eine drastische Verkürzung des Arbeitstages und der Arbeitswoche enorm angehoben werden. Das materielle Wohlbefinden der Menschen auf der Erde könnte zum ersten Mal gesichert werden, und die menschliche Kultur würde aufblühen wie nie zuvor.


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