Lynn Walsh: Schwarzer Goldrausch und Kasino-Kapitalismus

[Umfangreiche Bearbeitung einer zeitgenössischen Übersetzung des englischen Artikels in The Socialist Nr. 367, 23. Oktober 2004]

Ein „schwarzer Goldrausch” ist im vollen Schwunge. Financiers profitieren vom steigenden Ölpreis und spielen mit Milliarden auf den New Yorker und Londoner Rohstoffmärkten.

Die in den letzten Jahren angestiegene Nachfrage nach Öl, besonders aus China, und die Lieferstörungen aus einigen der wichtigsten ölproduzierenden Staaten haben die Öl- und Gaspreise nach oben getrieben. Aber die massive Finanzspekulation am Ölmarkt hat mindestens 15 $ für jeden Barrel Rohöl hinzugefügt.

Der Ölpreis erreichte 40 $ pro Barrel im Mai und übertraf 50 $ pro Barrel Ende September. Lynn Walsh berichtet.

Das Anschwellen der Nachfrage nach Öl kam vor allem vom starken Wirtschaftswachstum in China und, in kleinerem Umfang, den USA. Aber mit wenig Reserve-Produktionkapazitäten weltweit sind die Öllieferungen durch eine Serie dramatischer Ereignisse gestört worden.

Die Besetzung des Irak hat dessen Ölproduktion drastisch reduziert, von 3 Millionen Barrel am Tag auf rund 1 Million Barrel am Tag, mit häufigen Unterbrechungen. Letztes Jahr gab es einen „Ölstreik” in Venezuela, in Wirklichkeit einen Aussperrung der Boss*innen mit dem Ziel, die Regierung Chávez zu stürzen. Putins Machtprobe mit Yukos, dem Öl- und Gasgiganten, geführt von dem inhaftierten Chodorkovsky, hat Russlands Produktion verringert. Nigerias Produktion ist durch die Unruhen im Niger Delta verringert worden. Dann gab es vier Hurrikane in der Karibik, die die Produktion im Golf von Mexiko wochenlang um ein Drittel verringert haben.

Aber es steckt mehr hinter den Lieferproblemen als unerwartete Störungen. Seit 10 oder 20 Jahren haben die Ölkonzerne, trotz ihrer riesigen Profite, ernsthaft zu wenig in neue Ölfelder und Raffinerie-Kapazitäten investiert. Neue, große Ölvorkommen sind nun sehr rar, vielleicht nicht vorhanden und bei den meisten der Felder ist die Erschließung teurer geworden. Die meisten Ölfelder sind in politisch instabilen Regionen und die Firmen und ihre Investor*innen sind zögerlicher, ihr Geld zu riskieren. Raffinerie- und Transportmöglichkeiten bleiben auch zurück.

Uns wird immer erzählt, die „unsichtbare Hand” des kapitalistischen Marktes gleiche zuverlässig Angebot und Nachfrage aus, vielleicht mit einigen Zeitverzögerungen hier und da. Bei Öl und Gas jedoch, notwendigen Treibstoffen für die Weltwirtschaft, gibt es ein gewaltiges langfristigen Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage.

Intensive Ausbeutung, ohne soziale Investitionen, ruft Aufstände hervor, die selbst die vorhandenen Produktionsniveaus gefährden. Aber die Großkonzerne ziehen kurzfristige Spekulation der langfristigen Entwicklung vor.

Ölterminmarkt

In der Vergangenheit wurde Öl überwiegend auf dem „physischen Markt” gehandelt. Große Verbraucher*innen ( Fabrikant*innen, Fluggesellschaften, Benzineinzelhändler*innen, etc.) kauften ihren Treibstoff direkt bei Hersteller*innen, bei den großen Ölkonzernen und den nationalen Ölfirmen. In jüngster Zeit wird jedoch ein steigender Anteil auf dem Ölterminmarkt gehandelt, einem finanzgetriebenen Rohstoffmarkt.

Ein „Termingeschäft“ ist ein Vertrag, der Käufer*innen die Option bietet, eine Lieferung Öl zu einem vereinbarten Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen, normalerweise zwischen ein paar Wochen und fünf Jahren in der Zukunft. Käufer*innen zahlen eine Prämie (ein deposit) für den Vertrag, einen Bruchteil des Gesamtpreises. Sie können, wenn die Zeit gekommen ist, ihr Recht wahrnehmen und die Öllieferung kaufen oder auch nicht.

Termingeschäfte sind wahrscheinlich entstanden, um es großen Ölverbraucher*innen zu ermöglichen, sich gegen scharfe Preisfluktuationen abzusichern. Steigende Preise und die Perspektive von noch höheren Preisen bieten jedoch die Chance wunderbarer Gewinne für Spekulant*innen. In jüngster Zeit spielten großen Banken (wie Barclays), Investmentbanken (wie Morgan Stanley), Hedgefonds (geheime Clubs großer Investor*innen), und super-reiche Selbstständige alle schwer mit Ölterminkontrakten

Spekulation

Mit den riesigen Fonds zu ihrer Verfügung kann ein Terminmarkt-Player z.B. eine Option auf eine Öllieferung kaufen, sagen wir auf 1 Million pro Barrel, für 45 $ pro Barrel (Summe 45 Millionen $). Innerhalb von ein paar Wochen, wenn die Option fällig wird, kann er dann die Lieferung kaufen und die vereinbarten 45 $ pro Barrel zahlen. Währenddessen können die Preise allerdings gestiegen sein und er kann sie am selben Tag wieder verkaufen, meinetwegen für 50 $ pro Barrel (Summe 50 Millionen $). Es ist nicht schwer, sich den riesigen Profit auszurechnen.

Angebot- und Nachfragefaktoren außer Acht gelassen, trägt die Intervention von Spekulant*innen im großen Stil dazu bei, den Preis in die Höhe zu treiben. Wenn der Ölpreis fällt und sie entscheiden, ihre Option nicht wahrzunehmen, verlieren sie nur ihre Prämie, einen kleinen Einsatz auf dem Spieltisch. Und alles wird mit geliehenem Geld gemacht, zu äußerst niedrigen Zinsraten.

„Das ist der heißeste Ölmarkt den ich jemals gesehen habe,“ sagt der Kopf einer großen Ölfirma, „Viele neue Banken steigen ein, und all diese Spekulation ist sehr störend.”“ Einer der beteiligten Hedgefonds, der Aspect Capital Management in London, spielt mit 250 Millionen $ am Tag in Ölterminkontrakten.

Das ist Kasino-Kapitalismus in all seiner Pracht. Gierige Spekulation taschenspielert kolossale Profite herbei. Für wen? Für was? Die Instabilität des Marktes und höhere Preise werden sich bald auf unserer Lebenshaltungskosten auswirken: höhere Gas- und Elektrizitätspreise, teureres Benzin, höhere Bus- und Bahnpreise, teureres alles. Früher oder später werden die „Marktkräfte“ (teurer Treibstoff) die Nachfrage verringern und die Öl-und Gaspreise werden fallen. Inzwischen könnte das Chaos zu einem weltwirtschaftlichen Einbruch führen. Oder ein Aufruhr auf den Finanzmärkten könnte einen Crash auslösen

Unterdrückung

Energieressourcen sind notwendig für unser soziales Wohlbefinden. Sie sollten nicht vom kapitalistischen Markt kontrolliert werden, auf dem der Kampf um private Profite und strategische Macht die treibende Kraft ist. Ausbeutung von Öl und Gas durch die kapitalistischen Mächte hat immer auf Unterdrückung und Ausbeutung beruht. Der Ölimperialismus hat sich nie gescheut, Bündnisse mit Diktator*innen zu schließen, die sich mit Korruption und dem Blut ihrer Völker besudeln. Man schaue z.B. auf den Irak, den Nahen Osten im Allgemeinen, auf Zentralasien, Nigeria. Es ist kein Zufall, dass viele ölproduzierende Länder so instabil sind.

Arbeiter*innen in Nigeria, die vor kurzem einen Generalstreik machten, haben wenig Nutzen von den Ölreichtümern des Landes. Die Menschen des Nigerdelta, der Haupt-ölproduzierenden Region, leben in bitterer Armut. Shell möchte Rohöl für 2 $ pro Barrel aus dem Boden pumpen und es für 36 $ pro Barrel zu verkaufen. Kein Wunder, dass die Produktion durch eine wachsende Widerstandsbewegung unterbrochen wurde.

Sozialistische Planung

Öl und Gas, wie andere natürliche Ressourcen, sind ein wertvoller Schatz für die Menschheit. Der Kapitalismus beutet auf der ständigen Suche nach kurzfristigen Profiten unwiederbringliche fossile Brennstoffe (Öl, Gas und Kohle) aus, unter mutwilliger Nichtberücksichtigung der langfristigen Auswirkungen. Das Verbrennen fossiler Treibstoffe ist die Hauptursache für die Verschmutzung der Atmosphäre und die globale Erwärmung, die uns mit einer Katastrophe bedroht, wenn sie nicht umgekehrt wird. Können die Warenspekulant*innen in London und New York deswegen nicht ruhig schlafen? Die Hochfinanz investiert mit Sicherheit nur klägliche Beträge in die Erschließung alternativer, erneuerbarer Energiequellen.

Die Produktion und Verteilung von Energie muss aus den Händen der Großkonzerne genommen und von der destruktiven Anarchie des Marktes befreit werden. Um ökonomische und ökologische Katastrophen zu vermeiden, müssen Rohstoffe wie Öl und Gas auf einer geplanten globalen Grundlage entwickelt werden. Planung muss demokratisch sein und unter der Kontrolle der Arbeiter*innenklasse und anderer ausgebeuteter Menschen stehen, der Mehrheit in der Gesellschaft.

Planung würde die wirtschaftlichen Bedürfnisse gegen die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt abwägen. Alternative, erneuerbare Energiequellen würden erschlossen. Arme Länder bekämen ihre berechtigten Anteil an den Ressourcen, um die Entwicklung zu beschleunigen.

Klar, das wird nicht im Kapitalismus passieren. Deshalb müssen wir das System ändern, in Britannien und international. Wir brauchen dringend Sozialismus. Wir brauchen sozialistische Wirtschaftsplanung unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung. Womit könnte man besser anfangen als mit der Verstaatlichung der großen Ölfirmen und Banken, die unsere Zukunft verspielen?


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