Leo Trotzki: Brief an Albert Glotzer

[10. April 1934, eigene Übersetzung des englischen Textes in Writings of Leon Trotsky, Bd. 14, unter dem Titel: „Continuing the Struggle Through Unifications” „Fortführung des Kampfes durch Vereinigungen“]

Werter Genosse Glotzer,

ich habe Ihren Brief vom 26. März an Shachtman mit großem Interesse gelesen. Was Sie über unsere Erfahrungen mit den Zentristen in Europa mitteilen, ist völlig richtig, und die amerikanischen Genossen müssen diese Erfahrungen sorgfältig verfolgen und berücksichtigen. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit auf folgenden Punkt lenken: die SAP betreffend. Wir (und ich persönlich) haben auf der sofortigen Vereinigung bestanden. Aber die SAP lehnte das nach einer kurzen Phase des Zauderns ab. Im Falle der OSP verlief die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Die OSP bestand auf der sofortigen Vereinigung, die RSP lehnte das ab. Diese beiden Beispiele zeigen, dass wir zwar unser prinzipielles Verhältnis zum Zentrismus vollständig beibehalten, der praktische Weg zur Annäherung an zentristische Tendenzen (und gleichzeitig zu deren Bekämpfung) aber sehr unterschiedlich ausfallen kann. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir theoretisch und praktisch (auch zahlenmäßig) stark genug sind, können wir eine zentristische Organisation akzeptieren und dann die Ausbildung ihrer besten Elemente innerhalb einer vereinigten Organisation fortsetzen. Es gibt keine allgemeine Formel für diese Dinge.

Es muss revolutionäre Elemente in der AWP geben, die zu uns drängen, sonst wäre es unverständlich, dass die Führung so weit gegangen ist. Diese Lage muss ausgebeutet werden. Wenn wir erklären, dass wir zur Vereinigung bereit sind, und der rechte Flügel sich dann sträubt oder sie ganz blockiert, dann haben wir eine sehr günstige Ausgangsposition gegenüber dem linken Flügel.

Damit will ich kein „Rezept“ für Amerika vorschlagen: Dazu bin ich zu weit weg und zu wenig informiert. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass prinzipielle Unnachgiebigkeit durch organisatorische Flexibilität ergänzt werden muss. Wir müssen den Zentrismus nicht nur theoretisch verstehen und kritisieren, ihn nicht nur politisch auf den Prüfstand stellen, sondern müssen auch organisatorisch mit ihm manövrieren. Unter bestimmten Bedingungen ist die Vereinigung das beste Manöver. Wir sollten nicht abergläubisch die Vereinigung als das Ende des Prozesses (des Kampfes gegen den Zentrismus) betrachten. Die Vereinigung kann zuweilen nur bessere Bedingungen für die Fortsetzung des Kampfes gegen den Zentrismus schaffen. Natürlich müssen die Methoden des Kampfes an den Rahmen der vereinigten Partei angepasst werden. Bitte teilen Sie den Inhalt dieses Briefes mit Shachtman und anderen Genossen, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben.

Und nun zur Jugendkonferenz. Da waren Sie nicht annähernd kritisch und anspruchsvoll genug. Ich habe dazu schon einiges an das IS und an Genosse Held geschrieben. Ich lege Kopien bei.

Wie sieht es mit den Antikriegsthesen aus? Soweit ich weiß, sind sie von Sara ins Englische übersetzt worden. Sie sollten vervielfältigt und an alle Sektionen zur Diskussion geschickt werden. Zuerst sollte das Nationalkomitee dazu Stellung nehmen. Die Frage ist sehr wichtig. Die Thesen werden jetzt in den europäischen Sektionen diskutiert. Wir müssen in naher Zukunft von Ihnen dazu hören, bevor die Thesen in ihrer endgültigen Form vom IS verabschiedet werden.

Ihr,

L. Trotzki


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