[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today Nr. 122, Juni 2008]
Trotz des schnellen Wachstums des privatkapitalistischen Sektors und der Stärkung der zentrifugalen Marktkräfte übt der Staat immer noch eine beträchtliche wirtschaftliche Macht aus. Lynn Walsh schreibt.
China ist nicht länger eine geplante Wirtschaft, aber es ist auch noch keine vollständig kapitalistische Wirtschaft. Der Staat übt immer noch Macht durch die Zuweisung massiver staatlicher Ressourcen und die effektive Kontrolle großer staatseigener Unternehmen aus, die fortfahren, Schlüsselsektoren der Wirtschaft zu dominieren. Trotz ihrer formellen Umwandlung in Aktiengesellschaften (die Aktien an private Investor*innen verkaufen) werden die großen Banken immer noch effektiv vom Staat kontrolliert. Gegenwärtig entfallen rund die Hälfte aller städtischen Anlageinvestitionen (ohne Immobilien) auf staatliche Unternehmen und Unternehmen mit staatlicher Beteiligung.
Gleichzeitig übt der Partei-Staat, ein mächtiger Apparat mit massiven finanziellen Ressourcen, weiterhin eine allgemeine politische Leitung über die Wirtschaft aus. Die durchgreifenden vom Regime ergriffenen Maßnahmen, um die jüngsten Olympischen Spiele zu ermöglichen, zeigten die Macht des Staat, Ressourcen zu mobilisieren und Hindernisse bei seinen politischen Ziele aus dem Weg zu räumen. Es gab phänomenale öffentliche Ausgaben für die Spiele, die Regierung vertrieb rücksichtslos die Bewohner*innen aus weiten Teile Pekings, und die Schwerindustrie wurde in einem verzweifelten Versuch, die Luftverschmutzung für die Dauer der Spiele zu verringern, heruntergefahren.
Wie viel von der Wirtschaft bleibt unter der direkten Kontrolle des Staates? Während der Klassencharakter des Staates nicht mechanisch durch den prozentualen Anteil des Staatseigentums bestimmt wird, ist doch der sich verändernde Gewichtsanteil der Eigentumsverhältnisse ein wichtiger Indikator für die Richtung des Wandels. Aber es ist nicht leicht, das Gewichtsverhältnis zwischen staatlichem und privatem Eigentum zu bestimmen. Verschiedene Studien geben unterschiedliche Zahlen an. Will Hutton schrieb in seinem Buch Writing On the Wall [Menetekel]: „Chinas Herangehensweise an das Privateigentum bedeutet, dass der Versuch, zu beurteilen, wie viel von China öffentlich und wie viel privat ist, ein Irrweg ist, weil er nicht erfassen kann, wie die Partei versucht, einen leninistischen [in Wirklichkeit: Regierungspartei-] Korporatismus zu entwickeln“. (Hutton, S. 147) Wie viele andere Kommentator*innen zeigt auch Hutton, wie der Staat in der Praxis die Kontrolle über ehemalige staatliche Unternehmen, die zu Aktiengesellschaften wurden, behalten hat. Bei vielen anscheinend privatisierten Unternehmen „ist die Aktionärs- und Rechnungswesensstruktur so beschaffen, dass die Partei jederzeit die Kontrolle wiedererlangen kann, wenn dies erforderlich ist“. (Hutton, S. 148; siehe Peter Taaffes Rezension China’s Future? [Chinas Zukunft?] Socialism Today Nr. 108, April 2007)
Jüngste Zahlen werden von Barry Naughton in seinem umfassenden Überblick The Chinese Economy: Transition and Growth [Die chinesische Wirtschaft: Übergang und Wachstum] (2007) präsentiert. Die Wirtschaft wird von so genannten „überdurchschnittlich großen“ Unternehmen (mit einem jährlichen Produktionswert von über fünf Millionen Renminbi oder 600.000 Dollar) dominiert. Obwohl es buchstäblich Millionen von Kleinbetrieben gibt, entfallen nur 23% des industriellen Umsatzes auf den kleinen Sektor.
Staatseigene Unternehmen und vom Staat kontrollierte Konzerne (einschließlich Aktiengesellschaften) hatten 1998 einen Anteil von 49,6% an der Industrieproduktion. Im Jahr 2004 war dies auf 38% gesunken. Auf die Zentralregierung (im Gegensatz zu den Provinz- und Kommunalverwaltungen) entfielen 23,7% der Belegschaft aller staatlich kontrollierten Unternehmen, aber 48% ihrer Vermögenswerte.
„… der Rückgang des Staatsanteils an der Produktion ist viel schrittweiser verlaufen als der Rückgang der staatlichen Beschäftigung. Da sich das Staatseigentum zunehmend auf große, kapitalintensive Unternehmen konzentriert hat – und da die Nachfrage nach Energie und Rohstoffen die Preise für diese Unternehmen in die Höhe getrieben hat – haben die staatlich kontrollierten Unternehmen nur einen geringen Rückgang ihres Anteils an der Gesamtproduktion hinnehmen müssen… Im Jahr 2004 machten die staatlich kontrollierten Unternehmen etwa 29% des Industrieumsatzes aus, während sie 38% des überbetrieblichen Produktionsvolumens ausmachten, das laut des Wirtschaftszensus etwa 77% des gesamten Industrieumsatzes ausmachte.“ (Naughton, S. 304)
Agenturen der Staatskontrolle
2003 richtete die Regierung die SASAC (State-owned Assets Supervision and Administration Commission [Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen]) ein, die im Namen der Regierung die Eigentumsrechte an staatseigenen Unternehmen ausübt. In der Folge wurden örtliche SASACs zur Ausübung der Eigentumsrechte an staatlichen Unternehmen in jeder Provinz eingerichtet. Zweifellos gibt es viele Spannungen zwischen den SASACs und den Bossen der mächtigen staatseigenen Unternehmen unter ihrer Aufsicht. Dennoch sind die SASACs mächtige Agenturen der Staatskontrolle.
Die SASAC der Zentralregierung hat Autorität über 196 Schlüsselunternehmen. „Viele der von der zentralen SASAC verwalteten 196 ,Unternehmen‘ [schreibt Naughton], sind in Wirklichkeit große Holdinggesellschaften, die aus den ehemaligen Ministerien der Regierung hervorgegangen sind. Diese Konzerne haben Hunderte von untergeordneten Firmen, kontrollieren große Geldsummen und üben eine strategische Kontrolle über die Entscheidungsfindung aus. Obendrein behalten diese Unternehmen in der Regel ihre eigenen Einnahmen und führen nur Steuern (nicht Profite) an die Regierung ab. So übt die SASAC beispielsweise nominelle Eigentumsrechte an den fünf großen Elektrizitätskonglomeraten aus, die praktisch die gesamten Elektrizität in China produzieren, sowie an den beiden wichtigsten Stromnetzbetreibern. Diese Konglomerate wiederum kontrollieren Hunderte von Unternehmen, darunter mindestens zehn börsennotierte Aktiengesellschaften. Diese Konglomerate sind äußerst undurchsichtig, und in der Praxis üben Beamt*innen mit politischen Verbindungen und geringer Rechenschaftspflicht die Eigentumsrechte der Regierung innerhalb der Organisation aus. Es gibt zahlreiche ähnliche Fälle in dem von der SASAC beaufsichtigten ausgedehnten Industrieimperium. SASAC hat also noch einen weiten Weg vor sich, bis es als staatliche Holdinggesellschaft fungieren kann, die Eigentumsrechte auf eindeutige Weise und nach dem Gesetz ausübt.“ (S. 317)
In der Theorie sollte die SASAC in gebührendem Abstand zum Partei-Staat operieren und die staatlich betriebenen Unternehmen auf der Grundlage eines klaren rechtlichen und regulatorischen Rahmens überwachen. Doch „die Abgrenzung der SASAC-Autorität ist mit einer Reihe von Schwierigkeiten behaftet. Die bei weitem wichtigste ist der inhärente Konflikt mit der Kommunistischen Partei über die Ernennungsbefugnis. Das wohl grundlegendste Merkmal des chinesischen politischen Systems ist, dass die Kommunistische Partei ihre traditionelle Nomenklatura-Rolle beibehält, bei der die Parteikomitees alle wichtigen Ernennungen im staatlichen Sektor vornehmen“. (Naughton, S. 317)
Es ist keine Rede davon, dass die Kommunistische Partei „sozialistische“ Ziele verfolgt (selbst im maoistischen Sinne der Verteidigung einer staatlichen Planwirtschaft und der sozialen Errungenschaften von 1949). Jedoch handeln die von der Kommunistischen Partei Ernannten auch nicht auf der Grundlage rein kapitalistischer, profitmaximierender Ziele. Die Maximierung von Investitionen und Wachstum, die Durchführung von prestigeträchtigen Entwicklungsprojekten und die Vermehrung des persönlichen Reichtums und der Privilegien der Nomenklatura sind ebenso wichtige Beweggründe.
„Die Kommunistische Partei hat ausdrücklich die direkte Ernennungsbefugnis für die Spitzenpositionen in 53 der 196 von der Zentralregierung verwalteten Unternehmen behalten und die Ernennungsbefugnis für die anderen Spitzenpositionen an die Komitees der Kommunistischen Partei innerhalb der SASAC delegiert. Die Kommunistische Partei hält an ihrer Ernennungsbefugnis fest und gestaltet damit weiterhin die Karrierewege und Anreize der Unternehmensmanager. Politiker und Bürokraten bemühen sich, diese Beziehungen in einer wirtschaftlich vernünftigen Weise zu gestalten“. (Naughton, S. 317)
„… SASAC plädiert durchgängig für eine große und anhaltende Rolle des Regierungseigentums auf zentraler Ebene. Laut Li Rongrong, dem Leiter von SASAC, ist staatliches Eigentum in vier Bereichen angebracht: nationale Sicherheit, natürliche Monopole, wichtige öffentliche Güter oder Dienstleistungen und wichtige nationale Ressourcen. Zusätzlich sollten einige wenige Schlüsselunternehmen in „Säulen“-Branchen (vorrangigen Branchen) und Hochtechnologiesektoren in Staatseigentum verbleiben. Diese Überlegung steht im Einklang mit den bereits erörterten Trends in der chinesischen Wirtschaft, da sich das Eigentum der Zentralregierung in diesen Sektoren tatsächlich konzentriert. Die Formulierung einer expliziten Begründung für Regierungseigentum deutet auf einen weiteren allmählichen Rückzug des Staates aus wettbewerbsorientierten Sektoren hin, in denen es kein zwingendes Argument für eine direkte Rolle der Regierung gibt, aber sie impliziert auch das Fortbestehen eines großen von der Zentralregierung geleiteten Industriesektors in absehbarer Zukunft“. (Naughton, S. 318)
„… Während das Ausmaß der Veränderungen enorm war, gab es auch Kontinuität, am auffälligsten in der fortbestehenden Rolle der staatseigenen Unternehmen.“ (Naughton, S. 298) Naughton, ein Spezialist für die chinesische Wirtschaft, ist ein Befürworter der Stärkung des Marktes in China und der Umgestaltung Chinas in eine vollständig kapitalistische Wirtschaft. Aber er anerkennt, dass der Übergang bei weitem noch nicht abgeschlossen ist.
„Das Fortbestehen des groß angelegten, stark kapitalisierten und konzentrierten, zentral kontrollierten Staatssektors stellt ein wesentliches Element der Kontinuität in der chinesischen industriellen Eigentumsstruktur dar“. (Naughton, S. 303)
„Letztlich lässt sich Chinas Vielfalt auf zwei unvollständige Übergänge zurückführen. Erstens ist China noch dabei, seinen Übergang vom bürokratischen Sozialismus [Maoismus-Stalinismus] hin zu einer Marktwirtschaft abzuschließen. Zweitens befindet sich China mitten im Industrialisierungsprozess, dem langgezogenen Übergang von einer ländlichen zu einer städtischen Gesellschaft. China befindet sich mitten in der ,wirtschaftlichen Entwicklung‘, dem Prozess, der alle Aspekte einer Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur umgestaltet. Diese beiden Übergänge sind beide bei weitem noch nicht abgeschlossen, und so trägt China heute Teile des Traditionellen, des Sozialistischen, des Modernen und des Marktes in sich, die alle in einem Wirrwarr von verblüffender Komplexität vermischt sind“. (Naughton, S. 4)
Naughtons Analyse bestätigt die (früher erwähnte) Analyse Huttons, dass China eine „gemischte“ oder „hybride“ Gesellschaft ist, „weder eine kommunistische [in Wirklichkeit stalinistische] noch eine kapitalistische Wirtschaft“: „Die chinesische Wirtschaft und die Kommunistische Partei Chinas befinden sich in einem instabilen Zwischenstadium – in einer Wirtschaft, die weder sozialistisch noch richtig kapitalistisch ist, geführt von einer Partei, die weder revolutionär ist noch den normalen verfassungsmäßigen wechselseitigen Kontrollen unterliegt, wie sie selbst in Chinas konfuzianischer Vergangenheit, geschweige denn in der asiatischen oder westlichen Gegenwart üblich sind“. (Hutton, S. 117)
Kein ,Urknall‘
Die fortgesetzte Rolle des staatlichen Sektors spiegelt den Charakter des Übergangs weg vom Stalinismus in China wider. Im Gegensatz zur ehemaligen Sowjetunion gab es keine „Urknall“-Implosion der zentralen Planwirtschaft oder eine Zerschlagung des alten Staatsapparats (der im Stalinismus eng mit dem wirtschaftlichen Planungsapparat verbunden war). Die Führung des chinesischen Partei-Staates hat ihr Möglichstes getan, um eine wirtschaftliche Kernschmelze zu vermeiden, und dies spiegelt sich in dem relativ begrenzten Ausmaß der Privatisierung staatlicher Unternehmen wider – im Gegensatz zur „Konzernisierung“, d.h. der Führung staatseigener Unternehmen nach Marktkriterien.
In der ersten Phase der Wirtschaftsreform von 1978-93 spielte die Privatisierung so gut wie keine Rolle. Veränderungen im ländlichen Sektor, die auf dem System der „Familienverantwortung“ (d.h. auf kleinen Familienbetrieben) beruhten, führten dazu, dass private Firmen wie Pilze aus dem Boden schossen, die in dieser Zeit von den TVE (Township and Village Enterprises [Gemeinde- und Dorfunternehmen]) dominiert wurden, die jedoch seitdem an Bedeutung zurückgegangen sind. Gleichzeitig förderte das Regime die Entwicklung ausländischer Firmen, speziell in den Sonderwirtschaftszonen an der Küste. Mit anderen Worten, der privatkapitalistische Sektor entwickelte sich neben und um den staatlichen Sektor herum – er beinhaltete nicht eine Zerstörung und Ersetzung von staatseigenen Firmen.
In der zweiten Phase der Wirtschaftsreform ab 1996 kam es zu einer massiven Verkleinerung der staatseigenen Unternehmen (mit einer Verringerung von 40% der Belegschaft) und zur Konzernisierung der staatseigenen Unternehmen (unter der sie angeblich nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien geführt wurden).
Es gibt buchstäblich Millionen von Kleinunternehmen, die über 59 Millionen Arbeiter*innen beschäftigen. Viele von ihnen sind jedoch sehr klein und schlecht kapitalisiert und machen nur etwa 23% des Industrieumsatzes aus. Es gibt jetzt Anzeichen für einen Differenzierungsprozess innerhalb des privaten Kleinsektors, mit dem Wachstum der erfolgreichsten, technologisch fortgeschrittenen Firmen, aber dem Scheitern und Verschwinden vieler erfolgloser Unternehmen.
Ein Verfechter der kapitalistischen Entwicklung in China, Zhiwu Chen (ein Yale-Professor), schrieb kürzlich in einem Artikel in der „Financial Times“, in dem er eine Beschleunigung der Privatisierung und eine Verringerung der Rolle des staatlichen Sektors forderte. „Als die Reformen 1978 begannen, befanden sich fast alle produktiven Vermögenswerte in China in Staatseigentum. Aber die Reformen seitdem haben keine Privatisierung beinhaltet. Heute gehören der Regierung mehr als 70% des produktiven Reichtums Chinas. (Privatisation Would Enrich China [Privatisierung würde China bereichern], 7. August 2008)
Mit „produktiver Reichtum“ meint Chen staatseigene Vermögenswerte, einschließlich Unternehmen, Ressourcen und Land. Chen befürwortet die Konzentration von Vermögenswerten in Regierungshand in der ersten Phase der Wirtschaftsreform. Sie „diente einem guten Entwicklungszweck und ermöglichte die Schaffung von Infrastruktur und den Ausbau der industriellen Kapazitäten“.
Chen verweist auf den wachsenden Anteil der Regierung in der chinesischen Wirtschaft, der seiner Ansicht nach einer der Hauptgründe für das relativ schwache Wachstum der Binnennachfrage ist. „Der Anteil der Regierung an Chinas Einkommen ist auf Kosten der privaten Bürger gestiegen. Von 1995 bis 2007 betrug die inflationsbereinigte jährliche Wachstumsrate der staatlichen Steuereinnahmen (unter Ausschluss der Profite staatlicher Unternehmen und der Erlöse aus dem Verkauf von Landnutzungsrechten) 16%, die der verfügbaren Einkommen der städtischen und ländlichen Haushalte jeweils 8% und 6,2%. Im Jahr 2007 stiegen die staatlichen Steuereinnahmen um 31%, die städtischen und ländlichen verfügbaren Einkommen jedoch nur um 12,2% bzw. 9,5%. Da der Anteil der privaten Haushalte am Einkommenspool Chinas schnell schrumpft, kann das Konsumwachstum nur langsam sein“.
Chen verweist mit einigem Recht auf „Überinvestitionen“ in Industriekapazitäten und Infrastruktur, die das Wachstum des privaten Konsums begrenzen. Seine Antwort darauf ist eine umfassende Privatisierung staatlicher Vermögenswerte, die, wie er behauptet, zu einer Quelle verfügbaren Einkommens für die chinesischen Verbraucher*innen werden würde (die derzeit überwiegend auf ihr Einkommen aus Löhnen angewiesen sind, die notorisch niedrig sind).
„Es ist grundlegend“, behauptet Chen, „dass China die Eigentumsrechte an den verbleibenden staatlichen Vermögenswerten gleichmäßig unter seinen Bürgern verteilt. Dieses Privateigentum würde Millionen von Familien den fehlenden Wohlstandseffekt zurückgeben“.
In Wirklichkeit würde, wie die Erfahrungen mit der Privatisierung in der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa gezeigt haben, der größte Teil des privatisierten Vermögens in den Händen einer kleinen Minderheit von wohlhabenden Geschäftsleuten oder Möchtegern-Unternehmer*innen landen. Gleichzeitig befürchtet die chinesische Führung, dass eine umfassende Privatisierung ihre strategische Kontrolle über die Wirtschaft untergraben und durch das Wachstum der ohnehin schon großen Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen die Flammen des sozialen Proteste weiter anheizen würde.
Dennoch unterstreicht das Argument Zhiwu Chens für die Zwecke unserer Debatte das anhaltende Gewicht des Staatssektors in China. Die Mehrheit der staatseigenen oder staatlich kontrollierten Unternehmen arbeiten nicht länger unter einem Plan. Die meisten von ihnen „wuchsen aus dem Plan heraus“ (wie Naughton es ausdrückt), als das Regime sie anwies, als Einzelkonzerne nach Marktkriterien zu arbeiten. Solche „konzernisierten“ oder „marktisierten“ Staatsfirmen sind jedoch nicht mit privatkapitalistischen Formen identisch. Zweifellos beuten sie ihre Arbeiter*innen ebenso rücksichtslos aus wie private Kapitalist*innen. Viele staatseigene Firmen (und private Firmen) verfolgen jedoch eine „Null-Profit“-Strategie.
In einem Artikel in der „Far Eastern Economic Review“ (Ausgabe 171, März 2008) erklärt Paul Midler, dass Hersteller*innen erfolgreich „Geschäftsvereinbarungen eingehen können, bei denen sie keinen Gewinn erzielen – und dass sich diese Strategie irgendwie als wirtschaftlich effizient erweist“. Indem sie ihre Kapazitäten erhöhen und die Produktionsraten steigern (oft auf der Grundlage von weichen – in Wirklichkeit nicht rückzahlbaren – Krediten der staatlichen Banken), gewinnen Unternehmen die Zustimmung der Regierung. In vielen Fällen verkaufen sie ihre Waren auf dem offiziellen Markt (z. B. an Konzernkunden in Übersee) mit Verlust, verkaufen aber gleichzeitig ähnliche oder identische (oft Marken-)Waren auf dem inoffiziellen Markt mit einem stattlichen Gewinn für ihre Direktor*innen.
Regionale Unterschiede
Das Gewichtsverhältnis zwischen staatlichen und privaten Unternehmen variiert von Region zu Region. Zum Beispiel in Regionen wie Wenzhou (in der südlichen Küstenprovinz Zhejiang) sind die örtlichen Behörden dafür bekannt, Privatfirmen zu ermutigen. Im Unterschied dazu haben die Behörden in Gebieten, die noch aus der maoistischen Ära eine hohe Konzentration staatseigener Unternehmen aufweisen, dazu geneigt, private Firmen zu diskriminieren. In Regionen mit einer großen Präsenz ausländischer Firmen wiederum haben die lokalen Behörden diese Unternehmen gefördert und einheimische Firmen diskriminiert.
In einem kürzlichen Artikel weist Niall Ferguson auf die Rolle des Staates bei der Förderung der Entwicklung privater Unternehmen (wie Ford, BP, Ericsson, Carrefour, Isuzu und Suzuki) in der rasch wachsenden Industriestadt Chongquing im Gebiet des Drei-Schluchten-Staudamms am Jangtse hin. Sie wurden durch eine Kombination aus großzügigen Steueranreizen und Arbeitskosten, die etwa 40% niedriger als in den Küstenregionen Ostchinas sind, angezogen. Gleichzeitig verwandeln chinesische Unternehmen wie die Lifan-Industriegruppe Chongquing in Asiens Hauptstadt des Motorradbaus.
„Doch [kommentiert Ferguson] das explosive Wachstum von Chongquings Industrie würde ohne eine große Portion zentraler Planung nicht geschehen. Seit 1997 war Chongquing eine Gemeinde unter direkt Kontrolle der Regierung in Peking. Ihre Umwandlung von einem verschlafenen Hinterland in ein wirtschaftliches Zentrum Westchinas war ein Ziel der nationalen Politik. Das bedeutete eine staatlich gelenkte Bonanza von Anlageinvestitionen, die in den letzten zehn Jahren mit einer durchschnittlichen Rate von 20% gewachsen sind. Lokale Beamte strahlen, wenn sie die Statistiken aufzählen: es wird 30 neue Brücken über den Fluss, zehn neue Schmalspurbahnlinien, 2.000 km neue Autobahnen und Millionen Quadratmeter neue Büroflächen geben. Auf der langen Fahrt vom Flughafen ins Stadtzentrum ist es unmöglich, die Zahl der im Bau befindlichen neuen Hochhäuser oder die Zahl der Kräne auf den Hügeln der Stadt zu zählen“. (China’s War on Nature [Chinas Krieg gegen die Natur], „Financial Times“, 14. Juli 2008)
Ferguson verweist auf die Probleme einer „halb geplanten Wirtschaft“. Es gibt keine rechtlichen oder politischen Grenzen für die „negativen externen Effekten“ der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere in Form von Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung. Obendrein „stellt die halb geplante Wirtschaft zwar Ressourcen für Infrastrukturinvestitionen bereit, macht aber nichts, um die soziale Ungleichheit zu verringern. Der wirtschaftliche Abgrund zwischen den Insidern (Beamten und Unternehmern) und den Outsidern (Bauarbeitern und dem Rest) ist inzwischen riesig. Wenn dies die ,harmonische Gesellschaft‘ ist, mit der Chinas führende Vertreter prahlen, dann ist São Paulo ein egalitäres Paradies“.
Die Politik der Zentralregierung
Die Rolle des Staatssektors wurde zweifellos verringert, und das Wachstum privater kapitalistischer Unternehmen sowie die Ambitionen lokaler Regierungsbürokrat*innen haben in der chinesischen Wirtschaft mächtige Zentrifugalkräfte in Gang gesetzt. Nichtsdestotrotz hat das Regime in den letzten Jahren versucht, seine Kontrollhebel durch makroökonomische Politik und strategische Ziele zu stärken.
Während der ersten Periode der Wirtschaftsreformen von 1978-93 ging der Trend überwiegend in Richtung Dezentralisierung, da sowohl die Zentral- als auch die Regionalregierungen ermutigten, dass Privatunternehmen wie Pilze aus dem Boden schossen und Firmen in ausländischem Eigentum wuchsen. Nach 1993 gab es eine Politik der Rezentralisierung der politischen Entscheidungsfindung.
„Zhu Rongjis Politik wurde durchweg mit stärkeren, autoritäreren Regierungsinstitutionen und einer entschlosseneren Politikgestaltung in Verbindung gebracht“. (Naughton, S. 100)
„Während der zweiten Periode [der Reform] wurden die Managementzuständigkeiten klarer zwischen dem Zentrum und den lokalen Behörden aufgeteilt, jedoch in einer Weise, die im Hinblick auf die letztendliche Kontrolle der Ressourcen tendenziell zu einer Rezentralisierung führte. Die Zentralregierung musste ihre Regulierungs- und makroökonomischen Managementfunktionen stärken“. (Naughton, S. 101)
Unter Bezugnahme auf die schnell wachsende chinesische Autoindustrie (die hauptsächlich auf Joint Ventures zwischen chinesischen und ausländischen Autohersteller*innen beruht), kommentiert ein anderer Autor die Rolle der makroökonomischen Politik: „Alle Hersteller sind außerdem in einem Maß von der makroökonomischen Strategie der Regierung abhängig, das im Westen unbekannt ist.“ Obendrein: „Kein großes ausländisches Unternehmen – sei es in der Stahl-, Chemie-, Pharma-, Banken- oder Versicherungsbranche – kann sich in China in eine Richtung bewegen, mit der die Regierung nicht einverstanden wäre.“ (Frank Sieren, The China Code, 2007, S. 220-21 [deutsch: Der China Code, Berlin 2005, S. 268 und 269 f.])
Obendrein veranlasst die Krise in den USA und in der globalen kapitalistischen Wirtschaft die chinesische Führung nun dazu, ihre politische Herangehensweise zu überdenken. „Auf einem bilateralen Wirtschaftsgipfel Anfang Juni sagte Zhou Xiaochuan, Gouverneur der Chinesischen Volksbank, der Zentralbank, dass China, das in der Vergangenheit versucht habe, vom Management der Wirtschaft der USA zu lernen, auch versuche, aus den Fehlern Amerikas zu lernen“. (Troubles and Fannie and Freddie Could Deepen Asia’s Credit Problems [Schwierigkeiten und Fannie und Freddie könnten Asiens Kreditprobleme vertiefen], „Wall Street Journal“, 14. Juli 2008)
Mit der Vertiefung der Weltfinanzkrise und dem Abgleiten in eine globale Wirtschaftsrezession werden wir wahrscheinlich weitere Verschiebungen in der Wirtschaftspolitik des Regimes erleben, sowohl zu Hause als auch international. Die anhaltende wirtschaftliche Macht des chinesischen Staates wird ein Schlüsselfaktor in der Lage sein.
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