Lynn Walsh: Gibt es einen Ausweg aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt?

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 65, Mai 2002 wiederveröffentlicht in Socialism Today Nr. 164, Dezember 2012 – Januar 2013 )

Im Jahr 2002, als der folgende Artikel zum ersten Mal veröffentlicht wurde, besetzte der israelische Staat das Westjordanland, zerstörte den Gebäudekomplex von PLO-Chef Jassir Arafat in Nablus und begann mit dem Bau der berüchtigten „Trennmauer“. Diese Maßnahmen vertieften die Empörung der Palästinenser*innen und stärkten ihren Widerstand und ihre Forderung nach einem unabhängigen palästinensischen Staat. Im Jahr 2004 zog sich Israel aus Gaza zurück, doch als die Hamas bei den Wahlen zur Palästinensischen Autonomiebehörde die Mehrheit errang, begann der israelische Staat mit einer Blockade von Gaza, mit dem Ziel der Zerstörung der Kontrolle der Hamas. Im Jahr 2006 begann Israel einen massiven, zerstörerischen Krieg gegen den Libanon. Ende 2008 begannen die israelischen Streitkräfte mit einer einmonatigen umfassenden Besetzung des Gazastreifens. Die anhaltenden grenzüberschreitenden Angriffe gipfelten 2012 in einer Eskalation der Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel und im November in massiven israelischen Luftangriffen auf Ziele in Gaza. Selbst die kürzeste Chronologie weist auf einen endlosen Kreislauf des Konflikts hin. Wie kam es historisch dazu? Gibt es einen Ausweg? Wie können die nationalen Bestrebungen der Palästinenser*innen und des jüdischen Volkes verwirklicht werden? Der Artikel von Lynn Walsh, der zuerst in der Ausgabe Nr. 65 von Socialism Today, Mai 2002, veröffentlicht wurde, analysiert die grundlegenden Fragen des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Zerstörung. Ganze Gebiete palästinensischer Städte, von Bethlehem bis Nablus und vor allem Dschenin, wurden in Schutt und Asche gelegt. Die Belagerung der Geburtskirche in Bethlehem und von Arafats Hauptquartiers in Ramallah dauern bei Redaktionsschluss noch an. Wie viele Hunderte von Menschen sind getötet worden? Wie viele wurden verletzt oder mussten um ihr Leben fliehen? Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon behauptet, es handele sich um ein Manöver gegen Terrorist*innen. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Belagerung, die Hunderttausenden von Palästinenser*innen auferlegt wurde, eine Straf-Besatzung, die ihren Höhepunkt in der Zerstörungsraserei in Dschenin fand. Hubschrauber beschossen Flüchtlingslager mit Raketen. Gepanzerte Bulldozer zerstörten Häuser. Panzer zerquetschten Krankenwagen. Junge palästinensische Männer wurden zusammengetrieben, mit Handschellen gefesselt und mit Nummern am Arm ins Gefängnis gebracht.

Das Ziel ist laut Scharon, die „Infrastruktur des Terrorismus“ zu zerschlagen. Die Selbstmordattentate in Israel, denen wahllos Zivilist*innen zum Opfer fielen, haben in der israelischen Öffentlichkeit Unterstützung für Scharons Offensive geschaffen. Doch Israels Staatsterror wird weitere palästinensische Vergeltungsmaßnahmen provozieren, die auf die einfachen Israelis zurückschlagen. Nicht die Infrastruktur, sondern Wut und Frustration nähren terroristische Taktiken.

Unglaublicherweise lobte Präsident Bush nach der Rückkehr des US-Außenminister Colin Powell von seinem missglückten Besuch im Nahen Osten Scharon als „Mann des Friedens“. Selbst der Oberste Gerichtshof Israels verurteilte Scharon für seine kriminelle Rolle bei den Massakern in den libanesischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Jahr 1982. Ihm droht nun eine Anklage als Kriegsverbrecher vor belgischen Gerichten. Es ist klar, dass Scharon, der den rücksichtslosesten Flügel der israelischen herrschenden Klasse und des Militärs repräsentiert, seine Offensive im Westjordanland und im Gazastreifen schon vor den Selbstmordattentaten strategisch geplant hat. Scharons bewusst provokative Aktionen lösten die zweite Intifada und die neue Flut von Selbstmordattentaten aus. Sein Ziel war es, die letzten Reste der Palästinensischen Autonomiebehörde und des Osloer Abkommens zu beseitigen. Vor seinem Wahlsieg über Ehud Barak besuchte Scharon die Al-Aqsa-Moschee (28. September 2000), eine unmissverständliche Bedrohung für die palästinensische Präsenz in Ost-Jerusalem.

Im November 2001 ordnete Scharon die Ermordung des führenden Hamas-Vertreters im Westjordanland, Mahmoud Abu Hanoud, an, ein Schritt, der zwangsläufig zu Vergeltungsmaßnahmen der Hamas führen musste. Selbstmordattentate gegen Zivilist*innen, die Anfang Dezember letzten Jahres erneut in Haifa und Jerusalem verübt wurden, lösten unweigerlich Angst und Empörung unter den Israelis aus und riefen die öffentliche Unterstützung für Scharons Offensive hervor. Als Sozialist*innen lehnen wir solche Taktiken ab. Dennoch müssen wir die Bedingungen erkennen, die zur Taktik der Selbstmordattentate geführt haben: Das ständige Niedertrampeln der palästinensischen Bestrebungen. Die Reaktion der IDF auf die neue Intifada, bei der schwer bewaffnete Soldat*innen auf Steine werfende Jungen schießen. Fünf Kinder, die durch eine israelische Sprengfalle in Gaza getötet wurden. Hubschrauber, die einsame Scharfschütz*innen mit Raketen beschießen. Panzer, die palästinensische Städte besetzen, Bulldozer der Armee, die immer mehr Häuser abreißen. Ist es ein Wunder, dass einige Gruppen zu Selbstmordattentaten greifen und die Sympathie vieler Palästinenser*innen haben?

Bombenanschläge können jedoch den israelischen Staat nicht besiegen: Sie gehen für die Palästinenser*innen in Form brutaler militärischer Vergeltung nach hinten los. Aktionen von Einzelpersonen, die bereit sind, für die palästinensische Sache den Märtyrertod zu sterben, können eine organisierte politische Massenaktion nicht ersetzen. Die Palästinenser*innen haben das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung gegen die israelische Aggression, aber dies muss mit demokratischen Massenorganisationen verbunden sein. Selbstmordattentate spiegeln den politischen Bankrott der Hamas und des Islamischen Dschihad wider, die reaktionäre politische Ziele verfolgen. Sie entstehen auch aus dem bedauerlichen Scheitern der PLO-Führung, die versucht hat, die korrupte und repressive Palästinensische Autonomiebehörde unter den vom israelischen Regime diktierten Bedingungen zu führen.

Scharon wollte nie Frieden und will auch kein Abkommen mit den Palästinenser*innen. Sein Minister für innere Sicherheit, Uzi Landaus, verkündete unverblümt: „Wir werden später über Friedenspläne nachdenken … Was sicher ist, ist, dass wir die Existenz eines palästinensischen Staates niemals akzeptieren werden. Das wäre eine Katastrophe“. („Le Monde“, 14. Dezember 2001) Scharons Ziel war es, die Palästinenser*innen zu bestrafen und zu besiegen, was sich auch in seinem Handeln widerspiegelt. Die israelische Armee hat sich nicht auf militärische Ziele beschränkt, sondern die zivile Infrastruktur der Palästinensischen Autonomiebehörde zerschlagen. Akten, Büros und Versorgungseinrichtungen wurden zerstört. Darüber hinaus war es das klare Ziel der Scharon-Führung, das Rückgrat des palästinensischen Widerstands zu brechen, um jede Hoffnung auf einen zukünftigen palästinensischen Staat zu zerstören. Dieses barbarische Manöver wird jedoch scheitern – genauso wie Scharons Besetzung des Libanon 1982 mit einem schmachvollen Rückzug 18 Jahre später endete, der Israel dem Frieden und der Sicherheit keinen Schritt näher brachte.

Zweifellos hofft Scharon, so viele Palästinenser*innen wie möglich zu vertreiben und sie zu zwingen, nach Jordanien oder weiter weg zu fliehen. Seine Botschaft an die Verbliebenen ist klar: Wenn ihr bleibt, werdet ihr in einer Handvoll israelisch kontrollierter Enklaven ein Leben unter Duldung führen. Israels Militäraktion mag den palästinensischen Widerstand eine Zeit lang schwächen. Aber nirgendwo auf der Welt haben es Militäraktionen geschafft, nationale Bestrebungen auszulöschen. Israels jüngste Aktionen schüren zweifellos eine tiefe Wut, die sich in Form von Lavaströmen in der gesamten Region entladen und Israel, die benachbarten arabischen Staaten und die imperialistischen Mächte erschüttern wird.

Im Mittelpunkt des Konflikts seit 1948

Israel stand seit seiner Gründung im Jahr 1948 im Mittelpunkt von Konflikt. Die Enthüllungen nach dem Zweiten Weltkrieg über die unvorstellbaren Schrecken des Holocausts gewannen die Westmächte und Teile der öffentlichen Meinung für einen jüdischen Staat. Israel, so wurde behauptet, würde dem verfolgten und enteigneten jüdischen Volk einen sicheren Zufluchtsort bieten – und das Recht der Jüd*innen auf Rückkehr in ihr beanspruchtes biblisches Heimatland ermöglichen.

Das Problem war, dass Israel auf dem Land von Palästinenser*innen gegründet wurde, die mehrheitlich vertrieben wurden. Die Verfolgung des jüdischen Volkes und die barbarischen Vernichtungslager der Nazis wurden benutzt, um eine neue Gräueltat zu rechtfertigen – die Enteignung der Palästinenser*innen aus dem von Israel militärisch besetzten Land.

Aber es ist nicht möglich, dass ein Volk seine nationalen Bestrebungen erfüllt und gleichzeitig auf dem Selbstbestimmungsrecht eines anderen Volkes herumtrampelt. Die Sozialist*innen unserer marxistischen Tradition haben die Gründung des Staates Israel abgelehnt und vor den verheerenden Folgen gewarnt. Weit davon entfernt, eine friedliche, sichere und wohlhabende Heimat zu bieten, würde der israelische Staat ständigem Krieg und internen Konflikten gegenüber stehen. Das israelische Regime, das letztlich von der Unterstützung der westlichen Mächte, vor allem der Vereinigten Staaten, abhängig ist, würde unweigerlich zu einem regionalen Brückenkopf für imperialistische Interventionen in der Region werden. Dies bedeutete unweigerlichen Konflikt mit den arabischen Regimen.

Alle Probleme wurden noch verschärft, als Israel in Folge des Krieges von 1967 die palästinensischen Gebiete des Westjordanlandes (damals Teil Jordaniens), des Gazastreifens (damals Teil Ägyptens) und der Golanhöhen (die zu Syrien gehören) besetzte.

Bis zu einer Million Palästinenser*innen wurden 1948 vertrieben. Der Krieg von 1967 führte zur Vertreibung einer weiteren Million. Die Zahl der von der UN anerkannten palästinensischen Flüchtlinge ist heute auf 4 Millionen angewachsen, von denen ein Drittel in Flüchtlingslagern lebt. Es gibt eine weitere Million „vertriebener“ Palästinenser*innen, die zumeist in Lagern leben.

Israel bot den Jüd*innen das Recht auf Rückkehr und demokratische Rechte an, räumte aber den innerhalb seiner Grenzen verbliebenen Palästinenser*innen bestenfalls einen Status zweiter Klasse ein. Seine Politik wurde vom Zionismus, der Ideologie des jüdischen Nationalismus, beherrscht. Obwohl viele der frühen jüdischen Pionier*innen Sozialdemokrat*innen waren und genossenschaftliche Kibbuzim (auf dem Land der Palästinenser*innen) gründeten, war der Staat kapitalistisch und organisch mit dem Imperialismus verbunden. Angesichts des Konflikts mit den Palästinenser*innen und den umliegenden arabischen Staaten war Israel von Anfang an ein militaristischer Staat, in dem Sicherheit Vorrang vor sozialem Wohlstand und demokratischen Rechten hat.

Trotz der Art und Weise, wie es gegründet wurde, hat Israel heute eine jüdische Bevölkerung von über fünf Millionen, und es wäre ein Fehler, den israelischen Jüd*innen ihr Recht auf eine nationale Heimat abzusprechen, geschweige denn zu versuchen, sie zu vertreiben. Ihre Erfahrungen von fünfzig Jahren, darunter fünf Kriegen, haben ein starkes Nationalbewusstsein entwickelt. Die Mehrheit wäre zweifellos bereit, bis zum Ende zu kämpfen, um ihr Heimatland gegen Auslöschung zu verteidigen, ein realer Faktor, der nicht ignoriert werden kann. Gleichzeitig wird eine echte Selbstbestimmung für die israelischen Jüd*innen, d.h. eine dauerhafte Sicherheit auf der Grundlage von sozialer Gleichheit und Demokratie, nur möglich sein, wenn die jüdische Arbeiter*innenklasse auch die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser*innen unterstützt.

Die arabischen Regime ihrerseits sind zwar unnachgiebig gegen Israel und geben Lippenbekenntnisse zur palästinensischen Selbstbestimmung ab, haben aber keine Lösung angeboten. Trotz ihrer hohen Rüstungsausgaben haben sie sich als unfähig erwiesen, Israel militärisch zu besiegen. Dem zionistischen Israel setzen sie den arabischen Nationalismus entgegen, wobei sie keinen Unterschied zwischen der israelischen herrschenden Klasse und der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse machen, zu der viele arme sephardische Jüd*innen gehören, die aus den arabischen Ländern vertrieben wurden. Ihr Ziel, ob offen oder versteckt, scheint es zu sein, die Jüd*innen ins Meer zu treiben. Die Anerkennung Israels durch Ägypten und Jordanien und die Zusagen anderer arabischer Regime, den Staat im Gegenzug für ein palästinensisches Heimatland anzuerkennen, reichen nicht aus, um die Ängste der israelischen Jüd*innen zu zerstreuen.

Die arabischen Herrscher*innen haben Israel schon immer als Ablenkungsmanöver von den Problemen im eigenen Land benutzt. Trotz des immensen Ölreichtums einer Reihe arabischer Staaten lebt die Mehrheit der arabischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen in bitterer Armut. Sie leben meist unter Diktaturen oder Halbdiktaturen mit wenigen oder gar keinen demokratischen Rechten. Im Namen des Kampfes gegen Israel haben die arabischen Regime die palästinensischen Flüchtlinge in Lagern gehalten und sich geweigert, sie entweder in die Gesellschaft zu integrieren oder ihnen in den Lagern menschenwürdige Bedingungen zu bieten. Sozialist*innen können weder den Staat Israel in seiner jetzigen Form noch die arabischen Staaten unterstützen.

Keine gangbare kapitalistische Lösung

Was ist die Politik des Imperialismus jetzt? Trotz ihres Sieges in Afghanistan und ihrer allumspannenden globalen Macht waren die USA nicht einmal in der Lage, einen Waffenstillstand aufzuzwingen. Powells Besuch war ein demütigender Misserfolg. Nachdem sie den Hund des Krieges losgelassen hatten, waren die USA nicht in der Lage, Scharon zu zügeln. Stattdessen biss er Bush in die Knöchel. Bush spricht nun von einem palästinensischen Staat neben Israel, hat aber offensichtlich keine konkreten Vorschläge und keine Vorstellung davon, wie eine neue „Regelung“ erreicht werden könnte.

Führende Vertreter*innen der europäischen Staaten plädieren dagegen nun verstärkt für eine sogenannte „Zweistaatenlösung“. Der britische Außenminister Jack Straw behauptet: „Es gibt jetzt eine nahezu universelle Akzeptanz, dass das Ziel die Existenz zweier Staaten sein muss, eines Staates Israel und eines gangbaren palästinensischen Staates“. („Tribune“, 19. April) „Diese ‚Zweistaatenlösung‘ bedeutet, was sie besagt: zwei gangbare, sichere, territorial souveräne und demokratische Staaten Israel und Palästina, die gegenseitig anerkannt werden und sich zu einer friedlichen Koexistenz innerhalb vereinbarter Grenzen verpflichten“.

„Die ,internationale Gemeinschaft‘, so drängt er, wird ,eine Rolle … bei der Bereitstellung finanzieller Unterstützung zur Wiederherstellung der zerstörten Infrastruktur der Palästinensischen Autonomiebehörde und, falls erforderlich, bei der Bereitstellung von Beobachtern und Überwachern‘ spielen.“ Er räumt ein, dass „eine solche Regelung derzeit noch in weiter Ferne zu liegen scheint“. Der Weg nach vorn führe über Verhandlungen und Kompromisse: „Nur ein Kompromiss kann zu einem sicheren Staat Israel und einem gangbaren Staat Palästina führen, dessen Bürger die gleiche Freizügigkeit, das gleiche Leben und die gleiche Sicherheit genießen wie die Bürger anderer Staaten“.

Aber was meint Straw mit „gangbar“? Dies ist derzeit ein Modewort unter westlichen Diplomat*innen. Aber sie sind äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, zu präzisieren, was sie damit meinen. Zumindest aber ist klar, dass ein „gangbarer“ palästinensischer Staat die Kontrolle über sein eigenes Territorium, d.h. das Westjordanland und den Gazastreifen, haben muss, ohne dass jüdische Siedlungen und deren militärische Bewachung eingreifen. Dies wird von Michael Ignatieff von der Harvard-Universität in der Zeitung „The Guardian“ (19. April) deutlich gemacht: „Es ist an der Zeit zu sagen, dass alle Siedlungen außer denen direkt an der Grünen Linie von 1967 [die den Staat Israel vor 1967 vom besetzten Westjordanland trennt] weg müssen…“ Aber wie könnte Israel überredet werden, die Siedlungen aufzugeben? Selbst wenn eine künftige Regierung einer solchen Politik zustimmen würde, würden mächtige politische Kräfte innerhalb Israels dies nicht akzeptieren, und ein Teil könnte durchaus bereit sein, dagegen zu kämpfen.

Anders als Straw und andere führende EU-Vertreter*innen beißt Ignatieff in den sauren Apfel: „Die USA müssen … ihre eigenen Truppen und die von willigen Verbündeten einsetzen, nicht um einen Waffenstillstand zu überwachen, sondern um eine Lösung zu erzwingen, die beiden Bevölkerungen Sicherheit bietet“. Seine Überschrift lautet „Warum Bush seine Truppen schicken muss“. „Die einzige Möglichkeit, die Gelegenheit [zur Umsetzung des jüngsten Vorschlags des saudischen Regimes ,Land für Frieden‘] zu ergreifen, besteht darin, jetzt eine Zweistaatenlösung durchzusetzen, bevor es den Extremisten gelingt, sie für immer aus dem Bereich des Möglichen zu entfernen“. Mit anderen Worten: Der einzige „gangbare“ Weg zur Errichtung eines „gangbaren“ palästinensischen Staates ist die militärische Intervention des US-Imperialismus.

Anfänglich könnte es Unterstützung für die Beteiligung der USA an der Schaffung eines Staates geben, der einen größeren Anschein von Staatlichkeit hat als die Palästinensische Autonomiebehörde. Aber die USA werden ein „gangbares“ Palästina, das das israelische Regime bedroht, nicht unterstützen. Andererseits könnte eine US-Intervention zur Errichtung eines weiteren palästinensischen Bantustans zu gewaltsamen Konflikten zwischen den US-Streitkräften und den Palästinenser*innen sowie einigen arabischen Regimen führen.

Ignatieff nennt eine weitere Bedingung. Israels Sicherheit, schreibt er, erfordere die „Wiederherstellung eines gangbaren palästinensischen Staates mit einem Gewaltmonopol“. Mit anderen Worten: Der Staat muss anders als Arafats Palästinensische Autonomiebehörde in der Lage sein, die Palästinenser*innen wirksam zu kontrollieren und sie innerhalb der Grenzen eines vom US-Imperialismus geförderten und vom israelischen Regime akzeptierten Staates zu halten. Aber wie die Palästinensische Autonomiebehörde würde sie auf massiven Widerstand von unten stoßen.

Um zu überleben, so Ignatieff, müsse ein palästinensischer Staat „die Fähigkeit haben, seiner Bevölkerung wirklich Arbeitsplätze und Dienstleistungen zu bieten“. Könnte das auf der Grundlage des Kapitalismus möglich sein? „Die UNO wird [sollte?] mit finanzieller Unterstützung Europas [nicht der USA?] eine Übergangsverwaltung einrichten, um dem palästinensischen Staat wieder auf die Beine zu helfen“. Die düstere Bilanz der UN, der EU und der USA bei der Hilfe für andere arme, flügge gewordene Staaten (Bosnien, Osttimor, Afghanistan) bietet nicht viel Ermutigung. Unter dem Kapitalismus lebt die Mehrheit der Arbeiter*innen und Bäuer*innen selbst in den ölreichen arabischen Staaten in abgrundtiefer Armut.

Zu einem der sensibelsten Themen überhaupt schlägt Ignatieff vor, dass die USA klarstellen sollten, dass „das Recht auf Rückkehr mit Frieden und Sicherheit in der Region unvereinbar ist und dass das Recht mit einer Geldabfindung abgegolten werden muss“. Die „Abgeltung“ des Rückkehrrechts von über vier Millionen Exilierten im Austausch für einen Pseudo-Staat und eine Entschädigung würde bei den Palästinenser*innen und der breiten arabischen Bevölkerung Empörung hervorrufen. In Wirklichkeit ist eine Zwei-Staaten-Politik innerhalb des verrotteten Rahmens von Kapitalismus und Imperialismus völlig „ungangbar“.

Wie können nationale Bestrebungen verwirklicht werden?

Wie könnte die palästinensische Forderung nach nationaler Selbstbestimmung in Form eines palästinensischen Staates erfüllt werden? Es wäre vergeblich, sich auf die westlichen Mächte zu verlassen, um irgendeine Lösung durchzusetzen. Der Imperialismus trägt die Hauptverantwortung für die fortwährende Krise im Nahen Osten durch seine Teile-und-Herrsche-Politik, die Manipulation von Klient*innenregimen und die wirtschaftliche Ausbeutung.

Der gegenwärtige kapitalistische Staat Israel mit seinen zionistisch-kapitalistischen Grundlagen ist unvereinbar mit einem gangbaren palästinensischen Staat. Die arabischen Staaten fürchten ihrerseits ein unabhängiges Palästina, das eine radikalisierende Wirkung auf die arabischen Massen haben und eine Bedrohung für ihre verrotteten Regime darstellen würde. Wir stehen für den Sturz sowohl des bestehenden israelischen Staates als auch der arabischen kapitalistischen Regime. Diese Perspektive kann nicht vom Kampf für einen palästinensischen Staat getrennt werden.

Einige in der Linken treten für einen „demokratischen säkularen palästinensischen Staat“ ein, manchmal mit dem Zusatz „sozialistisch“, mit demokratischen Rechten für Jüd*innen in einem solchen Staat. Praktisch würde dies die Abschaffung des jüdischen Staates zugunsten eines palästinensischen Staates bedeuten. Dieser Herangehensweise kann unserer Ansicht nach keinen Ausweg bieten.

Angesichts des jüdisch-israelischen Nationalbewusstseins wird die Mehrheit der israelischen Jüd*innen, einschließlich der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse, die Ersetzung ihrer nationalen Heimat nicht akzeptieren. Arabische Regime haben obendrein eine lange Geschichte reaktionärer, nationalistischer Opposition gegen Israel, häufig mit einem starken antisemitischen Element (das zweifellos durch die rechte zionistische Feindseligkeit gegenüber den arabischen Völkern verstärkt wird). Jüdische Ängste werden durch das Versprechen eines „demokratischen“ oder „säkularen“ oder sogar „sozialistischen“ palästinensischen Staates nicht beschwichtigt werden. Schließlich haben führenden nationalistische Vertreter*innen wie Nasser, der in Ägypten einige fortschrittliche Maßnahmen gegen die Großgrundbesitzer und den Imperialismus durchführte, „arabischen Sozialismus“ vertreten und dabei eine durch und durch nationalistische Herangehensweise verfolgt.

Wir müssen das tatsächliche Bewusstsein der überwältigenden Mehrheit der jüdischen Arbeiter*innenklasse und der armen Bevölkerungsschichten klar erkennen. Das bedeutet, dass wir ein sozialistisches Israel fordern, eine völlig neue Staatsform, die den israelischen Jüd*innen eine sichere nationale Heimat auf der Grundlage der Arbeiter*innendemokratie und einer demokratischen Wirtschaftsplanung bietet, die den Wohlstand der Bevölkerung sichert. Ein sozialistisches Israel würde darüber hinaus die demokratischen Rechte der innerhalb seiner Grenzen lebenden Palästinenser*innen voll anerkennen.

Es ist absolut notwendig, einen politischen Keil zwischen die jüdische Arbeiter*innenklasse und die israelische Kapitalist*innenklasse zu treiben, die ganz andere Interessen hat als die Arbeiter*innen, aber in der Lage ist, Unterstützung zu mobilisieren, indem sie Angst vor der Auslöschung eines jüdischen Staates oder sogar vor der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung schürt. Dem muss mit der Forderung nach einem jüdischen Staat auf sozialistischer Grundlage begegnet werden.

Ohne ihre soziale Basis in der jüdischen Arbeiter*innenklasse zu brechen, wird es nicht möglich sein, die schwer bewaffnete israelische herrschende Klasse zu besiegen. In der jüngsten Periode gab es viele Ausdrücke von Klassenpolarisierung innerhalb Israels in wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Diese Kluft könnte erweitert und auf die nationale Frage ausgedehnt werden, wenn die Führung der palästinensischen und arabischen Arbeiter*innenklasse eine internationalistische Herangehensweise verfolgen und an die jüdischen Arbeiter*innen mit einem sozialistischen Programm appellieren würde, das die Forderung beider Völker nach Selbstbestimmung, Demokratie, wirtschaftlicher Sicherheit und Frieden erfüllt.

Nur ein sozialistisches Palästina wäre ein gangbarer palästinensischer Staat. Dies kann nur durch eine revolutionäre Massenbewegung der palästinensischen Arbeiter*innenklasse und der Kleinbäuer*innen erreicht werden. Die Schaffung eines neuen palästinensischen Gebildes in der nächsten Periode kann nicht ausgeschlossen werden, da der US-Imperialismus verzweifelt versucht, eine regionale Explosion zu verhindern. Jedoch keine palästinensische Führung, die auf die Unterstützung des Imperialismus oder arabischer Regime angewiesen wäre, könnte ein demokratisches Regime errichten oder allen Palästinenser*innen ein sicheres Zuhause und Wohlstand bieten. Sie wäre lediglich eine neue Version der Palästinensischen Autonomiebehörde. Ein sozialistisches Palästina wird eine Bewegung von unten erfordern, um einen Arbeiter*innenstaat und eine sozialistische Wirtschaft zu errichten, mit einer internationalistischen Ausrichtung auf die Arbeiter*innen der Nachbarstaaten und den Rest der Welt.

Die Forderung nach einer sozialistischen Umgestaltung Palästinas und Israels muss mit der Idee einer sozialistischen Konföderation des Nahen Ostens verbunden werden, die aus einem freiwilligen Zusammenschluss sozialistischer Staaten in der Region bestehen würde. Angesichts der tiefen Wirtschaftskrise wäre dies für den wirtschaftlichen Fortschritt entscheidend. Sie würde auch einen demokratischen Rahmen für die Lösung der äußerst komplizierten nationalen Frage in der Region bieten.

Eines der kniffligsten Probleme ist zweifellos das Rückkehrrecht der Palästinenser*innen. Zwei oder drei Generationen von Flüchtlingen haben die Lager erduldet und sehnen sich nach einer Rückkehr in ihre Städte und Dörfer, die nach 1948 und 1967 oder in jüngerer Zeit von Israel besetzt oder zerstört wurden. Jedoch nicht nur die herrschende Klasse Israels, sondern auch die Mehrheit der israelischen Jüd*innen befürchtet, dass die Umsetzung eines solchen Rechts das demografische Kräfteverhältnis entscheidend gegen sie verschieben würde. Dies würde praktisch das Ende eines jüdischen Staates bedeuten, und das werden sie nicht akzeptieren. Einige führende arabische Vertreter*innen, darunter auch einige führende PLO-Vertreter*innen, haben mit der Idee geliebäugelt, das Rückkehrrecht gegen eine Entschädigung für die in einen palästinensischen Staat zurückkehrenden Flüchtlinge einzutauschen (was nicht überrascht, wenn man Israels Weigerung, die palästinensische Diaspora zu entschädigen, mit den massiven Reparationszahlungen Westdeutschlands an Israel und jüdische Opfer des Faschismus vergleicht). Die führenden arabischen Vertreter*innen wagen es jedoch nicht, einen solchen Vorschlag offen auszusprechen, da er den Zorn der Palästinenser*innen erregen würde, die darin einen Verrat an ihren tiefsten nationalen Bestrebungen sehen würden. Aber wie kann diese legitime Forderung im Kapitalismus erfüllt werden? Nur sozialistische Staaten, die in einer sozialistischen Föderation zusammenarbeiten, hätten die politische Autorität und die materiellen Ressourcen, um das Problem zu lösen.

Unter dem Kapitalismus gibt es keinen Ausweg aus dem Nahostkonflikt. Wurde das nicht durch die leidvolle Geschichte der Region hinreichend bewiesen? Der Kampf der Palästinenser*innen muss mit einem sozialistischen Programm verknüpft werden.


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