[18. Februar 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes in Cahiers Léon Trotsky, Nr. 20, Dezember 1984, S. 102 f., dort unter dem Titel „Entretien avec Paul-Henri Spaak“, „Gespräch mit Paul-Henri Spaak“, verglichen mit der englischen Übersetzung in Revolutionary History, 7. Jg., Nr. 1, dort unter dem Titel „Conversation with Paul-Henri Spaak“]
Werter Freund,
Ich hatte ein ausführliches Gespräch mit Ihrem Cousin in Brüssel und möchte Ihnen kurz darüber berichten.
Ich habe versucht, ihm das Missverständnis mit dem Erscheinen meines Briefes an Sie in Holland zu erklären. Er antwortete mir in einer offenen und ruhigen Art und Weise, dass er mir keineswegs das Recht streitig machen könne, ihn auch öffentlich zu kritisieren. Diese kleine Erklärung erzeugte bei mir einen günstigen Eindruck. Was den Inhalt des Themas betrifft, so bildete die Frage der gewerkschaftlichen Aktivitäten den wichtigsten Teil des Gesprächs. Die Gewerkschaftsbürokratie ist die mächtigste Barrikade der Reaktion. Die Parteiopposition ist zur Ohnmacht verurteilt, wenn sie in den Gewerkschaften keinen starken Rückhalt findet, oder besser gesagt, schafft. Vandervelde sagte: „Wenn ich zwischen unseren Gewerkschaften und zum Beispiel Spaak wählen muss, werde ich nicht in Verlegenheit geraten“. Nun, man muss an der Macht der Gewerkschaftsbürokratie knabbern. Das ist der Beginn der „illegalen“ Arbeit, weil man in den Gewerkschaften nichts tun kann, wenn man nicht zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem man jemand wird, klandestin tätig ist. Die Arbeit muss auf eine Art und Weise durchgeführt werden, dass die direkte und unmittelbare Verantwortung nicht auf die Führer der politischen Opposition zurückfällt. Es scheint mir, dass vor allem auf dieser Ebene eine Verständigung zwischen unseren Genossen und der Parteiopposition möglich ist. Man muss, koste es, was es wolle , diese abscheuliche, gierige und dumme Gewerkschaftsbürokratie kompromittieren, die sich an ihre Privilegien klammert, während sie über einem Abgrund hängt.
Mein Gesprächspartner war sehr an der Frage der Zwischenschichten interessiert. Ich legte ihm dieselben Ideen dar, die sich in meinem Brief an Sie und – auf einer anderen Ebene – in den Thesen gegen den Krieg finden. Ich lenkte seine Aufmerksam auf das Faktum, dass der Plan kein ernsthaftes Programm für das Kleinbürgertum (Bauern, Handwerker, Kleinhandel) enthalte. Außer der Enteignung des Grundeigentums konnte und musste das Programm erklären, dass das Proletariat keineswegs vorhabe, die kleinen Handwerker und Händler zu enteignen, dass es sie vielmehr durch die Verstaatlichung der Banken von der erdrückenden Schuldenlast befreien werde und dass es in seinem Produktions- und Verteilungsplan auch die kleinen Handwerker und Händler berücksichtigen werde, indem es ihnen einen günstigen Kredit, bestimmte staatliche Aufträge etc. zusichere, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie selbst es für sich als vorteilhafter erachtet haben, sich der verstaatlichten Wirtschaft anzuschließen. Das Fehlen all dieser Ideen und Versprechungen im Programm erklärt sich dadurch, dass De Man und Co. sich nur mit den parlamentarischen Führern des Kleinbürgertums befassen, nicht aber mit dessen tieferen Schichten.
Ich bestand sehr auf der Notwendigkeit, nicht nur die Losung der Arbeitermiliz (auf der Ebene der Verteidigung1) zu verbreiten, sondern auch unermüdlich daran zu arbeiten, sie aufzubauen, indem man gleichzeitig die Kräfte der Feinde, ihre Verteilung, ihre möglichen Pläne usw. studiert. Ich glaube, dass dies der zweite Bereich einer engen Zusammenarbeit zwischen unseren Freunden und der sozialistischen Opposition ist.
Das war in etwa der Kern unseres Gesprächs. Wir vereinbarten, in Korrespondenz zu bleiben. Ich muss noch hinzufügen, dass er von unseren belgischen Freunden, vor allem von Lesoil und Vereeken, mit größter Hochachtung sprach.
Ich bedauere, dass ich seit mindestens zwei Monaten „La Voix Communiste“ nicht mehr erhalte. Es muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bitte Sie, sich dafür zu interessieren.
1In der englischen Übersetzung: „für Verteidigungszwecke“
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