Lynn Walsh: USA: Reichtum und Armut!

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 19, September 1966, S. 2 und 3]

Kampf der schwarzen Arbeiter*innen und Student*innen

Von Lynn Walsh

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das reichste Land in der Weltgeschichte. Sein produktiver Reichtum wurde kürzlich auf über 2.200.000 Millionen Dollar geschätzt. Doch obwohl dieser gewaltige Reichtum zusammen mit den neuesten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen die Möglichkeit eröffnet hat, der gesamten Gesellschaft einen bis dahin unvorstellbaren Lebensstandard zu bieten, ist dies keineswegs der Fall. Während eine Handvoll privater Eigentümer*innen riesige Gewinne einstreicht, leben viele Millionen Amerikaner*innen in Armut.

Bei einer Bevölkerung von 200 Millionen Menschen überleben zugegebenermaßen 83 Millionen von einem Einkommen, das unter dem vom US-Arbeitsministerium geschätzten angemessenen Mindestlohn liegt. Das so genannte „Office of Economic Opportunity“ [Amt für wirtschaftliche Möglichkeit] schätzt, dass 34,6 Millionen Menschen einen Lebensstandard haben, der zu niedrig ist, um ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu befriedigen.

Great Society

Präsident Johnson und seine Unterstützer*innen halten ständig Reden über die „Great Society“ [Großartige Gesellschaft], aber weit davon entfernt, diese schrecklichen Probleme zu lösen, ist der amerikanische Kapitalismus täglich immer weniger in der Lage, eine Antwort zu finden. Selbst unter den „normalsten“ kapitalistischen Bedingungen macht die Automatisierung, die unter einer rationalen Gesellschaftsordnung die Menschen von der Schufterei in den Fabriken befreien könnte, Millionen von Menschen arbeitslos – unter dem Privateigentum bedeutet Automatisierung lediglich, dass der Kapitalist mit weniger Arbeiter*innen mehr produzieren kann, zur Hölle mit dem Rest!

Gegenwärtig verlieren jedes Jahr 2 Millionen Arbeiter*innen durch die Automatisierung ihren Arbeitsplatz, fast acht Millionen müssen versuchen, mit kärglicher öffentlicher Unterstützung zu überleben. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen beziffern die Zahl der Arbeitslosen auf 4-5 Prozent. Sie machen es jedoch schwierig, die Wahrheit herauszufinden, da sie diejenigen, die nur wenige Stunden pro Woche arbeiten, oder junge Menschen, die auf ihren ersten Job warten, nicht einbeziehen. Die wahren Zahlen wurden auf weit mehr als diese geschätzt.

Millionen in Armut

Selbst unter den günstigsten Bedingungen, die durch den anhaltenden Wirtschaftsboom nach 1945 geschaffen wurden, ist es dem amerikanischen Kapitalismus nicht gelungen, das Problem der Armut unter einem großen Teil der Bevölkerung zu beseitigen. Nun, da sich das Wachstum der Weltmärkte verlangsamt und sich in der amerikanischen Wirtschaft erste Anzeichen einer Wirtschaftskrise abzeichnen, drohen schwerwiegende soziale Folgen. Die Einbrüche an der Wall Street, die von der Regierung verhängten strengen Kreditbeschränkungen und die ersten Versuche, die begonnen wurden, die Löhne einzufrieren, zeigen die Schwierigkeiten, mit denen die amerikanische Wirtschaft zu kämpfen hat. Darüber hinaus werden der Wirtschaft durch den Krieg in Vietnam über 10 Milliarden Pfund entzogen.

Vietnameffekte

Eine der Hauptbefürchtungen der amerikanischen Kapitalist*innen in Bezug auf den Vietnamkrieg sind die Folgen, die er in den USA selbst haben wird. Trotz der großen Versprechungen Johnsons, dass alle amerikanischen Bürger*innen in die „Great Society“ einbezogen werden, um an deren Vorteilen teilzuhaben, haben die Schwierigkeiten, die durch den beispiellosen Mittelabfluss des Vietnamkriegs noch verstärkt wurden, zu einer unvermeidlichen Kürzung der Ausgaben für die Kampagne „Krieg gegen die Armut“ und für die Bürger*innenrechtsgesetzgebung geführt.

Ein Teil der Kapitalist*innenklasse in den USA hat bereits seine Opposition gegen den Krieg erklärt. In vielerlei Hinsicht sind diese Leute, wie Wayne Morse, Fulbright, Robert Kennedy, die weitsichtigsten Vertreter*innen des amerikanischen Kapitalismus. Sie erkennen nicht nur die hoffnungslose Lage der USA in Vietnam und die Unfähigkeit der Wirtschaft, die Belastung durch den Abfluss von zehn Milliarden Pfund pro Jahr über eine längere Periode hinweg zu tragen, sondern fürchten auch die tiefe soziale Krise, die sich aus einer weiteren Verzögerung bei der Lösung des Problems der Armut, insbesondere in Bezug auf die schwarze Bevölkerung, ergeben könnte.

Massendemonstrationen

Drei aufeinanderfolgende Sommer mit Massendemonstrationen und Unruhen haben die Tiefe der sozialen Probleme der Schwarzen offenbart. Es ist nicht nur eine abstrakte Frage von „Bürger*innenrechten“, wie es Johnson und viele amerikanische „Liberale“ darzustellen versucht haben. Was die Schwarzen betrifft, so hat der amerikanische Kapitalismus (wie es in einer soziologischen Studie heißt) ein „unauflösbares städtisches Geflecht aus Armut, Arbeitslosigkeit, Slums, unzureichenden Schulen und unzureichendem Familienleben“ geschaffen. Die völlige Unfähigkeit des Kapitalismus, auch nur die grundlegenden Lebensbedingungen für die gesamte Gesellschaft zu schaffen, wird nirgendwo deutlicher sichtbar. Die arme Schwarzen sind als erste von Arbeitslosigkeit betroffen. Von allen armen Bevölkerungsgruppen Amerikas leben sie im ärmlichsten Elend. 44 Prozent der 21 Millionen Schwarzen in Amerika leben in minderwertigen Wohnungen, im Vergleich zu 13 Prozent der 180 Millionen Weißen. In Chicago, dem Schauplatz gewalttätiger Unruhen im letzten Jahr, leben eine Million in Ghettos und haben nicht einmal Zugang zu den Parks. Von Omaha, Nebraska, bis Cleveland, Ohio, und Hernando, Mississippi, haben Schwarze und diejenigen, die sie unterstützen, ihre Frustration und ihre Entschlossenheit, ihr Elend zu beenden, in Massendemonstrationen, Märschen und schließlich in Unruhen zum Ausdruck gebracht.

Echte Gleichheit

Seit der Kampf der Schwarzen begann und rechtliche Zugeständnisse wie Civil Rights Acts [Bürgerrechtsgesetze] (1964) und Voting Rights Act [Wahlrechtsgesetz] (1965) gewann, haben die Beteiligten gelernt, dass das Zugeständnis abstrakter Rechte für sich genommen nichts nützt. Die armen Schwarzen fühlen keinen Enthusiasmus für Gesetze, die ihre Gleichheit mit den Weißen erklären, wenn sie immer noch keine Arbeit, kein Haus, keine Schule für ihre Kinder und nichts von alledem haben, was Bürger*innen der „Great Society“ erwarten können.

In gewisser begrenzter Weise stellt daher die Entwicklung eines Teils der Bürger*innenrechtsbewegung, der die Idee von „Black Power“ vertritt, einen Schritt nach vorn dar. Es ist ein Herantasten an die Wurzeln des Problems der Schwarzen, die in der Organisation der Gesellschaft liegen, in einem Produktionssystem, das über die technischen Mittel verfügt, um Menschen auf den Mond zu schicken, das aber einem großen Teil seiner Bevölkerung nicht das Lebensnotwendige bieten kann. Die steigenden Kriegsausgaben und die daraus resultierenden Kürzungen der Sozialausgaben entlarven das Versprechen der Regierung auf eine rasche Lösung.

Sozialistische Politik

Für sich genommen ist die Losung von „Black Power“ jedoch reaktionärer Natur. Obwohl sie den wirtschaftlichen und sozialen Charakter des sogenannten „Hautfarbenproblems“ erkennt, bietet sie keine Lösung für die Probleme der Armut, der Arbeits- und Obdachlosigkeit. Schwarze und weiße Arbeiter*innen haben ein gemeinsames Interesse an einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft.

Losungen und Kämpfe, die diese beiden Teile der Arbeiter*innenklasse weiter spalten, können dem amerikanischen Kapitalismus nur in die Hände spielen. Der Widerstand und die Feindseligkeit gegenüber dem Kampf der Schwarzen ist oft am hysterischsten unter den weißen Arbeiter*innen, die den Bedingungen der Schwarzen selbst am nächsten sind. Sie haben eine instinktive Angst um ihre Arbeitsplätze, ihre Häuser und ihre Schulen.

Schwarz und Weiß vereint

Aber die ärmeren weißen Arbeiter*innen werden sich niemals eines ausreichenden und sicheren Lebensstandards sicher sein können, solange ihre schwarzen Arbeitskolleg*innen unterdrückt bleiben. Solange die Mittel zum Leben im Besitz einer Kapitalist*innenklasse sind, die nur an ihrem eigenen Profit interessiert ist, werden sie immer dieselben miserablen Bedingungen teilen.

In Bezug auf das Wohnungswesen wurde beispielsweise kürzlich von der US. Regierung aufgedeckt, dass die Hälfte der 7.400.000 Sozialleistungsempfänger*innen in den USA mehr als die Hälfte ihres Einkommens als Miete an Vermieter*innen von Elendsquartieren zahlen.

„Black Power“ kann keine Lösung für Probleme wie dieses bieten. Der Weg nach vorn muss in der Forderung nach einer sozialistischen Lösung liegen, die weiße und schwarze Arbeiter*innen innerhalb der amerikanischen Arbeiter*innenbewegung vereint. Schon jetzt zittern die Kapitalist*innen vor der Macht der organisierten Arbeiter*innenbewegung; sie werden alles tun, um Rassenspannungen zu nutzen, um die unterdrückten Teile der Gesellschaft, die zusammen die Arbeiter*innenklasse bilden, zu spalten.

Die Stärke der Schwarzen liegt nicht in schwarzem Separatismus oder in spontaner Gewalt, sondern in der gemeinsamen Organisierung mit weißen Arbeiter*innen und den Gewerkschaften.

Die Macht der Arbeiter*innenbewegung

Die Stärke der Arbeiter*innenbewegung hat der New Yorker Transportstreik zu Beginn dieses Jahres klar gezeigt. Johnson versuchte zu verhindern, dass die Transportarbeiter*innen eine Lohnerhöhung erhielten. Trotz der langen Geschichte antikommunistischer und antiaktivistischer Hetzjagden sahen sich die Gewerkschaftsführer*innen gezwungen, einen Streik auszurufen, als Reaktion auf den enormen Druck des Basisaktivismus. Die Macht der organisierten Arbeiter*innen wurde unmissverständlich klargemacht, als Malcolm Quill im Rahmen des Antistreikgesetzes festgenommen wurde. Weit davon entfernt, den Streik zu stoppen, trat ein Teil der New Yorker*innen nach dem anderen zur Unterstützung der Transportarbeiter*innen in den Streik oder war dazu bereit. Quill wurde freigelassen, und die Arbeitgeber*innen und die Regierung mussten kapitulieren.

Die amerikanische Arbeiter*innenbewegung hat nicht nur in der Frage von Löhnen und Arbeitsbedingungen Kampfbereitschaft gezeigt. Viele Sektionen sind nachdrücklich gegen den Krieg in Vietnam aufgetreten. Die Massendemonstrationen von Student*innen und Intellektuellen gegen den Krieg sind ein Hinweis auf eine tiefgreifendere Bewegung, die in der Masse der Arbeiter*innenklasse entsteht. Diese stellt die wahre Bedrohung für die herrschende Klasse dar.

Für eine Labor Party

George Meaney von der AFL-CIO hat dem Präsidenten bereits mit der Gründung einer Labor Party gedroht. Obwohl dies auf einer reaktionären Grundlage geschah (Boykottieren von Schiffen nach Nordvietnam), weist es auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft hin. Dies ist ein Schritt nach vorn, den die amerikanische Bewegung in Zukunft machen könnte. Die Kapitalist*innenklasse fürchtet nichts mehr: Eine solche Partei würde dem Widerstand der Gewerkschaften gegen die Versuche, sie für die wachsenden Schwierigkeiten des amerikanischen Kapitalismus zahlen zu lassen, einen politischen Ausdruck verleihen. Sie würde die Möglichkeit eröffnen, alle unterdrückten Teile der amerikanischen Gesellschaft in einen einheitlichen Kampf auf der Grundlage eines sozialistischen Programms einzubeziehen.

Das Scheitern der Regierung, einen Streik der Flugzeugmechaniker*innen zu verhindern, und ihr anschließender Sieg waren ein weiterer Schlag gegen Johnsons Richtwert von 3,2 % für Lohnerhöhungen. Die Gewerkschaften haben eine nach der anderen ihre Entschlossenheit gezeigt, sich jedem Versuch zu widersetzen, ihr Streikrecht einzuschränken. „Eine Welle von Streiks“, berichtet die „Times“, „wird sich in den nächsten 12 Monaten über die Vereinigten Staaten ausbreiten, da sich die organisierte Arbeiterschaft auf ein titanisches Kräftemessen mit der Regierung in Washington einstellt“, denn wie bei den Mechaniker*innen „werden die Gewerkschaften in der Kommunikations-, Automobil- und Elektronikindustrie in Kürze mit genau der gleichen Lage konfrontiert werden. Alle drei Branchen sind mit der Landesverteidigung verbunden und würden daher zum direkten Eingreifen der Regierung einladen.“

Sturz an der Wall Street

Die Aktien an der Wall Street befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit zwei Jahren, und die pessimistischsten Banker*innen beschwören seit einiger Zeit ihre Befürchtungen, dass „ihr Boom zu schnell geht“, und vergleichen die Blüte mit „den fabelhaften zwanziger Jahren, die mit dem Crash von 1929 endeten“.

Es wäre zwar falsch, für die unmittelbare Zukunft einen Krach solchen Ausmaßes zu erwarten, aber es besteht kein Zweifel daran, dass der US-Kapitalismus immer weniger weiß, wohin er sich wenden soll, um seine Schwierigkeiten zu lösen.

International hat die Bewegung der Kolonialvölker das Blatt gegen Amerika gewendet, wie seine Unfähigkeit, den Vietnamkrieg zu gewinnen, und der massive Abfluss seiner Ressourcen zeigen. Und zu Hause ist es mit der massiven Stärke der organisierten Arbeiter*innenbewegung konfrontiert, die nach der vergleichsweisen Friedlichkeit des Nachkriegsbooms politisch wieder auf die Füße kommt.

Soziale Stabilität?

Der Bürger*innenrechtskampf, die Bewegung gegen den Vietnamkrieg und vor allem der sich ausweitende Kampf der Gewerkschaften gegen die Angriffe Johnsons auf sie sind symptomatisch für die Radikalisierung, die sich gegenwärtig in der amerikanischen Gesellschaft vollzieht. Nach einer langen Periode relativer „sozialer Stabilität“ drohen diese ungleichartigen Stränge in Zukunft in einer mächtigen Bewegung zusammenzukommen, die diesen Koloss des Weltkapitalismus von unten bis oben erschüttern wird.


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