Lynn Walsh: US-Wahlen: Die Nader-Herausforderung

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 50, September 2000)

Ralph Nader, der auf dem Ticket der Grünen Partei kandidiert, fordert das Bush-Gore- und das Republikrat*innen-Duopol der Großkonzerne heraus. Unter dem Eindruck der Anti-WTO-Radikalisierung führt Nader einen ernsthaften Wahlkampf. Seine Angriffe auf die Großkonzerne treffen auf ein starkes Echo in der Aufbruchsstimmung der Student*innen und jungen Arbeiter*innen. Vor allem aber bereitet Naders entschiedene Ablehnung der Demokratischen Partei, einst das liberale Gesicht des US-Kapitalismus, den Boden für eine neue linke Massenpartei. Lynn Walsh berichtet

Diesmal kämpft Nader, der altgediente Verfechter der Verbraucherrechte, einen ernsthaften Wahlkampf. Beim letzten Mal, 1996, führte er einen reinen Alibi-Wahlkampf durch, kam nur in 27 Staaten und Washington DC auf den Wahlzettel und erhielt nur etwa 700.000 Stimmen (weniger als 0,75%). Innerhalb weniger Tage nach seiner Ankündigung im Februar sahen Meinungsumfragen Nader bei den Präsidentschaftswahlen zwischen 5 und 7% der Stimmen, an der Westküste sogar einen höheren Anteil. Nader hat bereits genügend Unterschriften gesammelt, um sich in 34 Staaten zu qualifizieren (Stand 10. August), und ist zuversichtlich, dass er in 45 Staaten auf den Wahlzettel kommt. Dieses Mal will Nader mehr als 5 Millionen Dollar an Wahlkampfmitteln aufbringen.

Die Stimmung ist völlig anders als 1996. Eine Schicht von Student*innen, jungen Arbeiter*innen, Gewerkschaftsaktivist*innen, Umweltschützer*innen und anderen Wahlkämpfer*innen hat sich aktiv seinem Wahlkampf angeschlossen oder unterstützt nachdrücklich seine Entscheidung, gegen die beiden Kandidaten der Großkonzerne anzutreten. In Texas, um nur einen Staat zu nennen, sammelten Unterstützer*innen in nur 75 Tagen die 74.000 Unterschriften, die nötig waren, um Nader auf den Wahlzettel zu setzen.

Naders Entscheidung, Bush und Gore ernsthaft herauszufordern, und der veränderte Charakter seiner Kampagne spiegeln die Radikalisierung wider, die sich in den letzten Monaten in relativ kleinen, aber sehr bedeutenden Schichten, insbesondere bei Student*innen und jungen Menschen, entwickelt hat. Diese aufkommende Stimmung manifestierte sich in den massiven und dramatischen Demonstrationen während der WTO-Tagung in Seattle im vergangenen November. Sie wurde weiter ausgedrückt in den Anti-IWF- und -Weltbank-Protesten in Washington DC im April sowie in den Demonstrationen vor dem Parteitag der Republikaner*innen in Philadelphia und dem Parteitag der Demokrat*innen in Los Angeles. In beiden Fällen wurden die Demonstrant*innen von der Polizei brutal angegriffen. Wahrscheinlich wird es auch Anfang Oktober in Boston eine große Demonstration anlässlich der ersten Debatte zwischen Gore und Bush geben, von der Nader (und Buchanan) ausgeschlossen wurden. Nader hat einen großen Einspruch gegen diesen Ausschluss eingelegt.

Die Oppositionsstimmung gegen die WTO und IWF/Weltbank umfasst viele politische Richtungen. Aber die Proteste kristallisierten jedoch eine allgemeine Opposition gegen die Auswirkungen des Freihandels und der neoliberalen Politik, gegen die ausbeuterische Rolle der großen Konzerne, gegen die Polarisierung von Reichtum und Einkommen sowohl innerhalb der USA als auch international und gegen die verschärfte Ausbeutung der ärmsten Teile der arbeitenden Bevölkerung selbst auf dem Höhepunkt des derzeitigen US-Booms heraus. Naders Botschaft spiegelt diese Stimmung wider und stößt auf ein starkes Echo bei Schichten, die politisch bewusster werden und beginnen, sich in Opposition gegen das System zu bewegen.

Die Unterstützung für Nader spiegelt auch die bewusste Ablehnung der Demokratischen Partei als liberale, fortschrittliche Kraft in der US-Politik durch einen wachsenden Teil junger Menschen und Arbeiter*innen wider. Die großkonzernfreundliche Politik der Clinton-Regierung hat den Unterschied zwischen den Demokrat*innen und den Republikaner*innen so sehr verwischt, dass das Argument des „kleineren Übels“, das für die Wahl der Demokrat*innen spricht, drastisch untergraben wurde.

Aber warum Nader? Warum die Plattform der Grünen Partei? Nader ist als radikaler Kritiker der beiden praktisch identischen Kandidaten der Großunternehmen aufgetreten, weil die AFL-CIO, der größte Gewerkschaftsverband der USA, und die große Mehrheit der Gewerkschaften, mit ein oder zwei ehrenwerten Ausnahmen, immer noch an die Demokratische Partei gebunden sind. Trotz Clintons arbeiter*innenfeindlicher Bilanz in zwei Amtszeiten klammern sich die führenden AFL-CIO-Vertreter*innen an dem Argument des „kleineren Übels“. Die Gewerkschaften haben in diesem Jahr bisher 11,3 Millionen Dollar an die Komitees der Demokratischen Partei gespendet, verglichen mit 9,3 Millionen Dollar im Jahr 1996.

„Laut John Sweeney, Präsident des größten Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO, unterstützen die Gewerkschaften die Demokraten stärker als je zuvor. Die Beiträge an die demokratischen Komitees sind zwar beträchtlich, machen aber nur einen kleinen Teil der finanziellen und organisatorischen Anstrengungen aus, die die Gewerkschaften für diesen Herbst planen“, sagte Mr. Sweeney. („International Herald Tribune“, 14. August)

Obwohl die Labor Party, die von einer Reihe von AFL-CIO-Gewerkschaften unterstützt wird, eine Wahlpolitik beschlossen hat, ist sie immer noch an die AFL-CIO-Politik der sklavischen Unterstützung der Demokrat*innen gebunden. Da sie es versäumt hat, den Präsidenten herauszufordern, wurde die Partei während des Wahlkampfs an den Rand gedrängt. Das Vakuum in der Opposition wird vorläufig von Nader gefüllt, der ein radikaler Populist, kein Sozialist ist, und von der Grünen Partei, einer kleinen Mittelschicht-Organisation, die ohne Nader wenig Einfluss hätte. Nader ist kein Mitglied der Grünen Partei, sondern kandidiert lediglich auf deren Plattform für die Präsidentschaftswahlen.

Für die Anti-WTO-Protestierenden ist die Kampagne der Clinton-Regierung zur weltweiten Durchsetzung der neoliberalen Politik nach der Gründung der NAFTA (Nordamerikanische Freihandelszone) eine Bestätigung für die vollständige Unterwerfung der Demokratischen Partei unter die großen Konzerne, die multinationalen Unternehmen und die Großbanken. Trotz der unerschütterlichen Unterstützung durch die Gewerkschaftsführungen hat die Clinton-Gore-Regierung den organisierten Arbeiter*innen nichts zugestanden, abgesehen von einer minimalen Erhöhung des Mindestlohns (von 4,25 auf 5,15 Dollar).

Ende Juli verabschiedete das Plattformkomitee der Demokratischen Partei sein Wahlmanifest, ein „zentristisches, progressives Dokument“, das den Neoliberalismus als Grundlage der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei akzeptierte. Nur vier Mitglieder des 130-köpfigen Ausschusses sprachen sich gegen die „Schnellverfahren“-Befugnis des Präsidenten aus, neue Handelsabkommen zu genehmigen. Nur drei Mitglieder sprachen sich dafür aus, den Mindestlohn von 5,15 auf 6,15 Dollar anzuheben und die Steuervergünstigungen für Unternehmen zu reduzieren, die eine große Zahl von Zeitarbeiter*innen beschäftigen oder „Löhne unter dem Existenzminimum“ zahlen. Es gab keine Vorschläge zur Abschaffung reaktionärer Arbeitsgesetze.

Anprangerung der Konzernkontrolle

Naders Wahlkampfthemen stehen in scharfem Kontrast zu dem großunternehmensfreundlichen Kurs der Demokrat*innen und dem fast völligen Schweigen der Gewerkschaftsführungen. „Das einzige Phänomen, das der Gerechtigkeit im Wege steht“, so Nader, „ist die Konzentration von Macht und Reichtum in zu wenigen Händen“.

Wir leben jetzt in einer Apartheid-Wirtschaft. Es ist eine Wirtschaft mit so atemberaubenden Ungleichheiten, dass bloße Worte und Statistiken ihr kaum gerecht werden können“. Er prangert „die enormen Steuergelder an, die für Unternehmenssubventionen, Werbegeschenke, Almosen und Rettungsaktionen ausgegeben werden und die in die Militärmaschine fließen, die von den Unternehmensgewinnen von Lockheed-Martin, General Dynamics und anderen angetrieben wird“. Er prangert Banken, Vermieter*innen von Bruchbuden und Kredithaie an.

„Die Mehrheit der Arbeiter*innen“, so Nader, „bekommt heute inflationsbereinigt weniger als vor 25 Jahren, und sie arbeiten im Durchschnitt 160 Stunden mehr im Jahr. Zwanzig Prozent Kinderarmut, der mit Abstand höchste Prozentsatz an Armut in der westlichen Welt. Die Menschen haben Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, selbst mit zwei Einkommen, weil sie keinen existenzsichernden Lohn erhalten, wie bei Wal-Mart. Und so müssen sie sich immer mehr verschulden. Die Verschuldung ist inzwischen auf über 6,2 Billionen Dollar angestiegen“.

Nader ruft zur Mobilisierung der „Bürger*innenmacht“ auf, um die Steuergelder umzuleiten und das Wohlergehen der Unterdrückten und Verarmten zu verbessern. Er fordert eine Kürzung der jährlichen Militärausgaben um ein Drittel (100 Milliarden Dollar). Er fordert eine allgemeine Krankenversicherung. Er prangert die Konzern-Gefängnisindustrie an.

Nader fordert einen existenzsichernden Mindestlohn von 10 Dollar pro Stunde und weist darauf hin, dass 47 Millionen US-Arbeiter*innen derzeit weniger als diesen Betrag erhalten (der offizielle Bundesmindestlohn beträgt 5,15 Dollar). Er fordert die Durchsetzung der Bürger*innenrechte und die Aufhebung repressiver Arbeitsgesetze, darunter das berüchtigte Taft-Hartley-Gesetz von 1947.

Unerbittlich prangert Nader die Vorherrschaft der Konzerne über das politische System und die Korruption der beiden Großkonzern-Parteien an. „Nehmen Sie Al Gore nicht Stimmen weg?“, wurde Nader in der NBC-Sendung Meet the Press (7. Mai) gefragt. Nader antwortete: „Ich denke, er hat mir Stimmen weggenommen … man kann ein verdorbenes System nicht wirklich verderben, und die beiden Parteien verschmelzen immer mehr zu einem riesigen Geldtopf für Interessengruppen und wenden sich von sehr wichtigen Bedürfnissen der Menschen ab“.

Es ist Naders politischer Ansturm auf die großen Konzerne und die Regierung, seine Anprangerung sozialer Ungerechtigkeit, die bei einer wachsenden Schicht von Menschen Anklang findet. Naders kritische, oppositionelle Haltung ist der Schlüssel zu seiner Unterstützung. Die Tatsache, dass ein Kandidat entscheidende wirtschaftliche und soziale Fragen anspricht, wird als großer Fortschritt im Vergleich zu den ausgefeilten Marketingkampagnen zur Vermarktung der Persönlichkeiten von Bush und Gore gesehen.

Was ist Naders Alternative?

Viele derjenigen, die sich an Naders Kampagne beteiligen, und viele, die im November für ihn stimmen werden, werden sich jedoch fragen: Was ist Naders Alternative? Die Realität ist, dass Nader keine ausgearbeitete Alternative hat. Seine Rolle ist die eines Linkspopulisten, der Opposition gegen das System mobilisiert, aber ohne Programm für grundlegende soziale Veränderung und ohne eine gangbare Perspektive für den Aufbau einer Bewegung, die in der Lage ist, Veränderungen zu erreichen.

Nader wird weithin (sogar von vielen demokratischen und republikanischen Wähler*innen) für seinen langen Kreuzzug zur Unterstützung der Verbraucher*innen- und Bürger*innenrechte bewundert. Angefangen mit seinem Kampf gegen Ford wegen der Sicherheit von Autos in den späten 1960er Jahren, wird er als der „kleine Mann“ gesehen, der sich für die einfachen Amerikaner*innen gegen die raffgierigen Konzerne einsetzte. Außerdem gilt er als unbestechlich (er hat nie ein öffentliches Amt bekleidet). Versuche, ihn in diesem Wahlkampf durch Enthüllungen über sein persönliches Vermögen von 3,8 Millionen Dollar zu diskreditieren, hatten wenig Erfolg.

Seinen Verbraucher*innenkampagnen lag die Idee zugrunde, dass die Verbraucher*innen durch Aufklärung und Mobilisierung mit den Produzent*innen, den großen Konzernen, gleichgestellt werden könnten. Dies ist klar utopisch, da die Kapitalist*innen die Produktivkräfte der Gesellschaft, die eigentliche Quelle allen Reichtums und aller Macht, kontrollieren. Doch obwohl Nader den „Konzernsozialismus“ anprangert, d. h. private Profite – sozialisierte Verluste, hat er nie eine sozialistische Lösung befürwortet. Er befürwortet eher eine radikale Demokratisierung, um „die riesigen Konzerne zu zähmen“, als eine radikale Veränderung der Gesellschaftsstruktur.

So spricht er von der Mobilisierung der „Bürger*innenmacht“, um Steuergelder auf soziale Bedürfnisse umzulenken. Er plädiert dafür, die staatliche Kontrolle über öffentliches Land (ein Drittel der US-Landfläche) für das öffentliche Interesse zu nutzen und die Kontrolle über die 5 Billionen Dollar an Rentenfonds der Arbeiter*innen zu übernehmen, um sie im Interesse der arbeitenden Bevölkerung einzusetzen.

Nader befürwortet den Aufbau von mehr Institutionen, „die es uns ermöglichen, uns gegenüber Banken, Versicherungsgesellschaften, HMOs [health maintenance organisations, private Krankenversicherungen], Kabelgesellschaften, Vermieter*innen zusammenzuschließen – all das ist machbar“.

Er stellt sich soziale Veränderung durch den „Aufbau einer neuen politischen Macht, einer neuen wirtschaftlichen Macht, einer neuen Medienmacht und einer neuen staatsbürgerlichen Macht für alle Amerikaner*innen vor; nur indem wir das tun, können wir die überstürzte Flucht in systemische und institutionalisierte Ungerechtigkeit umkehren, die das Leben künftiger Generationen bemogelt und das Leben heutiger Generationen beeinträchtigt. Aus diesem Grund kandidiere ich.“ (Rede auf dem Jahreskongress der National Association for the Advancement of Colored People, Baltimore, 11. Juli)

Dies ist eine radikale, populistische Botschaft; sie malt sich sozialen Fortschritt durch eine radikale Demokratisierung des Kapitalismus aus. Einer solchen Perspektive widerspricht jedoch die gesamte Logik des Kapitalismus, wie er ins 21. Jahrhundert eintritt: wachsende Macht der großen Konzerne durch Monopolisierung, totale Unterstützung der Ziele und Methoden der Großunternehmen durch den Staat und die kapitalistischen Parteien, Unterordnung der ganzen Welt unter die Bedürfnisse der multinationalen Konzerne durch die Durchsetzung der neoliberalen Politik. Dies kann nicht durch die Neuerfindung der Demokratie rückgängig gemacht werden, sondern nur durch die demokratische Übernahme der großen Konzerne, damit diese nach einem demokratischen, sozialistischen Produktionsplan geführt werden können, um die sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen zu erfüllen.

Nader selbst erkennt jedoch an, dass die Möglichkeiten der Mobilisierung von Bürger*innengruppen heute sehr begrenzt sind. „Das politische System unter der Herrschaft der Konzerne schließt die Zivilgesellschaft aus. Bürger*innengruppen können nichts mehr bewirken“. (Interview mit Tim Russert, NBC Meet the Press, 7. Mai)

Politisches Handeln ist also notwendig: „Wenn Sie sich nicht der Politik zuwenden, wird sich die Politik gegen Sie wenden“. Naders Stärke an diesem Punkt in der Entwicklung der US-Politik ist, dass er sich eindeutig gegen die Demokratische Partei gewandt hat. Die Zerstörung der Glaubwürdigkeit der Demokrat*innen als „linke“, „fortschrittliche“ oder auch nur „liberale“ Kraft ist eine Vorbedingung für den Fortschritt der Arbeiter*innenklasse und der Linken in der US-Politik. Während die führenden Gewerkschafter*innen, einschließlich derjenigen, die die Labor Party sponsern, immer noch an die Demokratische Partei gebunden sind, ist Naders Kampagne ein wichtiges Instrument, um mit der Aufgabe zu beginnen, den Boden für das Entstehen einer neuen Massenpartei zu bereiten, die den Arbeiter*innen und all jenen, die in Opposition zum System gehen, eine politische Vertretung bieten wird.

Vorbereitung des Bodens für eine neue Massenpartei

Wenn Nader im November mehr als 5% der Stimmen erhält, was sehr wahrscheinlich ist – und er könnte einen noch höheren Anteil erhalten -, wird dies ein schwerer Schlag für die Demokrat*innen sein. Zweifellos wird er Gore einige Stimmen wegnehmen, aber auch den Republikaner*innen und Buchanan, der derzeit auf dem Ticket der Reformpartei kandidiert. Nader wird auch die Stimmen vieler Menschen auf sich ziehen, die normalerweise gar nicht wählen gehen. Ein Wahlergebnis von mehr als 5% wird zeigen, dass es möglich ist, eine wirksame Oppositionskampagne zu organisieren, und es würde auch den praktischen Effekt haben, dass die Grüne Partei Bundesmittel für künftige Wahlen erhalten würde. (Auf der Grundlage von Perots 8% der Stimmen im Jahr 1996 erhält die Reformpartei derzeit 12 Millionen Dollar an Bundesmitteln – einer der Gründe für die jüngsten Kämpfe innerhalb der Partei).

Sowohl Nader als auch führende Vertreter*innen der Grünen Partei haben die Frage aufgeworfen, ob auf der Grundlage dieser Kampagne eine kontinuierliche Bewegung aufgebaut werden könne. Die Grünen mit ihrer lockeren, überwiegend aus der Mittelschicht stammenden Basis verfügen jedoch weder über die politischen Konzepte noch über den politischen Zusammenhalt, um eine wirksame Bewegung zu organisieren, auch wenn sie auf der Grundlage des Ergebnisses von Nader bei den Wahlen durchaus an Schwung auf der Wahlebene gewinnen könnten. Nader selbst sieht eine sich entwickelnde Bewegung in populistischen Begriffen. „Wir beabsichtigen, eine große politische Kraft aufzubauen“, sagte er, „fortschrittlich im Inhalt, aber ansprechend für Konservative, Liberale, all die Menschen, die das Gefühl haben, dass sie in diesem Land die Kontrolle über alles verlieren, was für sie zählt“. (Russert-Interview, 7. Mai)

Nader erkennt nicht die Notwendigkeit, sich an der Arbeiter*innenklasse als entscheidender sozialer Kraft zu orientieren, die unverzichtbar ist, um eine „große politische Kraft“ aufzubauen, die sich konsequent gegen die Großunternehmen und die beiden kapitalistischen Parteien stellt.

Nader hat zweifellos an die Gewerkschaften appelliert. Bezeichnenderweise wird seine Kampagne von der kalifornischen Krankenschwesternvereinigung unterstützt. Und im Juli beklagte Stephen Yokich, der Vorsitzende der United Auto Workers (UAW), dass Clinton und Gore sich konsequent auf die Seite der multinationalen Konzerne gegen die Arbeiter*innen gestellt hätten, und forderte die Gewerkschaften auf, aktiv Alternativen wie Ralph Nader zu erforschen. Eine Schicht von Gewerkschaftsaktivist*innen beteiligt sich an seiner Kampagne, ebenso wie viele der (ansonsten schwindenden) Aktivist*innen der Ortsverbände der Labor Party. Tony Mazzocchi, der Vorsitzende der Labor Party, sprach auf dem Parteitag der Grünen für Nader, obwohl er innerhalb der Labor Party nicht bereit ist, das Veto der großen Trägergewerkschaften gegen die Unterstützung einer Alternative zu den Demokrat*innen wirksam herauszufordern.

Wenn Nader auf der Grundlage eines respektablen Wahlergebnisses im November an die Gewerkschaften, die Labor Party, studentische Aktivist*innengruppen, Umweltkampagnen und andere fortschrittliche/linke Gruppierungen appellieren würde, könnte er als mächtiger Katalysator für die Bildung einer neuen Massenarbeiter*innenpartei wirken. Eine solche Formation ist in den USA seit langem überfällig, aber angesichts der Trägheit der Demokratischen Partei, des Konservatismus der AFL-CIO-Führung und der beschämenden Zaghaftigkeit der Führung der Labor Party ist eine entschlossene politische Initiative erforderlich, um aktive Schritte zur Schaffung einer neuen Trägerin der antikapitalistischen Opposition einzuleiten.

Anfang dieses Jahres erkannte die Socialist Alternative, die mit dem Committee for a Workers International solidarisch ist, die Bedeutung von Naders Kampagne im Anschluss an die WTO-Proteste und rief zum Bruch mit den Demokrat*innen und zur Stimmabgabe für Nader am 7. November auf. Socialist Alternative beteiligt sich an den lokalen breiten Koalitionen, die die Kampagne Nader for President bilden, und arbeitet daran, Unterstützung für Nader zu mobilisieren und gleichzeitig Themen aus einer sozialistischen Perspektive anzusprechen. Insbesondere fordert Socialist Alternative „Papiere für alle“, eine bedingungslose Amnestie für alle Einwanderer*innen ohne Papiere in den USA, die Abschaffung der Todesstrafe und ein Ende der Polizeibrutalität.

Socialist Alternative fordert Nader auch auf, seine Kampagne auf alle Arbeiter*innen, Unterdrückten und jungen Menschen auszuweiten. Und für nach der Wahl drängt Socialist Alternative Nader, eine nationale Konferenz von Gewerkschaften, politischen Organisationen der Linken, jungen Menschen und People of Colour einzuberufen, um das Fundament für eine neue Partei der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu legen.


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