[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today Nr. 122, Juni 2008]
Die China-Debatte von Socialism Today wird mit einer Antwort von Lynn Walsh auf Vincent Kolos Artikel, „China’s Capitalist Counter-Revolution“ [Chinas kapitalistische Konterrevolution] (Socialism Today Nr. 114), fortgesetzt. In diesem Artikel argumentiert Vincent, dass China in jeder Hinsicht jetzt eine vollwertige kapitalistische Wirtschaft sei. Ist die Sache so eindeutig?
Die Entwicklungen in China sind für Sozialist*innen überall von entscheidender Bedeutung. Die chinesische Wirtschaft ist jetzt ein Hauptbestandteil der globalen Wirtschaft. Mit seinem gewachsenen wirtschaftlichen und strategischen Gewicht ist China jetzt ein Schlüsselakteur in den Beziehungen zwischen den Haupt-Weltmächten. Und politische Entwicklungen in China – das Schicksal des Regimes und die Kämpfe der massiven chinesischen Arbeiter*innenklasse und der armen Bäuer*innenschaft – sind international von enormer Bedeutung. Gleichzeitig hat es, was wenig überraschend ist, eine Debatte über den komplexen Übergang von einer maoistisch-stalinistischen Planwirtschaft und den derzeitigen Charakter des chinesischen Staates gegeben.
In seinem Artikel argumentiert Vincent im Wesentlichen, dass China jetzt ein vollständig kapitalistischer Staat sei. „Die obersten Ränge des chinesischen Staates … sind jetzt vollständig in das globale kapitalistische System integriert“. Unserer Ansicht – und der Ansicht der Führung des CWI – nach ist die Vincents Charakterisierung zu kategorisch. Die Richtung, in die sich der chinesische Staat bewegt, ist klar genug: von der auf verstaatlichtem Eigentum beruhenden ehemaligen maoistisch-stalinistischen Planwirtschaft hin zu einer kapitalistischen Wirtschaft. Doch so stark die Lokomotive auch sein mag, der Zug ist noch nicht am Ziel angekommen. Es ist verfrüht, zu erklären: „Kapitalismus eines besonderen chinesischen Typs ist wiederhergestellt“.
Obwohl es in China mächtige und schnell wachsende kapitalistische Kräfte gibt, ist der chinesische Staat immer noch eine Mischform, die verbleibende staatliche Industrien mit „staatskapitalistischen“ Unternehmen (Unternehmen im Staatseigentum, die mehr oder weniger auf Marktbasis geführt werden) und mit neuen Elementen des Privatkapitalismus (von Millionen von Einzelunternehmen bis hin zu riesigen chinesischen und ausländischen Konzernen) kombiniert. Unserer Ansicht nach ist der Übergang noch nicht abgeschlossen und verläuft vielleicht nicht geradlinig. Es kann erhebliche Drehungen und Wendungen in der Lage geben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Staat in der kommenden Weltwirtschaftskrise erneut vom Zusammenbruch bedrohte private Unternehmen und einige zuvor privatisierte Unternehmen übernehmen wird.
Wir glauben, dass diese Debatte wichtig ist und begrüßen Vincent Kolos Beitrag. Aber, so könnte man fragen, wenn sowohl Vincent als auch wir darin übereinstimmen, dass es keine staatliche Planwirtschaft mehr gibt und dass sich China in eine kapitalistische Richtung bewegt, gibt es dann einen wirklichen Unterschied? Wir glauben, dass es in dieser Debatte um wichtige Fragen geht.
Erstens ist da die Frage der Methode. Marxist*innen sollten sich bemühen, soziale Phänomene (in diesem Fall den sich wandelnden chinesischen Staat) auf eine abgerundete, wissenschaftliche Weise zu analysieren, und nicht versuchen, neue Entwicklungen in alte Stereotypen einzupassen.
Eine zweite Frage, die mit der Methode verbunden ist, ist die autonome Rolle, die unter bestimmten Bedingungen von einem mächtigen bonapartistischen Staat (insbesondere ein ehemaliger maoistisch-stalinistischem Staat) bei der Leitung einer gesellschaftlichen Umgestaltung von oben gespielt werden kann.
Drittens gibt es Fragen der Perspektiven. Unserer Ansicht nach wäre es ein Fehler, von einer einzigen Perspektive auszugehen, wonach sich China rein kapitalistisch entwickeln wird, ohne Unterbrechung durch Wendungen in Richtung des Regimes. Die fortgeschrittenen Schichten der chinesischen Arbeiter*innen müssen unserer Meinung nach politisch auf mehrere verschiedene Perspektiven vorbereitet sein. Insbesondere müssen sie auf die Möglichkeit vorbereitet sein, dass das Regime angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise und eines Massenaufstands, der sein Überleben bedroht, zu weitaus stärkeren Eingriffen in die Wirtschaft, einschließlich der Übernahme von in Konkurs gegangenen Unternehmen, zurückgreifen wird, um eine potenziell revolutionäre Situation zu entschärfen.
Methode
In unserer Sicht wohnt die Möglichkeit eines Schwankens des chinesischen Regimes zwischen der Förderung einer beschleunigten kapitalistischen Entwicklung und einer verstärkten staatlichen Intervention zur Stabilisierung der Wirtschaft dem widersprüchlichen, hybriden Charakter des chinesischen Staates inne. Deshalb ist unsere Analysemethode wichtig. 1936 analysierte Leo Trotzki den Charakter der Sowjetunion in „Die verratene Revolution“ (Kapitel 9: Soziale Beziehungen in der Sowjetunion). Die Lage war offensichtlich anders als im heutigen China. Aber vom Standpunkt der marxistischen Methode aus ist Trotzkis Analyse der damaligen Sowjetunion als soziale Übergangsformation für unsere Herangehensweise an das heutige China sehr relevant.
Fertige soziale Kategorien wie Kapitalismus und Sozialismus, schrieb Trotzki, müssten zugunsten einer „vollständigeren Definition“ aufgegeben werden, die notwendigerweise „komplizierter und schwerfälliger“ war. Trotzki fasste seine Analyse der Sowjetunion in neun Punkten zusammen, in denen er die wichtigsten Merkmale des sowjetischen Staates und der Gesellschaft zusammenfasste und mehrere alternative Perspektiven für das Schicksal des sowjetischen Staates aufwarf.
„Doktrinäre werden zweifellos mit solchen fakultativen Bestimmungen nicht zufrieden sein. Sie möchten kategorische Formulierungen: ja ja, nein nein. Die soziologischen Fragen würden ohne Zweifel einfacher aussehen, wenn die sozialen Erscheinungen immer vollendet wären. Nichts ist jedoch gefährlicher, als auf der Suche nach logischer Vollendung aus der Wirklichkeit die Elemente auszumerzen, die bereits heute das Schema verletzen, morgen aber es vollends über den Haufen werfen können. In unserer Analyse hüten wir uns am meisten davor, der Dynamik des gesellschaftlichen Werdens, das keine Vorläufer und keine Analogien kennt, Gewalt anzutun. Die wissenschaftliche wie die politische Aufgabe besteht nicht darin, einen unvollendeten Prozess mit einer vollendeten Definition zu versehen, sondern darin, ihn in all seinen Etappen zu verfolgen, seine fortschrittlichen und reaktionären Tendenzen herauszuschälen, deren Wechselwirkung aufzuzeigen, die möglichen Entwicklungsvarianten vorauszusehen und in dieser Voraussicht eine Stütze fürs Handeln zu finden.“
In einem Notizbuch, das in den 1930er Jahren geschrieben wurde, machte Trotzki eine weitere allgemeine Bemerkung, die für jede Diskussion über den Charakter des chinesischen Staates heute äußerst relevant ist: „In der logischen Klassifikation passen einige Objekte (Phänomene) leicht in den Rahmen, während andere Schwierigkeiten bereiten: Sie können sowohl hier als auch dort klassifiziert werden, und [in der Tat] in strengerer Beziehung – nirgends. Sehr zum Leidwesen der Systematiker, sind solche Übergangsformen für Dialektiker von außerordentlichem Interesse, denn sie sprengen die begrenzten Grenzen der Klassifikation und offenbaren die tatsächlichen Zusammenhänge und Abläufe des lebendigen Prozesses
“. (Trotzkis Notizbücher 1933-1935: Writings on Lenin, Dialectics, and Evolutionism, herausgegeben von Philip Pomper, NY Columbia University Press, 1986 S. 77 [hier übersetzt nach dem russischen Text, a.a.O. S. 118])
Wir glauben, dass auch die Umgestaltung in China ein beispielloser Prozess ist und dass wir „ihn in alle Etappen […] verfolgen“ müssen. Unsere Analyse mag „komplizierter und schwerfälliger“ erscheinen als die einfache Behauptung, China sei jetzt ein „vollständig“ kapitalistischer Staat. Unserer Ansicht nach ist es jedoch notwendig, die widersprüchlichen Merkmale des Übergangs zu berücksichtigen und „mögliche Varianten der Entwicklung vorauszusehen und in dieser Vorausschau eine Grundlage für das Handeln zu finden“.
Die Rolle des bonapartistischen Staates
Mit der Frage der Methode verbunden ist das Thema der Rolle des Staates, insbesondere der autonomen Rolle, die ein bonapartistischer Staat, der aus einem mächtigen Apparat und einer mächtigen Armee sowie einer mächtigen Regierungspartei besteht, im Falle Chinas unter bestimmten Bedingungen und für einen bestimmten Zeitraum spielen kann. Vincent berücksichtigt unserer Meinung nach nicht ausreichend die Rolle des ex-stalinistischen, bonapartistischen Staates bei der Steuerung des Übergangs in China.
„Der Klassencharakter jedes sozialen Organismus, Regimes oder jeder Partei“, schreibt Vincent, „wird durch die Klasseninteressen bestimmt, denen er dient – durch seine soziale Basis“. Als allgemeine Aussage ist dies richtig. Aber sie ist nicht ausreichend, um die Lage in China zu analysieren. Das chinesische Regime hat die Verteidigung des verstaatlichten Eigentums und der Planwirtschaft, historisch fortschrittlicher Produktionsverhältnisse, aufgegeben und fördert die Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse. Die Lage in China ist jedoch durch die bisherige Entwicklung des maoistisch-stalinistischen Systems nach 1949 bedingt. Während er die Planwirtschaft verteidigte, war der Staat relativ unabhängig und unterlag nicht der demokratischen Kontrolle durch die Arbeiter*innenklasse. Jetzt hat sich das Regime einem prokapitalistischen, konterrevolutionären Kurs zugewandt. Dies dient zweifelsohne den Interessen einer aufstrebenden chinesischen Kapitalist*innenklasse und des internationalen Kapitals. Es wäre jedoch zu einfach zu sagen, dass das Regime lediglich der repressive Agent oder Diener der chinesischen Bourgeoisie ist. Der chinesische Staat, ein Produkt des Maoismus-Stalinismus, hat ein hohes Maß an Autonomie, wenn es darum geht, die Entwicklung des Kapitalismus zu fördern und zu steuern, während er strebt, seine eigene Macht zu erhalten.
Für diese Entwicklung gibt es Analogien in den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, wo sie zeigen, dass eine zwischen den sozialen Klassen balancierende Staatsmacht (ein „bonapartistischer“ Staat) unter bestimmten Umständen eine autonome Rolle bei der Förderung der Entwicklung der kapitalistischen Industrie und der Entwicklung einer kapitalistischen Klasse spielen kann. Im Deutschland der 1870er Jahre beispielsweise förderte Otto von Bismarck – gestützt auf den preußischen monarchistischen Staat, die Armee-Elite und die Junker-Grundbesitzer*innen – die Entwicklung der kapitalistischen Kräfte als notwendige Grundlage für die wachsende militärische und wirtschaftliche Macht des deutschen Imperialismus.
Ein weiteres Beispiel ist der russische zaristische Staat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf der Grundlage eines archaischen feudalen Grundbesitzer*innentums erkannten einige führende zaristische Vertreter*innen, dass sie, um als Militärmacht zu überleben, die Industrie (insbesondere Eisenbahnen und Rüstung) entwickeln mussten. Nach dem Krimkrieg (1853-56), so schrieb Engels, machte sich die russische Regierung daran, „eine russische Kapitalistenklasse zu züchten“. (The Foreign Policy of Russian Tsarism, 1890, Marx-Engels Collected Works, Band 27 [auf Deutsch „Die auswärtige Politik des russischen Zarentums“, Marx Engels Werke, Band 22, S. 11-48, hier S. 39]) Der zaristische Staat blieb bis zur Krise des Ersten Weltkriegs und seinem Sturz durch die Oktoberrevolution 1917 eine mächtige Kraft in der russischen Gesellschaft. Wie Bismarck züchtete auch der zaristische Staat durch die Züchtung einer Kapitalist*innenklasse auch eine kleine, aber mächtige Arbeiter*innenklasse heran.
In China hat der frühere maoistisch-stalinistische Staat seine massive Macht genutzt, um eine chinesische Kapitalist*innenklasse zu „züchten“. Das Regime hat den Staat (die Partei, die Armee und den Apparat) an den Übergang zum Kapitalismus angepasst. Aber der Staat behält eine beträchtliche Macht, während die neuen kapitalistischen Kräfte in diesem Stadium eine aufstrebende soziale Klasse im Prozess ihrer Bildung sind.
Die aufkeimenden kapitalistischen Elemente sind sehr unterschiedlich und reichen von kleinen Familienunternehmen bis hin zu den Eigentümer*innen riesiger Konzerne. In diesem Stadium fehlt ihnen sozialer Zusammenhalt und sie haben noch keine unabhängige politische Vertretung entwickelt. Viele der Kapitalist*innen sind ehemalige Bürokrat*innen oder Boss*innen des Staatssektors und halten enge Verbindungen zur Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und zum Staatsapparat aufrecht. Sie sind meist sehr damit zufrieden, den Staat die Bedingungen für das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft schaffen zu lassen und für „soziale Stabilität“ zu sorgen, d.h. sie vor Widerstand und Massenprotesten der Arbeiter*innen und Bäuer*innen zu schützen. In diesem Stadium gibt es keine Bedrohung für die absolute politische Macht des Regimes durch die aufstrebende Kapitalist*innenklasse.
Perspektiven
„Der Staatssektor ist heute“, schreibt Vincent, „ein Hebel für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft“, indem er einen Rahmen von Basisindustrien und Infrastruktur bereitstellt. Dies ist offensichtlich wahr. Das Regime führt unter den heutigen internationalen Bedingungen die barbarischen Aufgaben der „ursprünglichen Akkumulation“ aus, die historisch gesehen als Grundlage für das kapitalistische Wachstum erforderlich ist. Es gibt einen brutalen Prozess der erzwungenen Urbanisierung, da die arme Landbevölkerung vom Land vertrieben wird und gezwungen ist, in den Sweatshops und auf den Baustellen der Großstädte unter grässlichen Bedingungen schlecht bezahlte Arbeit zu suchen. Wenn sich diese Entwicklung ungebrochen fortsetzt, würde sie langfristig zu einer „vollständigen“ kapitalistischen Gesellschaft führen. Aber das hängt von den Perspektiven ab.
Wenn es eine lange Periode von schnellem Wachstum in der kapitalistischen Weltwirtschaft gäbe (die z. B. das Rekordwachstum von 5% pro Jahr in den Jahren 2002-07 fortsetzen würde), begleitet von einem Wachstum von 10% pro Jahr in der chinesischen Wirtschaft, dann könnte sich China theoretisch stetig hin zu einer „vollständig“ kapitalistischen Wirtschaft bewegen. An einem bestimmten Punkt würde auf dieser Grundlage eine gestärkte chinesische Bourgeoisie mit dem ehemals stalinistischen bonapartistischen Staat in Konflikt geraten und versuchen, die direkte Kontrolle über eine chinesische kapitalistische Gesellschaft zu übernehmen (obwohl die Bourgeoisie zunehmend von einer gestärkten Arbeiter*innenklasse herausgefordert werden würde). Angesichts der derzeitigen Implosion des globalen kapitalistischen Finanzsystems und der beginnenden Weltrezession scheint dies nicht die wahrscheinlichste Perspektive zu sein.
Sollte es auf der anderen Seite zu einer lang anhaltenden Weltwirtschaftskrise kommen, die unweigerlich zu einem ernsthaften Abschwung der chinesischen Wirtschaft führen würde, könnte das Regime gezwungen sein, in die Wirtschaft einzugreifen, um einen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch zu verhindern und eine revolutionäre Herausforderung durch die chinesischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen abzuwehren. Die chinesische Führung hat den abrupten Schwenk der US-Regierung vom Fundamentalismus des freien Marktes zur staatlichen Intervention und zur Verstaatlichung gescheiterter Finanzinstitute bereits zur Kenntnis genommen. Angesichts des drohenden Zusammenbruchs gescheiterter Industrien ist es wahrscheinlich, dass der chinesische Staat eingreifen und sie übernehmen wird. Angesichts der Geschichte des chinesischen Staates und des bestehenden Ausmaßes von Staatseigentum wird dies wahrscheinlich in größerem Umfang geschehen als in den großen kapitalistischen Staaten.
Das chinesische Regime steht (wie Bismarck, die zaristische Autokratie und andere bonapartistische Regime in der Vergangenheit) vor dem Problem, dass es mit der „Aufzucht“ einer neuen Kapitalist*innenklasse in China auch eine neue Arbeiter*innenklasse hervorbringt. Schon jetzt gibt es ein hohes Maß an sozialen Protesten und Streiks, die vom Regime oft brutal unterdrückt werden. In den kommenden Jahren werden die chinesischen Arbeiter*innen zunehmend unabhängige Gewerkschaften und ihre eigenen politischen Parteien gründen. Die fortgeschrittene Schicht der Arbeiter*innen wird sich im Laufe der Kämpfe darauf vorbereiten, das Regime zu stürzen und die Kapitalist*innen – chinesische und ausländische – hinwegzufegen.
Wir können den Zeitrahmen solcher Ereignisse nicht vorhersagen. Aber wir sollten nicht voraussetzen, dass China automatisch zu einer „vollständig“ kapitalistischen Gesellschaft wird. In den kommenden Jahren werden die Ereignisse und der Einfluss marxistischer Ideen eine revolutionäre Bewegung hervorbringen, die darauf abzielt, das Regime zu stürzen, den Kapitalismus zu beseitigen und die verstaatlichten Eigentumsverhältnisse und die geplante Produktion wiederherzustellen – dieses Mal unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter*innenklasse und verbunden mit einer internationalen Perspektive für eine sozialistische Weltwirtschaft.
Punkte der Übereinstimmung
Bevor wir seine Argumente im Detail aufgreifen und um Missverständnisse zu vermeiden, werden wir versuchen zu skizzieren, wo wir mit Vincent Kolo übereinstimmen und wo wir mit ihm nicht übereinstimmen. Die maoistisch-stalinistische Planwirtschaft (dominiert von staatlicher Industrie, aber undemokratisch verwaltet von einer herrschenden Bürokratie), die in den 1970er Jahren zu bröckeln begann, gibt es nicht mehr. Was für staatliche Eingriffe es auch geben wird, wird es keine Rückkehr zur stalinistischen Planwirtschaft geben, die sich auf der Grundlage der internationalen Klassenbeziehungen einer vergangenen Epoche entwickelte. Die Zerstörung der sozialen Errungenschaften der Massen, die auf der Planwirtschaft beruhten – die „eiserne Reisschüssel“ (Beschäftigungssicherheit) und die Bildungs-, Gesundheits- und Sozialfürsorge durch staatliche Unternehmen und Dorfgemeinschaften – in den letzten Jahren ist eine konterrevolutionäre Entwicklung, die eine verheerende Wirkung auf die Arbeiter*innen und Bäuer*innen hatte. Die Führung des chinesischen Staates – der KPCh und des Staatsapparat – von Deng Xiaoping bis Hu Jintao hat die Entwicklung der kapitalistischen Kräfte gefördert und versucht, China in die globale Wirtschaft zu integrieren. Die Führung hat das Scheitern der bürokratischen Planung erkannt und versucht, eine neue sozioökonomische Basis für ihre Herrschaft zu schaffen.
Das Wachstum des kapitalistischen Marktes ging einher mit einer verschärften Superausbeutung der Mehrheit der Arbeiter*innen und Bäuer*innen (sowohl in privaten als auch in staatseigenen Unternehmen) und einer grotesken Ausweitung der Ungleichheit. Das Wachstum der Marktbeziehungen hat zur Entstehung einer winzigen Schicht von kapitalistischen Milliardär*innen und einer breiteren Schicht von reichen Kapitalist*innen geführt. Das chinesische Regime ist eines der repressivsten der Welt und nutzt seinen massiven Apparat, um alle Formen oppositioneller Organisation, Aktivität und Diskussion zu unterdrücken. Die konterrevolutionäre Zerstörung der sozialen Errungenschaften der Planwirtschaft ist so gut wie abgeschlossen, und China steuert auf eine „vollständig“ kapitalistische Wirtschaft zu.
Wir weisen jede Behauptung des Regimes (oder seiner Apologet*innen) zurück, dass sie den Markt – die kapitalistischen Beziehungen – entwickeln, um den „Sozialismus zu stärken“, selbst in dem begrenzten Sinne der Verteidigung einer staatlichen Planwirtschaft. Das Regime fürchtet zweifelsohne eine wachsende Gegenreaktion gegen Korruption, Armutslöhne, die Zunahme der Ungleichheit und die Umweltzerstörung. Aber diese sozialen Phänomene sind das Ergebnis der von ihnen verfolgten Politik. Wir beurteilen die chinesische Führung nach ihren Taten, nicht nach der verlogenen „sozialistischen“ Sprache, mit der sie versucht, ihre konterrevolutionären Maßnahmen zu legitimieren. Wir teilen die Wut der chinesischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen über die Verschleuderung der Errungenschaften der Revolution von 1949 und die Förderung der räuberischsten Elemente des Kapitalismus.
Es gibt auch eine breite Übereinstimmung mit Vincent Kolo über das Programm, das von Marxist*innen in Bezug auf China angenommen werden sollte. Wir fordern, dass staatseigene Unternehmen unter Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung geführt werden, und dass staatseigene Unternehmen in einen Produktionsplan unter der Leitung einer Arbeiter*innenregierung integriert und von gewählten, demokratischen Planungsgremien verwaltet werden. Große Privatunternehmen sollten verstaatlicht – oder wiederverstaatlicht – und ebenfalls von den Arbeiter*innen als Teil einer Planwirtschaft demokratisch geführt werden. Als Internationalist*innen werfen wir auch die Frage der internationalen Zusammenarbeit zwischen chinesischen Arbeiter*innen und Arbeiter*innen in anderen Ländern auf, mit dem Ziel, eine Wirtschaftsplanung auf internationaler Ebene zu entwickeln.
Wir stimmen zu, dass (wie Vincent sagt), „eine politische – ‚antibürokratische‘ – Revolution nicht mehr ausreicht, um die Arbeiter*innenklasse an die Macht zu bringen“. Aber wir akzeptieren nicht seine Behauptung, dass „es auch nicht richtig ist zu sagen, dass eine neue Revolution die Aufgaben der politischen und der sozialen Revolution kombinieren wird…“. Es gibt unbestreitbar wichtige Teile der Industrie und des Bankwesens, die noch in staatlichem Eigentum und unter staatlicher Kontrolle verbleiben, und ein revolutionärer Umsturz würde bedeuten, sie unter Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung zu stellen. Eine proletarische Revolution würde natürlich den Umsturz des gegenwärtigen Staates und die Enteignung der chinesischen und ausländischen Kapitalist*innen beinhalten. Aber die Aufgaben, vor denen die kommende chinesische Revolution steht, sind aufgrund der Überreste des Maoismus-Stalinismus in mancher Hinsicht komplexer als in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, und unser revolutionäres Programm muss diese Realität widerspiegeln.
Unsere Differenzen
Was sind also unsere Differenzen mit Vincents Herangehensweise? Im Wesentlichen besteht unsere Kritik darin, dass Vincent (um Trotzkis Ausdruck zu verwenden) „einen unvollendeten Prozess mit einer vollendeten Definition” versieht. Wir stimmen zu, dass es einen konterrevolutionären Übergang zum Kapitalismus gibt, aber wir akzeptieren nicht, dass, wie Vincent argumentiert, der Prozess abgeschlossen ist und dass China jetzt ein „vollständig“ kapitalistischer Staat ist. Er bezieht sich beispielsweise auf Trotzkis Bemerkung, dass eine Restauration des Kapitalismus entweder auf dem „Weg eines jähen konterrevolutionären Umsturzes“ oder „auf dem Weg sukzessiver Verschiebungen“ erfolgen kann, die in einer „thermidorianischen Verschiebung“ gipfeln. [Leo Trotzki, Thermidor, Sommer 1927, englische Übersetzung in Leon Trotsky, The Challenge of the Left Opposition 1926-27, New York 1980, S. 258-264, hier S. 261, ins Deutsche übersetzt nach dem russischen Original] (Thermidor bezieht sich auf die Niederlage der Jakobiner*innen, der fortschrittlichsten Partei in der französischen Revolution, im Jahr 1794, ein Begriff, der von Trotzki zur Bezeichnung eines Sieges der Konterrevolution verwendet wird.) Vincent sagt: „Dieser ‚Weg sukzessiver Verschiebungen‘ ist eine ausgezeichnete Beschreibung dessen, was in China geschehen ist. Kapitalismus eines besonderen chinesischen Typs ist wiederhergestellt worden“. Es „ist geschehen“, der Kapitalismus „ist wiederhergestellt“. Mit anderen Worten, die „thermidorianische Verschiebung“ hat stattgefunden. Unserer Ansicht nach wird es jedoch weitere „Verschiebungen“ geben, und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Vincent legt unserer Ansicht nach eine vereinfachende Analyse des komplexen Übergangsprozesses vor und stützt seine kategorische Schlussfolgerung auf eine einseitige Herangehensweise. Zur Rolle des Staates verweist er zu Recht auf die Macht des „repressiven Einparteienstaates der KPCh“. Er sagt auch: „Dieses Gebäude der Superausbeutung ist um den repressiven Einparteienstaat der KPCh herum gebaut…“. Aber er unterschätzt die vom mächtigen, ex-stalinistischen Staat (der KPCh und dem Staatsapparat) bei der Leitung des Übergangs gespielte Rolle. Das Regime hat die Entwicklung der kapitalistischen Kräfte und die Intervention ausländischer, transnationaler Unternehmen gefördert, aber es war auch entschlossen, sein Monopol der politischen Macht und die Gesamtkontrolle über die Wirtschaft zu sichern.
„Die wirtschaftliche Macht des Staates“, schreibt Vincent, ‚ist ernsthaft geschwächt worden‘. Es stimmt, der Staat hat nicht mehr die wirtschaftliche Macht, die er auf der Grundlage der Planwirtschaft hatte. Darüber hinaus hat die Entwicklung der kapitalistischen Kräfte starke Fliehkräfte hervorgebracht, die sich tendenziell verstärken werden, wenn der gegenwärtige Kurs fortgesetzt wird. Es ist jedoch ein Irrtum zu behaupten (wie Vincent es tut), dass der chinesische Staat jetzt vollständig den kapitalistischen Kräften unterworfen ist, sowohl innerhalb Chinas als auch international.
Der gegenwärtige chinesische Staat ist nicht einfach das Gegenstücks des Staates in Japan, Korea oder Taiwan während ihres beschleunigten Wachstums in den 1960er und 1970er Jahren, als (auf der Grundlage des „asiatischen Entwicklungsmodells“) der Staat in weitaus größerem Umfang in die Wirtschaft eingriff als in den fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften Westeuropas und Nordamerikas. Die fortbestehenden staatlichen und staatlich kontrollierten Industrien in China sind das Produkt der maoistisch-stalinistischen Planwirtschaft. Sie sind nicht einfach das Gegenstück zu Japans keiretsu oder Südkoreas chaebol, Industrie- und Finanzkonglomeraten, die sich aus großen kapitalistischen Familien-Trusts entwickelt haben.
In China gibt es immer noch ein Erbe des Maoismus-Stalinismus. Obwohl der Staat die kapitalistische Entwicklung fördert, kontrolliert er immer noch mächtige Hebel des wirtschaftlichen Einflusses. Wie wir in einem separaten Abschnitt (Chinas hybride Wirtschaft, S. 27-30) zeigen, kontrolliert das Regime über eine Reihe riesiger staatseigener Unternehmen mehrere Schlüsselindustrien: Telekommunikation, Verkehr, Energie, Rüstungsproduktion usw. Obwohl die Beschäftigung im Staatssektor drastisch reduziert wurde, macht der Staatssektor immer noch 38% (2004) der Industrieproduktion aus. Es stimmt, wie Vincent sagt, dass die meisten der verbleibenden staatlichen Unternehmen „konzernisiert“ wurden: Sie arbeiten nicht mehr nach einem Produktionsplan, sondern gemäß der Regierungspolitik auf der Grundlage von Marktkriterien. Aber es ist eine Übertreibung zu sagen: „Der staatliche Industrie- und Handelssektor besteht aus völlig autonomen und in den meisten Fällen halb privatisierten Einheiten“. In Wirklichkeit werden viele staatliche Unternehmen von ehemaligen KPCh-Bürokrat*innen oder derzeit von der KPCh ernannten Chefs geleitet, die (oft auf der Grundlage von „weichen Krediten“ – bei denen keine Rückzahlung zu erwarten ist – von Staatsbanken) eher auf die Maximierung von Investitionen und Wachstum als auf die Maximierung der Unternehmensgewinne abzielen.
Wie Vincent sagt: „Der Bankensektor ist mehrheitlich in Staatsbesitz…“ und die vier großen Staatsbanken sind für über 70% aller Kredite verantwortlich. Die Kredite werden obendrein nicht nach streng marktwirtschaftlichen Kriterien vergeben, sondern in vielen Fällen, um die politischen Ziele des Regimes zu fördern. Tatsächlich werden weiche Kredite (sowohl in China als auch von ausländischen, für einen freien Markt eintretenden Kritiker*innen) als eine zusätzliche Form der öffentlichen Ausgaben betrachtet.
Der Staat ist obendrein über die Zentral- und Provinzregierungen für die meisten Infrastrukturausgaben verantwortlich – und diese Investitionen sind ein Hauptfaktor für die hohe Wachstumsrate Chinas. Gleichzeitig war der Verkauf von ehemals staatlichem Land (in Verbindung mit weichen Krediten von staatlich kontrollierten Banken) ein großes Element in Chinas massivem, spekulativem Immobilienboom.
Die Durchsetzung der makroökonomischen Politik gibt der Zentralregierung auch erhebliche Macht, die Richtung und die Prioritäten des Wirtschaftswachstums zu bestimmen. Zweifellos gibt es Provinzregierungen und sowohl staatliche als auch private Unternehmer*innen, die der Politik der Zentralregierung trotzen. Dennoch werden sowohl die KPCh als auch der Staatsapparat zur Durchsetzung der Politik eingesetzt.
China und der globale Kapitalismus
Vincent Kolo argumentiert, dass Chinas Verbindungen mit der globalen kapitalistischen Wirtschaft bestätigen, dass China jetzt ein vollständig kapitalistisches Land ist. Die Einbindung in den kapitalistischen Weltmarkt durch Handel und Investitionen mit anderen kapitalistischen Volkswirtschaften bestimmt jedoch nicht per se den Klassencharakter eines Staates. Im Falle des neu geborenen Sowjetstaates sprachen sich Lenin und Trotzki dafür aus, die Rivalität zwischen den kapitalistischen Mächten auszunutzen, um die für das Wachstum der sowjetischen Wirtschaft notwendigen Handelsbeziehungen zu entwickeln. Ihre Bedingung war, dass es ein staatliches Außenhandelsmonopol geben musste, um sicherzustellen, dass der Handel den Bedürfnissen der sowjetischen Planwirtschaft diente. Es ist klar, dass es in China kein Außenhandelsmonopol mehr gibt. Aber es gibt auch keine völlig „offene Tür“, trotz der Behauptungen einiger führender chinesischer Politiker*innen. So wie es eine „hybride“ Binnenwirtschaft gibt, haben auch Chinas Beziehungen zum globalen Kapitalismus einen gemischten Charakter.
„Die obersten Ränge des chinesischen Staates, einschließlich der Zentralregierung in Peking“, schreibt Vincent, „sind jetzt voll in das globale kapitalistische System integriert – durch die Politik der offenen Tür, die Hu Jintao als den ,Eckpfeiler‘ der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas bezeichnet“. Dies ist aus unserer Sicht eine Übertreibung. China hat massive Investitionen von ausländischen transnationalen Unternehmen ermutigt, kontrolliert aber weitgehend die Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Obendrein regelt das Regime die Beziehungen zwischen der chinesischen Wirtschaft und der Weltwirtschaft nach wie vor streng.
In jüngster Zeit hat das Regime als Reaktion auf die globale Finanzkrise den USA und der EU erneut signalisiert, dass es keine Eile hat, die staatlichen Kontrollen der Kapitalströme nach und aus China zu lockern. Es hält weiterhin den niedrigen Wechselkurs des Renminbi aufrecht (der Chinas Exporten einen starken Wettbewerbsvorteil gibt) und verteidigt seinen derzeitigen Kurs durch massive Interventionen auf den Devisenmärkten – unter Missachtung der IWF-Regeln und entgegen den Versprechungen gegenüber den USA, eine deutliche Aufwertung des Renminbi zuzulassen. In einer früheren Phase nutzte die chinesische Führung die Frage der WTO-Regelkonformität, um die Vermarktlichung im eigenen Land voranzutreiben, aber in letzter Zeit hat sie sich zunehmend auf bilaterale Handelsabkommen verlegt. Die chinesische Regierung weinte keine Träne über das jüngste Scheitern der Doha-Runde der WTO-Verhandlungen, in der sie sich (zusammen mit Indien und Brasilien) weigerte, die von den USA oder der EU vorgeschlagenen Pakete zu akzeptieren.
Im Falle einer länger andauernden Krise der Weltwirtschaft ist unseres Erachtens nicht auszuschließen, dass China zu sehr viel stärkeren protektionistischen Maßnahmen greifen wird, sowohl in Bezug auf den Handel als auch auf Investitionen, um die Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft abzufedern.
Die Rolle des Staates
Vincent gibt keine wirkliche Analyse des Übergangsprozesses, seit Deng Xiaoping 1978 seine marktwirtschaftlichen Reformen einleitete. Insbesondere die Ausführungen zur Rolle des Staates sind unzureichend. Dies bedeutet wiederum, dass Vincent ein vereinfachtes Bild der sich entfaltenden konterrevolutionären Prozesse zeichnet.
Die Rolle des Staates ist ein Schlüsselfaktor bei der Bestimmung des Charakters des Übergangsregimes. Vincent stellt ihn einfach als einen „Repressionsapparat“ dar, der von der Planwirtschaft zum Kapitalismus übergegangen ist. Mit dem Aufgeben der zentralen Planung ist die Arbeiter*innenklasse nicht mehr die „wirtschaftlich herrschende Klasse“. Der chinesische Staat „hat sich mit dem Kapitalismus zusammengetan“. Ein Teil der maoistischen Bürokratie hat sich durch den „Reform“-Prozess in „eine Eigentümer*innenklasse“ verwandelt. „Der Sieg der bürgerlichen Konterrevolution, wenn auch in einer eigentümlichen ,konfuzianischen‘ Form, ist heute brutal klar“.
An all dem ist etwas Wahres dran, aber Vincents Analyse trägt der entscheidenden Rolle des mächtigen bonapartistischen Staates, den das maoistisch-stalinistische Regime geschaffen hat, nicht ausreichend Rechnung. Der bürokratische Staat ist weit mehr als ein Repressionsapparat, er hat die Entwicklung der kapitalistischen Kräfte gefördert, um eine neue soziale Basis für seine weitere Herrschaft zu schaffen. Er hat alle Ressourcen der KPCh und des Staatsapparats genutzt, um den Veränderungsprozess von oben zu lenken und zusammen mit ihrem politischen Machtmonopol eine Schlüsselrolle in der Wirtschaftsführung zu behalten. Seine wirtschaftliche Macht des Staates ist zweifelsohne vermindert im Vergleich zur Lage in der zentralen Planwirtschaft. Aber der Staat behält eine weitaus größere Rolle in der Wirtschaft als in kapitalistischen Ländern wie Japan und Südkorea.
Es geht nicht darum, dass der chinesische Staat, die KPCh und der Staatsapparat selbst, „der Hort der sozial fortschrittlichen Merkmale“ wäre, „die durch die Revolution von 1949 geschaffen wurden“. Der Staat hat klar die relativ fortschrittliche Planwirtschaft aufgegeben. Um die in China stattfindenden Prozesse zu verstehen, muss man jedoch die Rolle des ehemaligen maoistisch-stalinistischen Staates bei diesem Übergang berücksichtigen. Die autonome Macht des Staates, der weder von der Arbeiter*innenklasse noch von der aufstrebenden Kapitalist*innenklasse kontrolliert wird, zusammen mit bedeutenden Elementen der staatlichen Industrie und des Bankwesens, bestimmt den gemischten oder hybriden Charakter der Übergangsgesellschaft, die heute in China existiert.
Wenn man für einen Moment die Frage beiseite lässt, welches Stadium erreicht ist, ist der konterrevolutionäre Prozess in China nicht einfach ein Übergang von einer herrschenden Klasse (der Arbeiter*innenklasse) zur anderen (der Bourgeoisie). Nach dem Zweiten Weltkrieg fegte die großartige revolutionäre Massenbewegung der chinesischen Bäuer*innen und Arbeiter*innen den Großgrundbesitz, den Kapitalismus und ihre imperialistischen Schutzherren hinweg. Die Umgestaltung von 1949 wurde jedoch von der maoistischen Führung der bäuerlichen Roten Armee und der bürokratisierten (stalinisierten) Kommunistischen Partei von oben gelenkt. Unter der stalinistisch geprägten Planwirtschaft gab es (wie Vincent betont) wichtige soziale Errungenschaften für die Arbeiter*innen und Bäuer*innen, die nun weitgehend zunichte gemacht wurden.
Die Arbeiter*innenklasse und die Bäuer*innenschaft waren jedoch von jeder demokratischen Beteiligung an der Leitung des Staates und der Wirtschaft ausgeschlossen. Ihnen wurden unabhängige, demokratische Gewerkschaften und politische Organisationen verwehrt. Die zentrale Planwirtschaft war im Vergleich zum Kapitalismus historisch fortschrittlich und lag daher im Interesse der Arbeiter*innenklasse. In diesem Sinne könnte man die Arbeiter*innenklasse als die „wirtschaftlich herrschende Klasse“ bezeichnen. Politisch wurde die Arbeiter*innenklasse jedoch nie zur herrschenden Klasse. Das hätte erfordert, dass die Arbeiter*innenklasse die Bürokratie stürzt und die Arbeiter*innendemokratie einführt – eine politische Revolution. China wurde (wie die Sowjetunion unter Stalin) von einer bürokratischen Kaste mit Hilfe eines monströsen Apparates, bestehend aus der KPCh und dem Staatsapparat selbst, beherrscht. Unkontrolliert durch eine Arbeiter*innendemokratie wurde der Staat zu einem monströsen Ungetüm, das enorme Macht über jeden Bereich der Gesellschaft ausübte.
Fast drei Jahrzehnte lang verteidigte die bürokratische maoistische Elite die Planwirtschaft als Grundlage für ihre Macht und ihre Privilegien. In den 1970er Jahren jedoch begann die Planwirtschaft (wie in der Sowjetunion und in Osteuropa) unter der Last der bürokratischen Misswirtschaft zu schwanken. Deng Xiaoping führte „Reformen“ ein, Elemente der Marktwirtschaft (die unweigerlich die Entstehung kapitalistischer Verhältnisse anregten), zunächst mit dem Ziel, das Wachstum anzukurbeln und die Planwirtschaft zu stützen. Nach dem raschen Zusammenbruch der Sowjetunion und der anderen stalinistischen Staaten nach dem Fall der Berliner Mauer kamen Deng und andere führende Politiker*innen jedoch zu dem Schluss, dass die Planwirtschaft nicht mehr gangbar sei und sie ihre Macht nur durch einen Übergang zur Marktwirtschaft erhalten könnten. In Wirklichkeit bedeutete dies unweigerlich den Übergang zu einer kapitalistischen Wirtschaft. Natürlich versuchte das Regime, dies zu verschleiern, indem es den neuen Kurs als „Marktsozialismus“ darstellte.
Für die KPCh-Führung hatte die Notwendigkeit Priorität, die Macht ihres Regimes zu erhalten. Das Regime wurde durch die Massenprotestbewegung, die in den blutigen Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens gipfelte, zutiefst erschüttert. Daraus und aus den Ereignissen in der Sowjetunion und in Osteuropa zog die chinesische Führung den Schluss, dass sie keine politische Liberalisierung dulden könne: Es würde keine demokratischen Reformen geben, die mit der Hinwendung zum Markt einhergingen.
Gleichzeitig kam das chinesische Regime zu dem Schluss, dass es um jeden Preis die Art von wirtschaftlichem „Urknall“-Wirtschaftsübergang, wie er in der Sowjetunion stattgefunden hatte, vermeiden sollte. Die umfassende Privatisierung der staatlichen Industrien hatte nicht nur eine wirtschaftliche Katastrophe ausgelöst, sondern auch (wie von den amerikanischen Befürwortern des „Urknalls“ beabsichtigt) den bürokratischen, stalinistischen Staatsapparat und die Kommunistische Partei zerschlagen. Es würde keinen chinesischen Jelzin geben.
Im Unterschied zur Sowjetunion bewegte sich das chinesische Regime schrittweise zum kapitalistischen Markt. Es förderte die Marktkräfte auf dem Lande und öffnete ausländischen transnationalen Unternehmen in den wirtschaftlichen Entwicklungszonen die Tür. Private Unternehmen durften sich in den Städten neben den Staatsbetrieben entwickeln. Das Regime, das eine Welle sozialer und politischer Unruhen befürchtet, bewegte sich vorsichtig und schrittweise auf die Privatisierung oder „Konzernisierung“ der staatseigene Unternehmens zu. Das hat zweifellos der rücksichtslosen Superausbeutung von Arbeiter*innen Tür und Tor geöffnet. Gleichzeitig war sie vorsichtig bei der Freigabe der Preise und der Kürzung oder Abschaffung der Subventionen für Brennstoffe und Lebensmittel.
Aufgrund dieses schrittweisen Vorgehens – und angesichts des Fehlens einer organisierten Massenopposition gegen das Regime – hat die chinesische Führung das Regime und die Staatsbürokratie bisher weitgehend intakt gehalten. Klar hat sie nicht mehr die vollständige Kontrolle über eine zentrale Planwirtschaft. Aber sie verfügt weiterhin über mächtige Hebel, um die Richtung des wirtschaftlichen Wandels zu steuern. Vincent sagt, dass „die wirtschaftliche Macht des Staates ernsthaft geschwächt worden ist“. Aber er behält weitaus mehr Macht als in Wirtschaften, in denen sich der Kapitalismus als dominantes sozioökonomisches System konsolidiert hat. Obendrein hat das Regime versucht, den ehemaligen maoistisch-stalinistischen Staatsapparat und die KPCh (mit über 70 Millionen Mitgliedern) an die Aufgaben der Leitung einer marktbestimmten Wirtschaft anzupassen.
In seinem jüngsten Buch, China’s Communist Party: Atrophy and Adaptation [Chinas Kommunistische Partei: Verkümmerung und Anpassung] (2008) schreibt David Shambaugh: „… die KPCh ist im Laufe der Zeit verkümmert und ihre leninistischen [maoistisch-stalinistischen] Kontrollinstrumente sind nicht mehr so scharf wie in der Vergangenheit, aber ihre Herrschaftsinstrumente sind keineswegs stumpf – und sie werden wieder gestärkt. Die Partei bleibt eine landesweite Organisation mit beträchtlicher Autorität und Macht. Sie ist die einzige Möglichkeit. Dank ihres Monopols auf die Personalverwaltung (durch die Nomenklatura und die bianzhi [selektive Ernennung]) kontrolliert die Partei nicht nur die Regierung auf allen Ebenen, sondern auch eine Vielzahl von Berufseinrichtungen, Unternehmen und Betrieben, Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie Dienstleistungsorganisationen. Sie kontrolliert auch das Militär und alle Zwangseinrichtungen (bewaffnete Volkspolizei, Volksmiliz, Ministerium für Staatssicherheit und Ministerium für öffentliche Sicherheit). Sie kontrolliert auch einen Großteil der Medien und des Informationsflusses in und durch die Gesellschaft. Die Partei hat sicherlich nicht die Absicht, diese Kontrollinstrumente aufzugeben – ganz im Gegenteil, sie hat viel getan, um sie zu stärken. Sie duldet auch keine Opposition und unterdrückt schnell jedes Anzeichen von organisierter politischer Aktivität“.
Eine aufstrebende kapitalistische Klasse
In China hat der ehemalige maoistisch-stalinistische Staat seine massive Macht genutzt, um eine chinesische Kapitalist*innenklasse zu „züchten“. Das Regime hat den Staat an den Übergang zum Kapitalismus angepasst. Während der Staat eine beträchtliche Macht behält, sind die neuen kapitalistischen Kräfte in diesem Stadium eine aufstrebende soziale Klasse im Bildungsprozess. Die chinesische Kapitalist*innenklasse setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, von kleinen Familienunternehmen bis hin zu den Eigentümer*innen riesiger Konzerne. Ihr fehlt es an sozialem Zusammenhalt und sie hat noch keine unabhängige politische Vertretung entwickelt.
Vor Dengs Markt-Maßnahmen im Jahr 1978 war privates Unternehmer*innentum offiziell illegal, und es gab kaum Kapitalist*innen, abgesehen von Schwarzmarkthändler*innen. Die aufeinanderfolgenden marktwirtschaftlichen Maßnahmen unter Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao öffneten die Türen immer weiter für das Wachstum der kapitalistischen Kräfte und ermutigten zwangsläufig das Entstehen neuer Kapitalist*innenschichten.
Das erste große Kontingent an Kapitalist*innen stammte aus der Schicht der Bäuer*innen, die sich auf der Grundlage von Dengs marktfreundlichen Reformen auf dem Lande bereichert hatten. Als sich die Marktchancen ausweiteten, entwickelten viele kleine Familienhändler*innen und Fachleute Unternehmen. Ein erheblicher Teil der Kapitalist*innen sind ehemalige KPCh-Funktionär*innen und Ex-Boss*innen staatlicher Unternehmen, die ihre Macht und ihren Einfluss (und vom Staat geplünderte Ressourcen) genutzt haben, um sich selbständig zu machen. Viele von ihnen unterhalten weiterhin enge Beziehungen zu Partei- und Staatsbürokraten.
Obendrein ist die Zusammensetzung der sich herausbildenden Kapitalist*innenklasse noch recht unbeständig. Es gibt Anzeichen dafür, dass viele der kleinen Unternehmen der ersten Phase jetzt von viel größeren Unternehmen verdrängt werden, die die Wirtschaft zunehmend dominieren.
Viele Großunternehmen haben Verbindungen zu staatseigenen Firmen, chinesischen Großunternehmen in Übersee und transnationalen Konzernen. Prominent unter der Elite der Großkonzerne sind vor allem die „Prinz*essinnen“, die Kinder führender Parteifunktionär*innen. Zu den reichsten und raffgierigsten Kapitalist*innen gehören die Immobilienentwickler*innen, die auf der Grundlage der Aneignung von Staatsland und fieberhafter Immobilienspekulationen bereits unvorstellbare Reichtümer angehäuft haben. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Hurun-Report über 100 US-Dollar-Milliardär*innen in China (im Vergleich zu 24 in Japan). Einem anderen Bericht zufolge sind 90% der Milliardär*innen Kinder von hochrangigen KPCh-Staatsbeamt*innen.
Umfragen berichten viele Beschwerden von Kapitalist*innen, vor allem Kleinunternehmer*innen, gegen das Regime: Ihre Eigentumsrechte sind nicht sicher; sie finden es zu schwierig, von den Banken (die staatliche Unternehmen und Großunternehmen bevorzugen) Kredite zu erhalten; sie werden zu hoch besteuert; und ihre Profite werden durch Korruption untergraben etc. Einige wenige würden gerne die vom derzeitigen Regime auferlegten Zwänge abwerfen und hätten gerne die Einführung einer Regierung der Großkonzerne. Die große Mehrheit jedoch ist dem Regime dankbar, dass es einen sozialen Rahmen geschaffen hat, in dem sich der Kapitalismus entwickeln kann. Vor allem stützen sie sich darauf, dass das Regime die „politische Stabilität“ aufrechterhält, um sie vor der wachsenden, super-ausgebeuteten Arbeiter*innenklasse zu schützen. Viele Kapitalist*innen geben Lippenbekenntnisse zur Idee der Demokratie ab, sind aber der Ansicht, dass es für China „zu früh ist, demokratisch zu werden“.
Viele Kapitalist*innen sind der KPCh oder der von der KPCh unterstützten „demokratischen Parteien“ beigetreten, als Weg, um sich für ihre Interessen einzusetzen. Offiziellen Erhebungen zufolge sind inzwischen über 30% der Privatunternehmer Mitglieder der KPCh. „Die KPCh zählt bereits 2,86 Millionen Arbeitgeber und Angestellte aus der Privatwirtschaft in ihren Reihen und 800.000 selbständige Unternehmer sowie 40% aller Leiter von Privat- und Einzelunternehmen“. (Jean-Louis Rocca, A Middle Class Party [Eine Mittelschichtpartei], Le Monde Diplomatique, englische Ausgabe, August 2008) Jetzt versucht die KPCh, unter den Angestellten der 600.000 in China tätigen ausländischen Unternehmen zu rekrutieren. Das ist kein Versuch einer Übernahme der KPCh durch die Kapitalist*innen, sondern vielmehr ein Versuch der KPCh-Führung, Kapitalist*innen zu kooptieren, um die politische Kontrolle über diese aufstrebende Klasse auszuüben. Gleichzeitig ist die KPCh auch bestrebt, die politische Kontrolle über die verschiedenen Unternehmensverbände zu behalten, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Unserer Ansicht nach zeigt die hier vorgelegte Analyse, dass China ein „hybrider“ Staat ist, der sich noch im Übergangsprozess zum Kapitalismus befindet, und kein „vollständig“ kapitalistischer Staat. Wie Barry Naughton, ein pro-kapitalistischer Wirtschaftswissenschaftler, es ausdrückt: „Trotz der bereits zurückgelegt enormen Distanz hat China noch einige Schritte bis zur Schaffung einer gut funktionierenden Marktwirtschaft zu gehen“. (The Chinese Economy: Transitions and Growth [Die chinesische Wirtschaft: Übergang und Wachstum], 2007, S. 326)
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