Lynn Walsh: Die neue kapitalistische Elite

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, No 170, Juli/August 2013]

Plutokrat*innen üben aufgrund ihres Reichtums Macht und Einfluss aus. Der globalisierte Kapitalismus des ultrafreien Marktes der letzten Jahre hat eine neue Sorte von superreichen Plutokrat*innen hervorgebracht. Ihr Reichtum gibt ihnen Einfluss, der ihnen Macht gibt, was wiederum ihren Reichtum vergrößert. Lynn Walsh bespricht eine aktuelle Studie über die superreiche Elite.

Plutocrats: The rise of the new global super-rich and the fall of everyone else [Plutokrat*innen: Der Aufstieg der neuen globalen Superreichen und der Fall aller anderen]

Von Chrystia Freeland, erschienen bei Allen Lane, 2012, 25 Pfund [auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Die Superreichen: Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Geldelite“, Frankfurt am Main 2013]

Die unermesslich reichen Industriellen und Bankiers des späten 19. Jahrhunderts in Amerika waren als „Raubritter“ bekannt. Die „Plutokrat*innen“, um die es in Chrystia Freelands Buch geht, sind die Raubritter*innen von heute. Sie sind die superreiche Elite, die über massive wirtschaftliche Macht verfügt und politischen Einfluss (Stimmenkauf, intensive Lobbyarbeit) ausübt, um ihren Reichtum zu schützen. Während des freien-Markt-Wahnsinns der letzten Jahre wurden sie von den Medien als Vorbilder des Unternehmer*innentums gefeiert und hatten ein positiveres Image als ihre Raubritter-Vorgänger. Doch seit dem Finanzcrash und dem Beginn einer scheinbar endlosen Rezession wächst die Ablehnung der superreichen Elite, die dem „einen Prozent“ der Top-Vermögensbesitzer entspricht.

Freeland ist eine versierte Finanzjournalistin und ihr Ziel ist es, „die sich verändernde Form der Weltwirtschaft zu verstehen, indem sie auf denjenigen schaut, die ganz oben stehen“. Ihr Buch bietet reichliches und sehr interessantes Material für eine Analyse der Plutokrat*innen, auch wenn ihre Schlussfolgerungen recht dürftig sind. Der Großteil ihres Materials bezieht sich auf die Zeit vor dem Crash von 2008, aber sie schlägt einen kritischeren Ton an, vor allem gegenüber den Finanzplutokrat*innen, wenn sie zu den Folgen der Krise kommt.

Die Plutokrat*innen sind die superreiche Elite. Sie umfassen das reichste eine Prozent der Bevölkerung, obwohl in den USA, Großbritannien und anderswo die mächtigsten Plutokrat*innen nur einen kleinen Bruchteil des einen Prozent ausmachen. Die Plutokrat*innen (wie sie von Freeland dargestellt werden) sind meist Neureiche, nicht Großgrundbesitzer*innen oder Rentiers, die lediglich einen Teil der Gewinne einstreichen. Sie sind die „arbeitenden Reichen“, die den Großteil ihres Einkommens aus ihren Gehältern beziehen (wenn auch lukrativ ergänzt durch Unternehmensanteile, die Kapitalerträge abwerfen). Im Jahr 1916 erhielten das oberste eine Prozent in den USA 20% seines Einkommens aus bezahlter Arbeit; 2004 waren es 60%, wobei dieser dramatische Wandel seit den 1970er Jahren stattfand. Durch Gehälter und Aktienoptionen erhalten die Konzernbosse einen großen Anteil an den Gewinnen der von ihnen geführten Unternehmen.

Die Plutokrat*innen setzen sich aus mehreren Gruppen zusammen. Das größte Kontingent bilden die Konzernboss*innen (die profitgierigen Vorstandsvorsitzenden und die Leiter von Investmentbanken und Hedgefonds). Eine weitere Gruppe sind die „Tech-Geeks“, die Bosse der großen Technologieunternehmen (Intel, Microsoft, Google usw.).

Eine weitere Gruppe sind die „Rentensucher“. Dazu gehören die Raubritter*innen der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas, die ihre politischen Positionen innerhalb der alten stalinistischen Regime nutzten, um sich nach dem Zerfall der zentralen Planwirtschaften nach 1989 Staatsvermögen anzueignen. Die reichsten unter ihnen schnappten sich die Öl-, Gas- und Metallreserven, die zuvor vom Staat kontrolliert wurden. Ein ähnlicher Prozess fand in China statt. Die berüchtigten „Prinz*essinnen“, die Söhne und Töchter hochrangiger Partei- und Staatsbeamt*innen, nutzten ihren politischen Einfluss, um sich Land anzueignen, Vermögenswerte zu rauben und den privilegierten Zugang zu Krediten auszunutzen, um ihren eigenen Reichtum zu vergrößern.

Dies ist nicht nur in den ehemaligen stalinistischen Staaten geschehen. Freeland zeigt, dass auch in Indien der Zugang zu Kapital und wichtigen Märkten vom Einfluss in der politischen Führung abhängt – der durch massive Bestechung bezahlt werden muss. In Mexiko machte die Privatisierung der Telekommunikation Carlos Slim zu einem der reichsten Männer der Welt (53 Mrd. Dollar im Jahr 2009).

Freeland liefert ein zusammengesetztes Porträt des typischen Plutokraten: Er ist männlich (es gibt nur sehr wenige Frauen), aggressiv ehrgeizig, stammt aus der Mittelschicht oder der oberen Mittelschicht, hat eine sehr gute Bildung in „guten Schulen“ (oft mit Stipendien) und eine sehr gute Ausbildung in Naturwissenschaften, Mathematik oder Technik. Der typische Plutokrat hat einen Abschluss an einer Eliteuniversität (der Ivy League der USA oder Stanford; in Großbritannien Oxbridge, UCL usw.). Typischerweise erreicht der Plutokrat bis zum Alter von 35 Jahren ein Einkommen von 100.000 Dollar – oder er wird es wahrscheinlich nicht in die Superelite schaffen.

Es überrascht nicht, dass die Plutokrat*innen fest an die ultrafreie Marktwirtschaft glauben. Einige finanzieren rechtsgerichtete Denkfabriken, um ihre Ideologie des freien Marktes zu fördern. Einige (z. B. Evgeny Lebedev, die Brüder Koch) kaufen Zeitungen und andere Medien. Plutokrat*innen geben Millionen für die Lobbyarbeit bei Politiker*innen aus, ein System (vor allem in den USA) der institutionalisierten Korruption. Sie glauben, dass sie als superschlaue, „arbeitende Reiche“ ihren Status als Superreiche verdient haben. Manche haben jedoch das Bedürfnis, ihr Image durch Philanthropie im großen Stil zu verbessern. Bill Gates ist dafür bekannt, aber in seinen Bildungs- und anderen Wohltätigkeitsprojekten fördert er kapitalistische Managementmethoden (z. B. Tests und leistungsbezogene Bezahlung im Bildungswesen).

Einige der reichsten Plutokrat*innen hingegen stellen ihren Reichtum schamlos zur Schau. Sie reisen in Privatjets und Jachten (mit Hubschraubern, Mini-U-Booten usw.) umher. Zusammen mit ihren Ehefrauen und Freundinnen unterstützen sie die florierende Luxusgüterbranche. Sie sind Stammkunden von Spitzenrestaurants, Spitzenanwälten, -ärzten, Haute Couture usw. Sie kaufen Immobilien in internationalen Großstädten wie London, wo sie steuerlich bevorzugte Behandlung erhalten.

Die Plutokrat*innen sind zweifelsohne kosmopolitisch und sehr mobil. Aber Freeland übertreibt diesem Punkt. Während die Plutokrat*innen selbst von Ort zu Ort, von Geschäft zu Geschäft und von Steuerparadies zu Steuerparadies wandern, sind die großen Unternehmen, die Bodenschätze, die Lebensmittel produzierenden Ländereien usw., aus denen sich ihr Reichtum letztlich speist, nach wie vor im Rahmen rivalisierender Nationalstaaten verwurzelt. Die Plutokrat*innen surfen auf den Wellen der Globalisierung, aber es wäre ein Fehler, daraus zu schließen, dass der Kapitalismus seine nationalen Grenzen überwunden hat.

Die Rolle der Vorstandsvorsitzenden-Superstars

In den letzten 30 Jahren bildeten die Vorstandsvorsitzenden der großen Konzerne ein prominentes Kontingent der superreichen Plutokrat*innen. Bis zum Crash wurden sie von den Medien als Held*innen der neoliberalen Revolution dargestellt, die den „Shareholder Value“ (d.h. die kurzfristigen Gewinne) maximieren. Doch nach dem Ausbruch der „großen Rezession“ begannen viele Investor*innen, sie als parasitäre Manager*innen zu betrachten, die sich der Maximierung ihres eigenen Einkommens verschrieben haben und einen Löwenanteil der Unternehmensgewinne auf Kosten der Mehrheit der Aktionär*innen einstreichen.

Die Spitzenvorstände der großen amerikanischen Industrieunternehmen genossen während des Nachkriegsaufschwungs (1945-73) beträchtliches wirtschaftliches und politisches Prestige. Viele sahen sich selbst als kapitalistische Beamte, die ihre Unternehmen im allgemeinen Interesse eines „sozial verantwortlichen“ Kapitalismus führten. Ihre Strategie war, die Gewinne in die langfristige Entwicklung ihrer Produktionskapazitäten zu reinvestieren. Um sich den Arbeitsfrieden zu erkaufen, räumten sie ihren Arbeiter*innen ein historisch hohes Lohnniveau und hohe Sozialleistungen (Krankenversicherung, Renten usw.) ein. Die Gehälter der Vorstände sanken jedoch in dieser Zeit aufgrund des sozialen Drucks innerhalb der Unternehmen und einer allgemeinen Verringerung der Einkommensunterschiede.

In den Jahren 1934-38 betrug das Medianeinkommen des obersten Quartils der Vorstandsvorsitzenden 813.000 $ (konstante Dollars von 1986); bis 1974-86 war es auf 645.000 $ gesunken. Dennoch war das Durchschnittsgehalt der Vorstandsvorsitzenden der S&P 500-Unternehmen 25 Mal so hoch wie das Durchschnittsgehalt der Produktionsarbeiter*innen. Ab den späten 1970er Jahren stiegen die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden jedoch in ungeahnte Höhen, wodurch sich ein gewaltiger Unterschied auftat. Im Jahr 1990 betrug das Gehalt der Vorstandsvorsitzenden das 100-fache und 1996 das 210-fache des Durchschnittslohns der Arbeiter*innen. (Jeff Madrick, Age of Greed [Zeitalter der Gier, 2011], S. 327)

Der dramatische Wandel in der Rolle und der Vergütung der Vorstandsvorsitzenden war Teil der neoliberalen Umstrukturierung in den USA und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, die nach 1980 einsetzte. Mit dem allgemeinen Rückgang der Unternehmensrentabilität ab Ende der 1960er Jahre waren die Investor*innen – Aktionär*innen, insbesondere die institutionellen Investor*innen wie Versicherungsgesellschaften und Investmentfonds – zunehmend unzufrieden mit ihren Erträgen. Sie wollten nicht mehr, dass „im Unternehmen auf Lebenszeit Tätige“ langfristige Anlagestrategien (und ihre eigene Unternehmenskarriere) verfolgten. Sie wollten sofortige Profite und die maximale Erträge für die Aktionär*innen. Obwohl Freeland diesen Begriff nicht verwendet, lässt sich die damit verbundene neoliberale Doktrin am besten als „Shareholder Value“ definieren. (Siehe: Lazonick & O’Sullivan, Maximising Shareholder Value, Economy and Society [Wirtschaft und Gesellschaft], 29/1, Februar 2000)

Das alte Unternehmenskonzept des „Einbehaltens (der Profite) und Reinvestierens“ wurde durch „Verkleinern und Ausschütten“ (an die Aktionär*innen) ersetzt. Die tiefe Rezession von 1980-81 führte zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen und, mit der Beschleunigung der Globalisierung, zu einer unaufhaltsamen Verlagerung von Produktions-Arbeitsplätzen. Aufeinanderfolgende Wellen von Fusionen und Übernahmen führten ebenfalls zur Zerstörung von Industriekapazitäten und zu weiteren Arbeitsplatzverlusten. Die Fusionen wurden mit Schulden bezahlt (die hauptsächlich durch Ramschanleihen aufgenommen wurden), während die ausgegliederten Vermögenswerte verkauft wurden – und der Erlös an die Aktionär*innen verteilt wurde. Quartalsprofite und vor allem die Börsenkapitalisierung eines Unternehmens (der Gesamtwert seiner Aktien) wurden zum einzigen Kriterium für den Erfolg. Während der Finanzblasen der 1990er Jahre und danach wurden die Gewinne vieler Unternehmen häufig in die Höhe getrieben (sei es durch kreative Buchführung oder durch regelrechten Betrug), um ihre Aktienkurse in die Höhe zu treiben.

Wie würde die Maximierung des „Shareholder Value“ gewährleistet werden? Indem den Vorstandsvorsitzenden enorme Anreize geboten wurden, nicht nur in Form von fabelhaften Gehältern, sondern vor allem in Form von Unternehmensaktien oder Aktienkaufoptionen. Dies gab ihnen eine persönliche Beteiligung am Erfolg des Unternehmens, der sich am Aktienkurs messen ließ. Die Vorstandsvorsitzenden waren nicht mehr vom Konzern auf Lebenszeit angestellt. Sie wurden zu „Agenten“ der Aktionär*innen, in der Praxis der Investmentbanker*innen, Fondsmanager*innen und Hedgefonds-Boss*innen, die die Finanzmärkte beherrschen. Die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden sind weitaus höher als die der anderen leitenden Angestellten. Außerdem bleiben Vorstandsvorsitzende im Durchschnitt nur etwa drei oder vier Jahre auf ihrem Posten, bevor sie wechseln oder entlassen werden. Es gibt in der Tat einen Markt für Vorstandsvorsitzende, auf dem derjenige Kandidat gesucht wird, der am rücksichtslosesten bei der Kostensenkung, dem Stellenabbau und der Steigerung der Gewinne vorgeht. Dieser Prozess hat die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden drastisch erhöht.

Den Aktionär*innen ging es gut. Der Anstieg der Börsenkapitalisierung verlief parallel zum Anstieg der Vergütungspakete für Vorstandsvorsitzende. Doch unter dem Eindruck der Finanzkrise und des wirtschaftlichen Abschwungs ab Ende 2007 haben die Aktionär*innen – insbesondere die Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften – begonnen, sich über den wachsenden Anteil der Topmanager*innen am Unternehmensgewinn zu beschweren. Im Jahr 1993 betrug das durchschnittliche Gehaltspaket der Vorstandsvorsitzenden der Fortune-500-Unternehmen 3,7 Millionen Dollar; bis 2006 war es auf 9,1 Millionen Dollar angestiegen (Madrick, Age of Greed, S. 328). „Zwischen 2001 und 2003 zahlten börsennotierte Unternehmen mehr als zehn Prozent ihres Nettoeinkommens an ihre fünf Top-Führungskräfte, ein Anstieg gegenüber weniger als fünf Prozent acht Jahre vorher.“ (Freeland, S. 135)

Die Vorstandsvorsitzenden bilden ein Schlüssel-Kontingent der Plutokrat*innen. Konzernvorstände (außerhalb des Finanzsektors) stellen 31% des obersten einen Prozent und damit die größte Einzelgruppe; sie machen 42% der 0,1% aus.

Während des Aufschwungs der Spekulationsblasenwirtschaft galten die Vorstandsvorsitzenden als Superstars, die den Aktionär*innen immer höhere Renditen einbrachten, während sie die amerikanischen Konzerne rücksichtslos verkleinerten. Millionen von Arbeiter*innen verloren gut bezahlte Arbeitsplätze in der Produktion, und Millionen von Angestelltenjobs sind ebenfalls verschwunden. Es kam zu einer Verlagerung auf schlecht bezahlte, unsichere Teilzeitarbeitsplätze im Dienstleistungssektor, zusammen mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und dem völligen Herausfallen von Arbeiter*innen aus dem Arbeitsmarkt. Der Median des Haushaltseinkommens hat seit 1980 im Wesentlichen stagniert. Im Jahr 2011 lag der (inflationsbereinigte) Median des Haushaltseinkommens in den USA um 1,13% niedriger als 1989. Der riesige Anstieg der Gehälter von Spitzenmanager*innen spiegelt nicht nur den Prozess der Polarisierung von Einkommen und Vermögen wider. Die Bereicherung der Vorstandsvorsitzenden ist eine der Triebfedern der Polarisierung, denn die Vorstandsvorsitzenden sind die Akteur*innen eines Polarisierungsprozesses.

Die Herren der Technologie

Erfolgreiche „Tech-Geeks“ (wie Freeland sie nennt) – wie Bill Gates (Microsoft), Steve Jobs (Apple), Larry Page (Google), Mark Zuckerberg (Facebook) usw. – sind unter den Plutokrat*innen prominent vertreten. Ihre Hightech-Produkte, insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), spielten eine entscheidend Rolle bei den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die seit den 1980er Jahren stattgefunden haben. Freeland spiegelt die allgemeine Auffassung wider, dass der technologische Fortschritt eine „Kraft des Guten“ sei (auch wenn er ein Faktor für die Entwicklung der Ungleichheit ist). Im Unterschied zu Banker*innen, die zunehmend als gierige Bösewichte angesehen werden, werden die Tech-Geeks als weltliche Heilige gesehen, als Menschen, die ihre Milliarden aufgrund ihrer Leistungen verdient haben – echte Technokrat*innen.

Freeland stellt sie als individualistische Superstars dar. Sie verweist auf die Rolle von Kaliforniens Silicon Valley als Matrix der Hightech-Revolution. Aber sie untersucht nicht die Rolle der staatlich unterstützten Infrastruktur bei der Entwicklung von Silicon Valley. Viele der Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen wurden beispielsweise im öffentlichen Universitätssystem Kaliforniens ausgebildet. Ein Großteil der Forschung und Entwicklung im Bereich des Internets und der damit verbundenen IKT entstand aus staatlich finanzierte Forschungsprogrammen und wurde ursprünglich vom militärisch-industriellen Komplex entwickelt.

Freeland stellt zwar fest, dass die größten Nutznießer*innen des Silicon-Valley-Phänomens die Finanzier*innen der Wall Street waren. Aber sie übergeht die Tatsache, dass sich die Technologie für die Tech-Unternehmer*innen selbst als sehr profitabel erwiesen hat. Die erfolgreichen Technologieboss*innen – auch wenn sie als einsame Erfinder*innen begannen – waren von einem frühen Stadium an vollständig mit der Hochfinanz verflochten.

Die Tech-Firmen waren für ihren Erfolg auf die Verfügbarkeit von Kapital angewiesen, das meist von Risikokapitalgebern bereitgestellt wurde. Sie finanzierten die Forschung und Entwicklung sowie das anfängliche Marketing, und als die neuen Firmen dann startklar waren, wurden sie durch Börsengänge als Aktiengesellschaften an die Börse gebracht. In der berauschenden Boom-Atmosphäre der Jahre 1997-2000 wurde fieberhaft in Technologieaktien investiert – alles, was mit dem Internet zu tun hatte, egal ob es sich als erfolgreich erwies oder nur ein Versprechen auf unendlichen Reichtum war, wurde zum Ziel von Spekulationen.

Es entstand eine riesige Spekulationsblase bei Technologieaktien. Die Flut billiger Kredite wurde genutzt, um mit diesen Aktien zu spekulieren, was ihren Wert enorm in die Höhe trieb. In den USA stiegen die Technologieaktien zwischen 1997 und 2000 um 300%; in der Spitze machten sie 35% der gesamten Aktienkapitalisierung aus, gegenüber 12% im Jahr 1997. Diese massive Überbewertung führte unweigerlich zum Zusammenbruch der Dotcom-Blase Ende 2000. (Siehe: Carlotta Perez: The Double Bubble, Cambridge Journal of Economics, 33/4, 2009)

Nach 2001 gab es eine weitere Finanzblase, die wiederum auf dem Wachstum billiger Kredite (Schulden) beruhte. Bei dieser Blase ging es nicht so sehr um Technologie, sondern um neue Formen von Derivaten, die Verbriefung von Schulden (im Zusammenhang mit der Immobilienblase) und den automatisierten Aktienhandel – all dies wurde durch die neuen IKT ermöglicht. Auch hier führte die Blase unweigerlich zu einem verheerenden Finanzcrash Ende 2007.

Technologische Entwicklungen können nicht von wirtschaftlichen und sozialen Kräften getrennt werden. Auch wenn die neuen Technologien zweifellos viele positive Anwendungen haben, so waren sie doch eine Schlüsselkraft bei der Entwicklung der Polarisierung der Gesellschaft. Sie erleichterte die Globalisierung und führte in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zu einer Polarisierung zwischen denjenigen (hochqualifizierten, technischen Arbeiter*innen), die mit dem Hightech-Sektor verbunden sind, und denjenigen (Arbeiter*innen und Angestellten), die zuvor von den alten „Schornstein“- und Fließbandindustrien abhängig waren, die durch Offshoring und neue Technologien dezimiert wurden.

„Das Reagieren auf die Revolutionen“ (schnelle gesellschaftliche Veränderungen), so Freeland, ‚ist so zentral für die Kultur von Silicon Valley, dass die erfolgreichsten Unternehmer eine Kultur der ständigen Revolution entwickelt haben‘. (S. 171) Allerdings stößt die neue Technologie auf wirtschaftliche und soziale Hemmnisse. Es gibt sicherlich viele neue Anwendungsmöglichkeiten für IKT und Entwicklungen in anderen Bereichen (verstärkter Einsatz von Industrierobotern, 3D-Druck, Biowissenschaften, Lasertechnologie, grüne Energieerzeugung usw.). In einer kapitalistischen Wirtschaft begrenzt jedoch die Nachfrageschwäche aufgrund stagnierender Einkommen und massiver Einkommensungleichheit die umfassende Entwicklung von Technologien – die breitere Verbreitung neuer Technologien in der Gesellschaft. Diese Sackgasse spiegelt sich im intensiven Wettbewerb zwischen Konzernen wie Microsoft, Apple, Google, Facebook usw. um einen zunehmend gesättigten Markt für elektronische Konsumgüter (iPhones, iPads, Tablets usw.) und die verschiedenen Anwendungen und „Inhalte“, die mit diesen Geräten einhergehen, wider.

Die neue Technologie war hochprofitabel. Dies zeigt sich an den wachsenden Bargeldbergen der US-Technologieunternehmen. „Etwa 6 von 10 Dollar, die in den letzten drei Jahren zum Bargeldberg des Unternehmenssektors hinzukamen, stammen von Technologiefirmen … Der gesamte Berg erreichte Ende letzten Jahres einen Rekordwert von 1,45 Billionen Dollar… Allein Apple dürfte bis Ende des Jahres auf 17 Milliarden Dollar an Bargeld und liquiden Anlagen sitzen…“ (Richard Waters, Tech Groups Swell US Cash Pile, „Financial Times“, 18. März 2013) Technologische Innovation führt klar nicht automatisch zu Wachstum und Wohlstand.

Eine neue Klasse?

Stellen die von Freeland untersuchten Plutokrat*innen eine eigene soziale Schicht dar? Wenn ja, wie sind sie zu charakterisieren? Freeland argumentiert, dass die neuen wirtschaftlichen Meritokrat*innen und wissenschaftlichen Technokrat*innen – viele von ihnen (auch die Gangsterkapitalist*innen der ehemaligen stalinistischen Staaten) hochqualifizierte Ingenieur*innen, Wissenschaftler*innen, Mathematiker*innen, Ökonom*innen usw. – eine „neue Klasse“ seien, die um die „Klassenmacht“ ringe. Sie fordern die etablierten Rentierkapitalisten heraus und nutzen ihren Reichtum zunehmend, um politischen Einfluss auszuüben.

Leider ist Freelands Herangehensweise an dieser Frage oberflächlich und verworren. Sie stützt sich auf die irrigen Ideen von Milovan Đilas‘ „Die Neue Klasse“ (1957) und dem Buch seiner Schüler, Intellectuals on the Road to Class Power (György Konrád und Iván Szelényi, 1979 [deutsch: Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht, 1978). Sie sahen die herrschende Bürokratie der stalinistischen Staaten als eine Klasse, eine neue Bourgeoisie, und nicht als eine privilegierte Kaste, die die Kontrolle von der Arbeiter*innenklasse an sich gerissen hatte und die nichtkapitalistische Planwirtschaft leitete.

Konrad und Szelényi behaupteten, dass Technokrat*innen (Ingenieur*innen usw.) die Bürokratie (oder die „neue Klasse“) zunehmend beherrschten und versuchten, ihre Macht zu vergrößern. Darin lag ein Körnchen Wahrheit. In dem Maße, in dem die Planwirtschaften komplexer wurden, gewann eine neue Generation von technokratischen Bürokrat*innen an Bedeutung – was sich beispielsweise im Gorbatschow-Flügel der Bürokratie in der Sowjetunion in den 1980er Jahren widerspiegelte.

Es ist jedoch völlig verfehlt, um nicht zu sagen lächerlich, diese (falsche) Analyse der „neuen Klasse“ auf den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts anzuwenden. Zunächst einmal sind die Plutokrat*innen – auch wenn sie sehr reich sind – keine kohärente Gruppe, wie Freeland selbst zeigt. In Russland, Osteuropa und China sind Gangsterkapitalist*innen und profitgierige „Prinz*essinnen“, Freelands „Renten-Sucher“, kapitalistische Klassen im Prozess der Herausbildung (obwohl der Staat nach wie vor eine mächtige Wirtschaftsmacht bleibt, besonders in China).

In den USA und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern bilden die Plutokrat*innen, vor allem die Finanzier*innen, Vorstandsvorsitzende und Technologieboss*innen, eine aufstrebende Fraktion der Kapitalist*innenklasse. Sie stammen nicht unbedingt aus traditionellen bürgerlichen Familien, haben aber ein riesiges Vermögen gemacht und sind durch neue Trends im Kapitalismus an die Spitze gelangt: neoliberale Wirtschaft, Finanzialisierung, Globalisierung, neue Technologien. Zweifellos werden die Plutokrat*innen in die Bourgeoisie eingegliedert, und, wie Freeland einräumt, werden die Neureichen bestrebt sein, ihre Privilegien (Zugang zu Eliteuniversitäten) und ihren Reichtum so weit wie möglich an ihre Nachkommen weiterzugeben.

Einige der Plutokrat*innen werden zudem versuchen, mehr politische Macht auszuüben. Michael Bloomberg zum Beispiel, ein mega-reicher Finanzier und zweifellos ein Plutokrat, ist seit 2002 Bürger*innenmeister von New York. Im Jahr 2008 unterstützten viele Wall-Street-Finanzier*innen Barack Obama als Reaktion auf die katastrophalen Abenteuer der republikanischen Regierung der Bush-Ära. Im Jahr 2012 schwenkten sie überwiegend zu Mitt Romney um – um Steuererhöhungen und eine strengere Regulierung der Finanzmärkte zu verhindern. Freeland verweist auf die Neigung der Plutokrat*innen, politischen Einfluss durch (jetzt praktisch unbeschränkte) Wahlkampfspenden zu kaufen. Doch obwohl sie auf den „Weg zur Klassenmacht“ verweist, unternimmt sie keinen Versuch, die Verbindungen der Plutokrat*innen zu den herrschenden politischen Eliten zu untersuchen, also zu den Elementen der Kapitalist*innenklasse, die über die Mechanismen von Regierung und Staat tatsächlich Macht ausüben.

Was tun?

Freeland hat ein erhellendes Porträt der superreichen Elite erstellt. Was auch immer ihre Absicht war, sie liefert reichlich Material für eine vernichtende Anklage des Systems, das sie hervorgebracht hat. Aber was ist ihr Standpunkt? Sie scheint oft zwiespältig zu sein und mischt Bewunderung für die „Superheld*innen“ mit Kritik – nicht so sehr an dem sagenhaften Reichtum und dem luxuriösen Lebensstil der Plutokrat*innen, mehr an ihrer arroganten Blindheit gegenüber den Folgen ihres hemmungslosen Strebens nach Reichtum. Es gehe ihr nicht darum, Schuld zuzuweisen, sagt sie. Zweifellos will Freeland, die im Rahmen ihrer Arbeit als Finanzjournalistin mit den Plutokrat*innen sprechen muss, eine gewisse „Neutralität“ wahren.

Ihr Ausgangspunkt ist, dass „wir Kapitalisten brauchen, weil wir den Kapitalismus brauchen – er ist, wie die Demokratie, das beste System, das wir bisher erdacht haben“. Der westliche Kapitalismus hat durch die wiederholte „schöpferische Zerstörung“ und die Übernahme neuer Technologien, den „Wettbewerb durch neue Marktteilnehmer“ und „eine immer umfassendere wirtschaftliche und politische Ordnung“ zur „rigorosesten Ära des wirtschaftlichen Fortschritts in der Geschichte der Menschheit“ geführt. „So ziemlich die ganze Welt“ glaubt an den Kapitalismus. „Der globale Kapitalismus sollte jedoch nicht auf diese Weise funktionieren.“ Freeland bezieht sich dabei auf die extreme Polarisierung des Wohlstands und nicht auf den katastrophalen Finanzcrash und den wirtschaftlichen Einbruch nach 2008.

Bis vor kurzem, so Freeland, glaubten die Anhänger*innen des Kapitalismus, dass „in den voll industrialisierten oder postindustriellen Gesellschaften die Einkommensungleichheit wieder abnehmen würde, wenn die Bildung weiter verbreitet ist und der Staat eine größere, stärker verteilende Rolle spielt“. Dies schien sich während des Nachkriegsaufschwungs zu bewahrheiten. Auf der Grundlage eines historisch hohen Wachstums und der Ausweitung der Sozialleistungen des New Deal kam es zu dem als „große Kompression“ bekannten Phänomen, das zu einer deutlichen Verringerung der Ungleichheit in den USA und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern führte. Die führenden Politiker*innen der USA rühmten sich der riesigen „Mittelschicht“ des Landes, eines breiten Spektrums, das die Arbeiter*innenklasse und große Teile der Lohnabhängigen, Angestellten, Facharbeiter*innen und Kleinunternehmer*innen umfasste (und die Identität und Rolle des Proletariats verschleierte).

Freeland analysiert nicht die internationalen und innenpolitischen Klassenbeziehungen, die diese Lage erzeugt haben. Sie erwähnt jedoch beiläufig, dass „die Angst vor einer kommunistischen Revolution eine starke Motivation für Reformen war… Es war besser, der Arbeiterklasse eine wirksame politische Stimme und ein soziales Sicherheitsnetz zu geben, als zu riskieren, dass ihre bolschewistische Vorhut die Macht ganz an sich reißt“. Mit dem Zusammenbruch des „Kommunismus“ – Chinas Hinwendung zum Markt, der Implosion der stalinistischen Staaten der UdSSR, Osteuropas usw. – und dem Zerfall der sozialdemokratischen/reformistischen Führungen im eigenen Land war dieser Druck nicht mehr vorhanden. Die kapitalistische Elite nutzte die Möglichkeiten, die sich durch die Finanzialisierung und die Globalisierung eröffneten, und versuchte, so viel Reichtum wie möglich in ihren eigenen Händen zu konzentrieren.

Die Plutokrat*innen nutzten ihren wachsenden politischen Einfluss – den sie sich durch Wahlkampffinanzierung erkauften -, um die wirtschaftlichen Veränderungen durch einen neuen politischen Rahmen zu verstärken, der auf der Deregulierung der Finanzmärkte, der Privatisierung öffentlicher Unternehmen, niedrigeren Steuern auf Reichtum und schwachen Gewerkschaften (die durch staatlichen Zwang erzwungen wurden) beruhte. Hinzu kamen der Druck der Arbeitslosigkeit und die Drohung der Verlagerung von Arbeitsplätzen sowie herabgedrückte Lohnniveau.

Einige kapitalistische Strateg*innen erkennen die potenzielle Gefahr für ihr System, die von der extremen Polarisierung des Reichtums ausgeht. Als die Occupy-Bewegung ihren Anfang nahm, wurden ihre Teilnehmer jedoch von prominenten Finanzplutokrat*innen mit unglaublichen Schimpftiraden überzogen: Sie seien „nur ein Haufen von Sozialhilfeempfängern“. Paul Martin, ein ehemaliger kanadischer Premierminister und millionenschwerer Geschäftsmann, erkannte jedoch an, dass „Occupy Wall Street einen Nerv getroffen hat, der wirklich die Mittelschicht berührt… auf der ganzen Welt“.

Ein weiteres Mitglied der Superelite, der Finanzier Mohamed El-Erian, kommentierte im Juni 2010, dass „keine Nation auf Dauer exzessive Einkommens- und Vermögensungleichheiten tolerieren kann, da sie das Gewebe der Gesellschaft zerreißen. Denken Sie an diese einfache Analogie: ein immer schickeres Haus in einer armen und verfallenden Gegend. Das Wohlergehen des Hauses kann nicht von dem der Nachbarschaft als Ganzer getrennt werden.“ Dennoch verwechseln die meisten Wirtschaftseliten weiterhin munter „ihre eigenen Interessen mit den Interessen der Gesellschaft als Ganzer“. Mit immer mehr Scheuklappen leben die Plutokrat*innen in einer mentalen „globalen bewachten Wohnanlage“. Ein Großunternehmer mit etwas weniger Scheuklappen beklagte, dass es für die Elite sogar ein Fortschritt wäre, „kurzfristiger Gier“ durch „langfristige Gier“ zu ersetzen (287).

Doch der republikanische Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2012, Romney, ein Private-Equity-Plutokrat, hat sich dafür eingesetzt, die Leistungen für die 47% zu kürzen, die seiner Meinung nach auf Sozialleistungen angewiesen sind, die Steuern für die Reichen zusammenzustreichen und alle Versuche abzuwehren, die Regulierung des Finanzsektors zu stärken.

Also was tun? Freeland beruft sich auf die Ideen von Henry George, einem bekannten Populisten, der die „Raubritter“ der 1880er und 1890er Jahre anprangerte. Er verwies auf das „große Rätsel“ des Zusammenhangs zwischen Fortschritt (der enormen Zunahme der Produktionskraft) und Armut (Depression und Massenarbeitslosigkeit). Georges Beschreibung des Gegensatzes zwischen Armut und Fortschritt trifft auch heute noch einen Nerv. George gefällt Freeland, weil er „die offensichtliche Ungerechtigkeit des amerikanischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts anprangerte, ohne sich vom Kapitalismus selbst zu distanzieren“. (S. 42) George konzentrierte sein Feuer auf die Großgrundbesitzer und ihre Verbündeten, die Eisenbahnbosse, die Minenbesitzer, Bankiers, Rentiers usw. Er unterstützte die „produktiven“ Kapitalist*innen, insbesondere Landwirt*innen und Kleinunternehmen. Seine Lösung war die Rückkehr zur „Jeffersonschen Demokratie“ (ein idealisiertes Bild der volkstümlichen Demokratie der frühen amerikanischen Republik), um die Raubritter zu zähmen. Dies ist im Wesentlichen Freelands Rezept für heute: Was wir brauchen, sind „richtige Regeln und Polizeiarbeit, die in der Lage ist, sie durchzusetzen“. Dies setzt voraus, die Bösen, die renditesüchtigen Plutokrat*innen, von den Guten, den wertschöpfenden Plutokrat*innen, zu trennen – was, wie Freeland selbst zugibt, eine unmögliche Aufgabe ist!

Dies ist ein Plädoyer Freelands für eine Rückkehr zu den Bedingungen des „goldenen Zeitalters“ des Nachkriegsaufschwungs, als der Wohlstand auf breite Schichten der „Mittelschicht“ verteilt war. Aber das ist nicht annähernd ein Programm für den Wandel; es ist ein frommer Wunsch, der sich nicht im Geringsten auf die realen sozialen Kräfte stützt, die in der US-Gesellschaft (und in anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern) wirken, trotz der Tatsache, dass Freeland selbst zeigt, dass die Plutokrat*innen das Produkt tiefgreifender sozialer Veränderungen sind. In den letzten drei Jahrzehnten ist der Kapitalismus immer weiter von dem New-Deal- oder sozialdemokratischen Modell des Nachkriegsaufschwungs abgeschwenkt. Die Kapitalist*innenklasse und ihre herrschende politische Elite haben unter dem Druck der Finanzmärkte nicht nur überall eine Politik des freien Marktes verordnet, sondern auch ein Veto gegen jede nachhaltige Hinwendung zu Sozialausgaben eingelegt.

Im Falle explosiver sozialer Bewegungen, die das System bedrohen, werden sich die kapitalistischen Regierungen keynesianischen Maßnahmen mit einigen Zugeständnissen an die Arbeiter*innenklasse zuwenden (wie sie es mit kurzfristigen Konjunkturpaketen in den Jahren 2009-10 getan haben). Aber das werden nur vorübergehende Notbehelfs-Maßnahmen sein. Die Bedingungen für eine Rückkehr zu der Art von Aufschwung, die nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand, oder zu den Sozialprogrammen, die das Wirtschaftswachstum begleiteten, bestehen nicht.

Freeland glaubt, dass der Kapitalismus „das bisher beste System“ ist. Aber es hat die Weltwirtschaft in die tiefste Krise seit der Zwischenkriegszeit gestürzt. Außerdem sind die Aussichten düster – wir stehen höchstwahrscheinlich vor einer längeren Depressionsperiode.

Freeland geht nirgends auf die Rolle der Arbeiter*innenklasse als soziale Kraft des Wandels ein. Zwar verweist sie im Rückblick auf die Geschichte auf die Bedrohung durch eine Revolution als Ansporn für Reformen. Sie verweist auch darauf, dass einige der Strateg*innen des Kapitalismus soziale/politische Umwälzungen fürchteten. Aber sie bietet keine Perspektive für einen Wandel.

Freeland verweist auf den Marxismus als erste kohärente Ideologie des Klassenkampfes (S. 114), tut aber leichtfertig ab, dass Karl Marx sich geirrt habe, als er meinte, der Kapitalismus bereite seine eigene Zerstörung vor. Aber hat sich nicht gezeigt, dass Marx mit den Trends im heutigen Kapitalismus richtig lag? Die krasse Polarisierung des Wohlstands, die Beschleunigung und Globalisierung der Wirtschaft, die widersprüchlichen Auswirkungen der Technologie, die Verarmung großer Teile der Arbeiter*innenklasse und der arbeitenden Armen?

Marx wird auch mit der Unvermeidbarkeit massiver Umwälzungen Recht behalten. Die jüngsten Generalstreiks und Massenproteste in Europa und anderswo sind ein Vorspiel für kommende größere Kämpfe. Die Arbeiter*innenklasse wird ihre Rolle als Kraft des sozialen Wandels wieder geltend machen.

Es gibt keine Alternative zu der bestehenden Polarisierung im Rahmen des Kapitalismus. Das wirft die Notwendigkeit von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, einer geplanten Produktion und einer demokratischen Verwaltung der Wirtschaft auf nationaler und internationaler Basis auf. Wenn man wie Freeland akzeptiert, dass der Kapitalismus bestehen bleibt, ohne ein Konzept für eine andere Gesellschaftsform zu haben, ist es für einen unmöglich, einen wirksamen Weg zu finden, um die räuberische Herrschaft der Plutokrat*innen zu beenden.

Kasten: Die Reichen und die Superreichen

„Im Jahr 2005 hatte Bill Gates 46,5 Milliarden Dollar und Warren Buffett 44 Milliarden Dollar Vermögen. In jenem Jahr betrug das Vermögen der 120 Millionen Menschen, die die unteren 40% der US-Bevölkerung ausmachen, rund 95 Milliarden Dollar – kaum mehr als die Summe der Vermögen dieser beiden Männer.“ Chyrstia Freeland liefert eine Fülle von Daten über den Reichtum der Superreichen.

Auf dem Höhepunkt des Booms erzählt ihr eine New Yorker Prominente: „Es gab Leute in ihren Dreißigern, die durch Hedgefonds und Goldman-Sachs-Partnerjobs 20, 30, 40 Millionen im Jahr machten. Und das taten viele von ihnen.“

Freeland zeigt, wie sich das Wohlstandsgefälle nach der großen Depression der 1930er Jahre verringerte, aber in den 1980er Jahren zu explodieren begann. „In den 1970er Jahren entfielen auf die obersten ein Prozent der Einkommensbezieher etwa 10% des Nationaleinkommens. Fünfunddreißig Jahre später war ihr Anteil auf fast ein Drittel des Nationaleinkommens angestiegen“.

Die meisten der von ihr genannten Zahlen beziehen sich auf die Vereinigten Staaten, aber ähnliche Trends sind auch in Großbritannien und Europa zu beobachten. Auch in sich entwickelnden Ländern wie China, Russland, Indien und Brasilien hat das eine Prozent die große Mehrheit bei Einkommen und Vermögen dramatisch überholt. „Im Jahr 1980 verdiente der durchschnittliche US-Vorstandsvorsitzende 42 Mal so viel wie der durchschnittliche Arbeiter. Bis 2012 war das Verhältnis auf 380 hochgeschnellt“.

Während des Zweiten Weltkriegs und des Nachkriegsaufschwungs erhielten die obersten 10% etwa 33% des Einkommens. Doch seitdem ist ihr Anteil dramatisch angestiegen. „Im Jahr 2006 verdienten die obersten 10% 50% des Volkseinkommens und damit sogar mehr als 1928, auf dem Höhepunkt der wilden Zwanziger Jahre.

Die größte Verschiebung gibt es jedoch innerhalb der obersten 10%. „Fast alle Zuwächse finden sich an der Spitze der Verteilung: Während der Wirtschaftsexpansion von 2002 bis 2006 gingen drei Viertel aller Einkommenszuwächse in den Vereinigten Staaten an das oberste eine Prozent der Bevölkerung“. Es gibt mit anderen Worten eine wachsende Kluft zwischen den Reichen und den Superreichen. „Hier sehen Sie, wie sich das auf das durchschnittliche Familieneinkommen in den USA im Jahr 2010 auswirkt… Familien in den obersten 0,01% verdienten 23.846.950 Dollar; für die obersten 0,1-0,01% sank dieses Einkommen drastisch auf 2.802.020 Dollar. Die obersten ein Prozent verdienten 1.019.098 Dollar, die obersten 10% verdienten 246.934 Dollar. Die unteren 90% verdienten inzwischen im Durchschnitt 29.840 Dollar.

Wenn jemand die Schuld am Crash von 2008 trägt, sind es dann nicht die superreichen Banker*innen und Finanzier*innen? Doch im Unterschied zu den 1930er Jahren haben sie nicht wirklich gelitten. „Im Aufschwung 2009-2010 wurden 93% der Gewinne von den obersten ein Prozent vereinnahmt. Die Plutokrat*innen schnitten sogar noch besser ab als die bloß Wohlhabenden – 37% dieser Gewinne gingen an die obersten 0,01%, die 15.000 Amerikaner mit einem Durchschnittseinkommen von 23,8 Millionen Dollar. Ein weiteres Beispiel: 2009 verdienten die 25 größten Hedge-Fonds-Manager*innen des Landes im Durchschnitt jeweils mehr als 1 Milliarde Dollar – und damit mehr als im Jahr 2007, dem bisherigen Rekordjahr“.


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