[Die Neue Zeit, IX. Jahrgang 1890-91, II. Band, Nr. 41, S. 457-459]
Berlin, den 29. Juni.
Als bei Torgau die letzte Schlacht des siebenjährigen Krieges geschlagen und für die Österreicher verloren war, verloren auch die Kaiserin Maria Theresia und ihre getreue Hauptstadt die Geduld mit dem Marschall Daun. Das Volk von Wien warf seiner Gemahlin, wenn sie zur Messe fuhr, den Wagen voll Schlafmützen, und die Kaiserin forderte ihren Lieblingsfeldherrn zu strenger Rechenschaft. Der altfränkische Herr suchte sich in einem weitläufigen Schreiben zu rechtfertigen, dessen wunderliches Deutsch-Französisch in den Satz auslief: „Le plus grand mal est, dass wir halt keine Männer haben.“
Halt keine Männer! -– Das ist’s, und diese lakonische Kritik drängt sich jeglichen Tag dem auf, der das bürgerliche Leben, wie es sich im Deutschen Reiche abspielt, aufmerksam beobachtet, Besonders lebhaft aber wird sie erweckt durch die Neuigkeit des Tages, die Afrika-Lotterie, welche der Kronrat unter dem Vorsitze des Kaisers genehmigt hat, um die „idealen Ziele“ der Kolonialpolitik zu fördern. Die Minister seien, so melden die bürgerlichen Zeitungen, mehr oder weniger gegen die Genehmigung gewesen, aber der Haufe von Patrioten, welcher den Kolonialsport der Abwechslung wegen auch einmal mit dem Glücksrade betreiben wolle, habe sich an „maßgebender“ Stelle zu „insinuieren“ gewusst, und so sei der Widerstand der Minister – es werden insbesondere Herrfurth und Miquel, die Helden der verflossenen Landtagssession, genannt – „pro nihilo“ gewesen, Aus dem Jargon der bürgerlichen Presse ins Deutsche übersetzt, heißt das: Die Minister halten die Afrika-Lotterie für ein verkehrtes Unternehmen, aber da der Kaiser so befahl, gaben sie ihre Zustimmung.
Halt keine Männer! -– und das ist in der Tat le plus grand mal, wenigstens für das Schicksal der Monarchie. Die Minister wissen recht gut, welche hässlichen und peinlichen Erinnerungen an der Schlossfreiheit-Lotterie hängen, und nichts konnte berechtigter sein, als ihr Widerstand gegen eine zweite und keineswegs verschönerte Auflage eines solchen Glücksspiels So weit handelten sie vollkommen pflichtgemäß. Aber wenn die Krone sich ihrem Einspruche nicht fügte, so war es. nach allen Begriffen des viel gefeierten Konstitutionalismus weiterhin ihre Pflicht, ihre Ämter niederzulegen. Es ist bezeichnend, dass keiner von ihnen diese unausweichliche Konsequenz gezogen hat; es ist noch viel bezeichnender, dass die bürgerliche Presse, obgleich sie sich mehr oder minder heftig über das „unwirtschaftliche“ Lotteriespiel auslässt, auch nicht mit der leisesten Anspielung das Verhalten der Minister tadelt, sie hat offenbar sowohl das Gedächtnis daran, als auch das Verständnis dafür verloren, das ein konstitutioneller Minister im Falle einer Meinungsverschiedenheit mit der Krone etwas anderes zu tun hat, als sich einem sie volo, sic jubeo mit einer allergehorsamsten Reverenz zu fügen.
Halt keine Männer! – noch einmal, aber diesmal sei’s nicht bloß von den Ministern gesagt. Was die Herrfurth und Miquel in Sachen der Afrika-Lotterie leisteten, das hatten ihnen die freisinnigen Helden Forckenbeck und Virchow in Sachen der Schlossfreiheit-Lotterie längst vorgemacht, und jener freisinnige Oberbürgermeister von Breslau, der nach einem erbitterten Wahlkampfe im Auftrage des Kaisers die Bürgerschaft zu ihren reaktionären Wahlen beglückwünschte, vollbrachte ein moralisch-politisches Harakiri, das anders als auf handfester Tat denn doch keinem preußischen Minister unterstellt werden darf. Auch zeigt sich die Erscheinung keineswegs bloß auf politischem Gebiete. Nachdem die Jury der internationalen Kunstausstellung, gleichviel ob aus berechtigten oder unberechtigten Gründen, ein Moltke-Bildnis der ungarischen Malerin Vilma Parlaghy zurückgewiesen hatte, kaufte der Kaiser das Bild an und lies es im Ehrensaale der Ausstellung aufstellen. Aber -– still blieb’s über des Wassers Rand, und die Jury amtet weiter, als hätte sie in der Frau Vilma Parlaghy den ersten Bildnismaler des Jahrhunderts entdeckt. Ob in der Kunst oder Politik oder sonst wo: die bürgerlichen Klassen in Deutschland haben „halt keine Männer mehr.“
In dieser Beziehung ist es das Schicksal der Monarchie, so unumschränkt zu sein, wie sie nie gewesen ist, Nie, auch nicht unter Friedrich dem Zweiten. selbst im Kriege hat dieser rücksichtslose Selbstherrscher mehr als einmal die Erfahrung machen müssen, dass Offiziere lieber ihren Degen zerbrachen, ehe sie Befehle ausführten, die ihnen wider die Ehre gingen, und noch heute liest man in der Nähe von Berlin auf dem Grabstein eines friderizianischen Offiziers, eines Marwitz, die Worte: „Er wählte Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre brachte,“ . Das klingt im neuen Deutschen Reiche, wie ein urvorweltlich Stammeln aus den Tagen der Saurier Aber der antagonistische Charakter der heutigen Gesellschaft zeigt sich auch in dem Schicksale der Monarchie. Unumschränkt, wie sie in jener einen Beziehung ist, ist sie in anderer Beziehung so beschränkt, wie sie gleichfalls noch nie gewesen sein mag, seit drei Jahren sehen wir im Deutschen Reiche einerseits, das ein junger und kraftvoller Monarch jede leichte Regung eines beweglichen und empfänglichen Geistes ausleben darf, ohne je einen, set es noch so berechtigten Widerstand aus den bürgerlichen Klassen zu finden, die sich in ein wimmelndes Heer von Höflingen verwandelt zu haben scheinen und sehen wir andererseits, das alle Anläufe desselben Monarchen zu hohen Zielen mit eintöniger Regelmäßigkeit scheitern an dem dumpfen, eisernen, unbeweglichen Widerstande derselben bürgerlichen Klassen, von den Ministern herab bis zu den „freisinnigen“ Lampenputzern. Die Februar-Erlasse des Kaisers über den gesetzlichen Arbeiterschutz sind heute ein vergessenes Stück Papier, während die Afrika-Lotterie morgen mit Pauken und Trompeten über die Bretter gehen wird!
Das Schicksal der Monarchen geht die Poeten an oder sollte sie wenigstens etwas angehen. Denn leider gilt auch von ihnen, dass sie „halt keine Männer“ sind; sie umschmeicheln den „neuen Herrn“ nach Höflingsart, statt die Fülle des tragischen Stoffes anzubrechen, der heute mit viel unheimlicherem Glanze als vor hundert Jahren durch die lärmende Pracht der Höfe schimmert. Das Schicksal der Monarchie interessiert dagegen den Politiker, und bei einer prüfenden Umschau über die europäischen Staaten wird man finden, das es sich nirgends in so ernsten und strengen Formen vollzieht, wie im Deutschen Reiche, Die monarchischen Skandale, welche wir mit staunenden Augen in London, in Wien, in Petersburg gesehen haben, besagen insofern wenig, als ein hereinbrechendes Schicksal, welches schwache Persönlichkeiten wahl- und willenlos vor sich her peitscht, deshalb noch nicht unabwendbar zu sein braucht, Eine ganz andere Fundgrube sozialpolitischer Erkenntnis bietet ein ehrliches und energisches Ringen mit dem drohenden Verhängnisse. Und wenn unter diesen günstigen Voraussetzungen jeder Tag lehrt, dass die Monarchie tropisch ausgewuchert ist in dem, was auch ihre Bewunderer stets als ihre Schattenseite erkannt haben, dagegen entkräftet und gänzlich ohnmächtig geworden in dem, was ihre Lichtseite sein soll und nach ihrer ideologischen Auffassung auch sein könnte, so eröffnet sich. eine Reihe von Gedanken, welche wohl einer reiflichen Erwägung würdig sind.
Nach dem Verfalle der päpstlichen Monarchie, welche das Mittelalter beherrschte, wuchs die weltliche Monarchie in drei Entwicklungsstufen heran. Zunächst trug sie noch die geistliche Eierschale auf dem Kopfe; es war die Periode des konfessionellen Absolutismus: cuius regio, eius religio (in wessen Staat ich wohn‘, dessen Religion habe ich). Dann kam der höfische Absolutismus Ludwigs XIV.: l’état c’est moi (der Staat bin ich). Endlich der aufgeklärte Absolutismus Friedrichs II. und Josefs II.: le roi c’est le premier serviteur de l’état (der . König ist der erste Diener des Staats). Das war der höchste Gipfel, den die Monarchie in ihrer geschichtlichen Entwicklung erreichen konnte, denn der Monarch konnte .als „erster Diener des Staates“ im Namen des Staates viel ungenierter über Blut und Gut des Volkes verfügen, als in seinem eigenen Namen.
Darnach aber kam die Abwandlung. Die absolute Monarchie empfing schon lange vor Friedrichs II. Tode ihr Urteil in Lessings Sätzen: „Ist es zum Unglücke so Mancher nicht genug, dass Fürsten Menschen sind? Müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?“ Die konstitutionelle Finte zerriss Johann Jacoby in Friedrichs II. Lieblingsschlosse mit dem Worte? „Es ist das Unglück der Könige, dass sie die Wahrheit nicht hören wollen.“ Es ist nun wahr: das „soziale Königtum“ von heute will die Wahrheit hören und bis zu einem gewissen Grade hört es sie auch. Es ist ferner wahr: seine Berater sind ganz und gar keine „Teufel,“ sondern behäbige Hausväter, vielleicht schlechte Musikanten, aber ganz gewiss gute Leute. Allein auf dieser dritten Stufe der Abwandlung kann die Monarchie nicht mehr, was sie zu ihrer Ehre will, und was sie kann, das will sie nicht, das klafft von ihrem Prinzipe so weit ab, wie etwa die Afrika-Lotterie von den Februar-Erlassen. Eine seltsame und verzwickte Lage, die sich noch in keinem geflügelten Worte zusammengefasst hat! Aber der dies Wort einmal sprechen wird, braucht wohl nicht erst noch geboren zu werden; er wandelt vielleicht schon unter uns, unerkannt in der Menge, deren Gedanken über das Schicksal der Monarchie schweifen und wandern, wie die Wolken am Himmel, wie jene Wolken, welche die Höflinge just nach Wunsch für Kamele oder für Wiesel erklären und nur niemals für das, was sie wirklich sind.
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